Chefökonom Alexander Börsch
Warum der Welthandel stottert
Alexander Börsch ist Chefökonom bei Deloitte Deutschland. Foto: Deloitte / Canva
Volatil ist das Wort, das den Welthandel in den letzten Jahren am besten beschreibt. Während der Corona-Pandemie war der Handel im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung jedoch erstaunlich widerstandsfähig und hat sich schnell erholt.
Tatsächlich waren anziehende Exporte ein entscheidender Faktor, warum Deutschland schnell den konjunkturellen Absturz von 2020 hinter sich lassen konnte. Anfang 2022 erreichte der globale Handel dann trotz Pandemie sogar ein Rekordhoch. Seitdem entwickelt er sich allerdings im Rückwärtsgang. Im Jahr 2023 sank er um fünf Prozent, bedingt durch das eher dürftige Wachstum der Industrieländer und die schleppende Entwicklung der ostasiatischen Länder. Der Ausblick legt nahe, dass geringes Wachstum erst einmal die neue Normalität ist, wenn auch mit einigen Lichtblicken und tiefgreifenden strukturellen Änderungen unter der Oberfläche.
Die Belastungsfaktoren
Vor allem die zunehmenden geopolitischen Spannungen haben das Wachstum des Handels gebremst. Diese Spannungen zeigen sich in protektionistischen Tendenzen. So erreichte die Anzahl der neu errichteten Handelshemmnisse 2023 einen neuen Höhepunkt.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Tatsächlich waren anziehende Exporte ein entscheidender Faktor, warum Deutschland schnell den konjunkturellen Absturz von 2020 hinter sich lassen konnte. Anfang 2022 erreichte der globale Handel dann trotz Pandemie sogar ein Rekordhoch. Seitdem entwickelt er sich allerdings im Rückwärtsgang. Im Jahr 2023 sank er um fünf Prozent, bedingt durch das eher dürftige Wachstum der Industrieländer und die schleppende Entwicklung der ostasiatischen Länder. Der Ausblick legt nahe, dass geringes Wachstum erst einmal die neue Normalität ist, wenn auch mit einigen Lichtblicken und tiefgreifenden strukturellen Änderungen unter der Oberfläche.
Die Belastungsfaktoren
Vor allem die zunehmenden geopolitischen Spannungen haben das Wachstum des Handels gebremst. Diese Spannungen zeigen sich in protektionistischen Tendenzen. So erreichte die Anzahl der neu errichteten Handelshemmnisse 2023 einen neuen Höhepunkt.
Aktuell gibt es wenig Gründe, warum sich dies auf kurze Frist ändern sollte. Die Kriege in der Ukraine und Nahen Osten haben das Potenzial, die Lieferketten und Transportwege wieder unter Druck zu setzen. Die Angriffe der Huthi-Miliz auf Frachtschiffe im Roten Meer haben den Handel in dieser Region erheblich gestört. Im Januar 2024 verringerte sich die Frachtkapazität im Roten Meer, durch das 19 Prozent des globalen und 40 Prozent des Handels zwischen Europa und Asien laufen, um 80 Prozent.
Die angespannte Situation spiegelt sich in den gestiegenen Transportkosten: Der Index Drewry WCI Composite, der die Kosten pro Seefrachtcontainer misst, erreichte im Januar mit 3.964 US-Dollar seinen höchsten Stand seit Oktober 2022, auch wenn er im Februar leicht zurück ging. Andere Transportrouten sind ebenso betroffen. Insbesondere die andauernde Dürre in Panama wirkt sich negativ auf den Panamakanal und damit auf den nordamerikanischen Handel aus. Rund 40 Prozent des US-Containerverkehrs werden über diesen Kanal abgewickelt. Entlastung wird erst ab Mai erwartet, wenn in Panama die Regenzeit beginnt.
