DAS INVESTMENT: Herr Bohn, schauen wir auf das aktuelle Geschäftsjahr. Wo steht die ALH-Gruppe und werden Sie die angepeilten Ziele erreichen?

Christoph Bohn: Ich kann eine durchaus positive Zwischenbilanz ziehen. Sowohl unser Lebensversicherungsgeschäft beim laufenden Beitrag entwickelt sich sehr überzeugend als auch beim Einmalbeitrag, wo sich die Situation aufgrund der veränderten Zinsentwicklung deutlich verbessert hat. In der Krankenversicherung verzeichnen wir ebenfalls in allen Geschäftsbereichen eine erfreuliche Entwicklung. Insgesamt bewegen wir uns auf Kurs zur Planerfüllung.

Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung gestaltet sich derzeit eher schwierig. Wie bewerten Sie die Aussichten für die längere Frist?

Bohn: Als Maklerversicherer haben wir traditionell eine hohe Anzahl an Selbstständigen oder leitenden Angestellten unter unseren Kunden und bemerken so naturgemäß die konjunkturellen Schwankungen. Wie die gesamte Branche spüren auch wir die Auswirkungen im Kundenverhalten.

Besonders deutlich wird dies in der betrieblichen Altersversorgung und der betrieblichen Krankenversicherung (bkV). Hier agieren Unternehmen je nach ihrer wirtschaftlichen Situation in verschiedenen Branchen bereits verhaltener bei Neuabschlüssen.

Diese Entwicklung bereitet mir durchaus Sorgen mit Blick auf das Jahr 2026. Die entscheidende Frage lautet: Gelingt der angekündigte wirtschaftliche Turnaround? Das wäre natürlich wünschenswert, aber wir beobachten noch abwartend, wie die angekündigten politischen Maßnahmen tatsächlich greifen werden.

Im Lebensversicherungsbereich startet gerade erst eine Kommission, um die drängenden Probleme der Altersversorgung zu lösen. In der Krankenversicherung sehen wir eine ähnliche Entwicklung: Die staatlichen Zuschüsse müssen voraussichtlich weiter ansteigen, aber auch hier stellt sich die fundamentale Frage nach dem Zukunftsmodell des Systems.

Wenn Sie politischer Entscheidungsträger wären, wie würden Sie Reformen der Sozialversicherung und der geförderten privaten Altersvorsorge gestalten?

Bohn: Das zentrale Kriterium wäre für mich, Geschwindigkeit zu gewinnen. Wir müssen uns fragen, wie wir bestimmte strukturelle Probleme möglichst zügig angehen können. Im Bereich der privaten Altersversorge haben bereits 2023 und 2024 Kommissionen verschiedene Modelle entwickelt und durchdacht.

Der entscheidende Punkt ist die Sicherstellung eines lebenslangen Einkommens – genau dafür steht die Lebensversicherung. Ein weit verbreiteter Trugschluss besteht darin anzunehmen, man benötige im Alter weniger finanzielle Mittel, weil man vermeintlich weniger aktiv sei. Tatsächlich ist häufig das Gegenteil der Fall: Mit zunehmendem Alter steigen die Ausgaben, insbesondere durch Pflegekosten und gesundheitliche Aufwendungen. 

Die Frage ist, welche Produkte dafür die richtigen sind. Wenn ich entscheiden könnte, würde ich Produkte mit deutlich höherer Flexibilität zulassen, etwa mit einem Garantieniveau von 80 Prozent, um dadurch höhere Renditen zu ermöglichen. Die häufig kritisierte Riester-Rente scheitert primär am überbordenden Verwaltungsaufwand. Dabei könnte man sie relativ zügig vereinfachen und mit angepassten Garantieniveaus an den Markt bringen.

