
Im Überblick
- Was Cholesterin für die Gesundheit ist, ist Kapital für die Wirtschaft: Man braucht es, aber zu viel ist schädlich. Kapitalüberschuss und Kapitalmangel erzeugen Marktzyklen, ausgelöst durch die Entscheidungen von Investoren und Portfoliomanagern. Die Folge sind teils starke Auf- und Abschwünge.
- Weil seit der internationalen Finanzkrise immer mehr Wert auf gute Finanzzahlen statt auf Ausrüstungsinvestitionen gelegt wurde, waren Margen und Erträge meist hoch. Seit 2022 stehen die Unternehmensgewinne aber unter Druck – vor allem wegen der Neuausrichtung der Lieferketten, der hohen Zinsen und neuer Technologien wie KI. Dadurch ändert sich auch die Kapitalallokation.
- Vermutlich werden die Einzelwerterträge jetzt wieder stärker streuen. Eine gute Finanz-beratung wird daher wichtiger sein als in den Jahren nach der internationalen Finanzkrise.
Wenn wir älter werden, müssen wir uns mit unserer Gesundheit befassen. Als wir jung waren, war das für viele von uns kein Thema.
Ein gutes Beispiel ist Cholesterin. Früher habe ich mich kaum damit befasst, aber jetzt, in meinen 50ern, mache ich mir darüber so meine Gedanken. Wenn vom Cholesterinspiegel die Rede ist, heißt es meist, er sei „zu hoch“. Aber auch zu wenig Cholesterin kann problematisch sein. Ohne Cholesterin können wir nicht leben. Es ist in unserem Körper allgegenwärtig, wird für den Zellaufbau und die Hormonproduktion benötigt und hat andere wichtige Aufgaben. Da Cholesterin nicht wasserlöslich ist, sind für seinen Transport im Körper Lipoproteine nötig.
Ganz ähnlich ist es beim Kapital. Kapital ist für die Gesellschaft unendlich wichtig. Es ist in der Wirtschaft stets im Fluss und braucht ebenfalls ein Transportvehikel. Zu viel Kapital kann für die Finanzmärkte ebenso ungesund sein wie zu wenig.
Wir erlebten das in den 2000ern, als zu viel Kapital in den Bau zu vieler Häuser floss – mit der Folge zu vieler Problemkredite und übermäßiger Risiken in den Büchern der Banken. Ihre Finanzen und Erträge gerieten unter Druck. Im Jahrzehnt davor führte zu viel Kapital zu übertriebenen Investitionen in Hardware. Es bildete sich die größte Aktienmarktblase in der US-Geschichte.
Weil Kapital die Tendenz zum Gleichgewicht oft fehlt, gibt es immer wieder Markt- und Konjunkturzyklen. Transportvehikel des Kapitals sind die Entscheidungen der Anleger. Sie ziehen Kapital aus ertragsschwachen Projekten ab, um bessere zu finanzieren. Der Kapitalismus ist zwar das effizienteste System der Kapitalallokation, führt aber oft zu Übertreibungen, in der Wirtschaft wie an den Märkten. Da nicht jeder Marktteilnehmer alle Investitionsentscheidungen kennt, sind Über- und Unterinvestitionen oft nicht sofort sichtbar. Irgendwann zeigen sie sich dann aber deutlich, in Form starker Auf- oder Abschwünge. Und weiter geht’s.
So wie wir regelmäßig unsere Blutwerte überprüfen lassen sollten, müssen wir als Investoren regelmäßig prüfen, ob in der Wirtschaft und an den Märkten zu viel oder zu wenig Kapital unterwegs ist.
Der Kapitalzyklus nach 2008 führte zu übertriebenen Gewinnmargen und Kapitalrenditen
In den wachstums- und ertragsschwachen Jahren nach der globalen Finanzkrise konnten Industrieländerunternehmen die Globalisierung nutzen, um ihre Kapitalintensität zu verringern. Sie verlagerten Teile der Produktion in die Emerging Markets und brauchten dadurch nicht nur weniger Sachkapital, sondern – ein weiterer Vorteil – auch weniger Arbeitskräfte. Die Unternehmen sparten also Kosten für die Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit.