Allianz-GI-Fondsmanager Dirk Enderlein: "Mit potentiellen Verlierern möchte ich nichts zu tun haben"
DAS INVESTMENT.com: Ihr Lieblingsverein HSV (Enderlein: "Mein Herz schlägt für den HSV") ist recht gut in die neue Saison der Fußballbundesliga gestartet. Sind die Hanseaten unter ihrem neuen Trainer Bruno Labbadia ein ernst zu nehmender Titelfavorit?
Dirk Enderlein: In der aktuellen Verfassung auf jeden Fall. Die Frage ist, ob die Formkurve die gesamte Saison über konstant bleibt. Bayer Leverkusen sah in der vergangenen Saison mit dem gleichen Trainer anfangs ebenfalls wie ein Titelkandidat aus, hat dann aber deutlich abgebaut. Die ersten Härtetests für den HSV kommen in den nächsten Wochen, beispielsweise am 26. September, wenn die Mannschaft zu Hause Bayern München empfängt.
DAS INVESTMENT.com: In der Deutschen Fondsliga macht Ihr Team derzeit ebenfalls eine recht gute Figur, auch wenn die Aussagekraft der Tabelle so kurz nach dem Start natürlich noch recht gering ist. Rechnen Sie sich Chancen auf die Meisterschaft aus?
Enderlein: Warum nicht? Europäische Wachstumsaktien sind im aktuellen Umfeld sehr attraktiv, gerade auch im Vergleich zu den lange Zeit favorisierten Value-Titeln. In einem Punkt gibt es aber durchaus Parallelen zum HSV: Wir müssen erst einmal den September überstehen. Das war in der Geschichte immer ein schwieriger Börsenmonat, und ich gehe davon aus, dass das auch in diesem Jahr so sein wird. Vielleicht sehen wir in den kommenden Wochen noch einmal die Chance, zu besseren Preisen als heute in den Markt einzusteigen oder bereits bestehende Investments günstig aufzustocken.
DAS INVESTMENT.com: Vielleicht erleben wir auch den Beginn einer neuen Abwärtsspirale, so wie im September 2008.
Enderlein: Das glaube ich nicht. Die Verkaufspanik im vergangenen Herbst, die bis in den März 2009 hinein anhielt, wurde im wesentlichen von der Furcht getrieben, auf eine Deflation oder sogar eine Depression mit Preisrückgängen von 5 Prozent und mehr zuzusteuern. Inzwischen sind viele Marktteilnehmer zu der Überzeugung gelangt, dass mittelfristig eher Inflation das Problem darstellt. Wer hier mit Steigerungsraten von 2,5 Prozent oder mehr rechnet, stellt sich unweigerlich die Frage, ob es nicht bessere Ideen gibt als eine mit 3,3 Prozent verzinste Bundesanleihe zu kaufen. Das hat entscheidend zu der starken Erholung der vergangenen Monate beigetragen, und das wird die Aktienmärkte auch weiter stützen.
DAS INVESTMENT.com: Und was macht Sie so sicher, dass ausgerechnet Wachstumsaktien die nächste Phase des Aufschwungs anführen werden?
Enderlein: Die historische Erfahrung. Viele Anleger verbinden den Begriff Wachstumsaktie lediglich mit Branchen wie dem Internet oder der Biotechnologie. Das ist zu kurz gedacht. Firmen mit überdurchschnittlichem Wachstum und starken Produkten gibt es in jeder Branche, und in der Regel kommen diese Unternehmen besser durch Turbulenzen als andere – weil sie gerade in der Krise auf ihre Stärken bauen können.
DAS INVESTMENT.com: Nach dem Platzen der Internetblase haben generell alle Wachstumsaktien gelitten, auch jene aus anderen Sektoren.
Enderlein: Das war eine von zwei Ausnahmen in den vergangenen 50 Jahren. Im Frühjahr 2000 waren Growth Stocks ein Teil der Blase, die sich gebildet hatte und die dann mit lautem Knall platzte. Die andere Ausnahme gab es 1973/74, als zuvor immer mehr Geld in die Nifty Fifties geflossen war, die 50 größten und wachstumsstärksten US-Aktien. Nach derartigen Ereignissen sollten Anleger tatsächlich wachsam sein. Davon, dass Wachstumsaktien an einer Blasenbildung beteiligt waren, kann derzeit jedoch keine Rede sein.
DAS INVESTMENT.com: Gilt im Umkehrschluss die Losung „Hände weg von Value Stocks“? Schließlich haben den US–Immobilienmarkt vor allem Firmen aufgepumpt, die gemeinhin in diese Schublade gehören – Banken und Wohnungsbauer beispielsweise.
Enderlein: So weit würde ich nicht gehen. Ohnehin halte ich nicht viel von der strikten Trennung dieser beiden Bereiche. Das sehe ich ähnlich wie Warren Buffett. Der gilt zwar in der öffentlichen Wahrnehmung als kompromissloser Verfechter der Value-Idee, bezieht aber in alle seine Anlageüberlegungen das Thema Wachstum ganz selbstverständlich mit ein. Dabei beruft er sich unter anderem auch auf Phil Fisher, den Ur-Vater aller Growth-Investoren.
DAS INVESTMENT.com: Ist also Ihr Investmentstil gar nicht so weit von dem Buffetts entfernt?
Enderlein: Im Grunde genommen nicht. Ich suche nach Firmen, die über ein erfolgreiches und schwer zu kopierendes Geschäftsmodell verfügen und die aufgrund ihres guten Managements von den Strukturveränderungen der kommenden Jahre profitieren werden. Wenn diese erwartete Entwicklung noch nicht im Aktienkurs enthalten ist, steige ich ein und bleibe unter Umständen über viele Jahre investiert. Mit potentiellen Verlieren dagegen möchte ich nichts zu tun haben.
DAS INVESTMENT.com: Mit Strukturveränderungen meinen Sie die Globalisierung?
Enderlein: Unter anderem, ja. Europäische Unternehmen haben durch sie schließlich nicht nur die Chance, ihre Produkte in Asien abzusetzen, sondern sie stehen auch unter verstärktem Wettbewerbsdruck. Dieser Druck wird sich in den kommenden Jahren noch deutlich verstärken. So wie in den 70er Jahren die Japaner und in den 90er Jahren die Koreaner dem einen oder anderen deutschen Unternehmen den Garaus gemacht haben, so entwickeln sich die Chinesen und auch die Inder im kommenden Jahrzehnt zu einer akuten Bedrohung.
DAS INVESTMENT.com: Gibt es Branchen, die darunter besonders leiden?
Enderlein: Grundsätzlich gefährdet sind alle Bereiche, die nur geringe technologische Zugangsbeschränkungen aufweisen, aber mit hohen Margen locken. Ein klassisches Beispiel ist der Solarsektor, den wir aus diesem Grund schon seit anderthalb Jahren fast komplett meiden.
DAS INVESTMENT.com: Dafür halten Sie auffällig viele Konsumaktien wie H&M, Inditex oder Reckitt Benckiser. Ein von der Finanzkrise diktierter Kauf, weil manche Produkte immer benötigt werden?
Enderlein: Nicht nur. Reckitt Benckiser etwa ist gut aufgestellt und verfügt über einige wirklich starke Marken, das macht die Aktie in jedem Umfeld interessant. H&M und Inditex zähle ich deshalb zu den strukturellen Gewinnern, weil wir im Bereich des diskretionären Konsums schon seit längerem eine Konzentration auf das obere und das untere Preissegment beobachten. Davon profitieren Luxushersteller wie LVMH, aber eben am anderen Ende auch H&M und Inditex.