Auf der Liste der strukturellen Risikofaktoren steht ein möglicher Konflikt zwischen China und Taiwan ganz oben. Bloomberg Economics schätzt für den Kriegsfall die Kosten für die Weltwirtschaft auf gigantische 10 Billionen US-Dollar. Für die Transportwege wäre allerdings auch eine Verschärfung des Konflikts ohne Krieg einschneidend. Vor allem Blockaden würden den Welthandel stark beeinträchtigen, nachdem 30 Prozent des Welthandels durch die Meerenge des Südchinesischen Meeres fließen.
Neben den geopolitischen Faktoren ist der konjunkturelle Rückenwind für den Welthandel erst einmal beschränkt. Die Weltwirtschaft wird nach den aktuellen Prognosen mit etwas unter drei Prozent ungefähr im selben Tempo wachsen wie letztes Jahr und damit deutlich unter dem Schnitt von knapp vier Prozent bleiben, der bis zur Covid-Pandemie die Norm war.
Die Lichtblicke
Trotz dieser eher düsteren Tendenzen gibt es durchaus auch positive Faktoren, die dem Welthandel Rückenwind verleihen können. Ein weiterer Rückgang der Inflation könnte zu stärkerer konsumgetriebener Nachfrage ab Mitte des Jahres führen. Ebenso könnten Zinssenkungen die weltweite Nachfrage beleben und den Welthandel vor allem in der zweiten Jahreshälfte fördern.
In dieser Hinsicht ist zumindest für die zweite Hälfte des Jahres mehr Dynamik zu erwarten. Infolgedessen dürfte der Handel auf das Jahr gesehen um etwa zwei Prozent wachsen. Damit wäre das Wachstum zumindest wieder positiv, wenn auch immer noch sehr viel niedriger als der historische Durchschnitt.
Es zeigt sich dabei, dass sich die Treiber des Handels aktuell deutlich ändern. 2023 war es der Güterhandel, der den Rückgang verursachte. Der Dienstleistungshandel wuchs dagegen deutlich. Das lag zum einen am Tourismus, der sich nach dem Ende der Corona-Pandemie sehr dynamisch erholte. Aber auch die strukturell zunehmende Bedeutung des Handels mit digitalen Dienstleistungen treibt diesen Sektor. Im Jahr 2022 machte der digitale Handel laut der Welthandelsorganisation (WTO) bereits mehr als die Hälfte des Dienstleistungshandels aus.
Wichtiger noch ist das Wachstum. Der digitale Dienstleistungshandel wuchs zwischen 2019 und 2022 um 40 Prozent. Damit steht er immerhin schon für etwa 12 Prozent des gesamten internationalen Handels. Nachdem die Digitalisierung sicher noch nicht an ihrem Ende angekommen und durch künstliche Intelligenz gerade einen neuen Schub erhält, dürfte der digitale Handel ein entscheidender Wachstumsmotor des Welthandels werden. Dies setzt allerdings voraus, dass es zu keiner politischen Abschottung der nationalen digitalen Märkte kommt.
Ein weiterer Hoffnungsschimmer für den Handel ist der Umbau der Lieferketten. Deren De-risking führt tendenziell zu neuen Handelskorridoren und längeren Lieferketten. Dadurch entstehen neue Handels-Hubs. So erleben Länder wie Vietnam, Indonesien oder Mexiko stark steigende Investitionen und eine Intensivierung des Handels, weil durch die Spannungen zwischen den USA und China die Handelsbeziehungen indirekter werden. Es ist fraglich, ob diese Entwicklung aus Effizienzsicht vorteilhaft ist, aber sie erkennt die geopolitischen Realitäten an und bindet mehr Länder als davor in die internationale Arbeitsteilung ein.
Insgesamt wird 2024 für den Welthandel ein Übergangsjahr: Lieferketten, Handelskorridore und die Wachstumstreiber des Handels transformieren sich auf dem Weg zu einer neuen Normalität. Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der exportabhängigen deutschen Wirtschaft ist dabei, wie gut die Unternehmen auf diesen Wandel vorbereitet sind und wo sie sich anpassen müssen.
Über den Autor