Ähnliches gilt für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung. Das diskutierte Sozialpartnermodell ist durchaus sinnvoll, ebenso wie die Ansätze des Betriebsrentenstärkungsgesetzes 2.0. Auch hier gäbe es bereits Lösungen außerhalb des Sozialpartnermodells, die man sofort implementieren könnte. Zentrale Punkte wären die Flexibilisierung von Garantien und der Rentenauszahlungsphase. Mit einem Opt-out-Modell könnte man die Quote derjenigen, die eine bAV haben, von derzeit knapp 50 Prozent deutlich erhöhen.

In einem anderen Interview haben Sie in diesem Jahr auch dringend Reformen in der gesetzlichen Rente und Pflege angemahnt. Was stellen Sie sich hier konkret vor?

Bohn: In der gesetzlichen Rentenversicherung benötigen wir zwingend eine zusätzliche private, kapitalgedeckte Komponente. Wenn heute bereits 25 Prozent des Staatshaushaltes als Zuschüsse in die gesetzliche Rentenversicherung fließen, ist diese Entwicklung langfristig nicht fortsetzbar. Wir müssen an verschiedenen Parametern drehen: Ist es die Lebensarbeitszeit, die Beitragshöhe oder andere Stellschrauben? Diese Frage müsste systematisch analysiert werden.

Entscheidend ist, wen diese Reformen betreffen. Menschen, die heute 55 Jahre alt sind, können realistischerweise nicht mehr viel für ihre Altersvorsorge tun. Die Babyboomer-Generation verfügt in der Regel über eine ausreichende Altersversorgung. Problematisch wird es für die nachfolgenden Generationen. Für diese muss ein System etabliert werden, das mindestens 20 Jahre Vorlaufzeit hat, und diesen Menschen müssen wir entsprechende Produktmöglichkeiten anbieten.

Bei der sozialen Pflegeversicherung liegt das Problem in der weit verbreiteten Fehleinschätzung, diese sei eine Vollkasko-Absicherung. Auch hier benötigen wir Zusatzprodukte, und zwar kapitalgedeckte Lösungen, um die zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen.

Solch eine Lösung ist die Pflegerentenversicherung, die aber praktisch am Markt gescheitert ist, weil sie zu teuer ist. Existieren adäquate andere Produkte oder sehen Sie hier Nachholbedarf?

Bohn: Die aktuellen Kalkulationen zeigen bereits das reale Risiko und den tatsächlichen Absicherungsbedarf auf. Die Preise sind nicht willkürlich hoch angesetzt, sondern spiegeln die versicherungsmathematischen Realitäten wider. Die Frage ist, inwieweit zusätzliche Pflegeversicherungen staatlich bezuschusst werden könnten und welche Förderung möglich ist?

Dennoch müssen wir stärker in die Marktdurchdringung investieren. Wir haben hier definitiv Nachholbedarf, weil das Thema bisher nicht angemessen positioniert ist. Es braucht ein anderes Bewusstsein und eine andere Mentalität dafür, dass dieses Thema tatsächlich notwendig ist. Der entsprechende politische und gesellschaftliche Druck muss über die Öffentlichkeit und den Gesetzgeber entstehen.

Kommen wir zu Ihrem Unternehmen. Was ist die DNA Ihres Hauses im Vergleich zum Markt?

Bohn: Wir sind ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Wir haben keine Shareholder im klassischen Sinne, sondern unsere Mitglieder sind die Träger des Vereins und damit unser höchstes Gremium. Man könnte einwenden, das klinge wie bei einem Fußballverein, aber wir werden genauso streng bewertet wie jedes andere Unternehmen. Standard & Poor's hat uns gerade auf „A plus“ hochgestuft.

Laut einer Analyse sind die Versicherungsvereine in den vergangenen 25 Jahren am stärksten gewachsen. Das Vereinskonzept entspricht der ursprünglichen DNA einer Versicherung: Wir sind gemeinsam organisiert und helfen uns gegenseitig.

Zudem sind wir seit sehr langer Zeit im Maklermarkt tätig und verstehen daher die spezifischen Belange und Anforderungen unser Vertriebspartner sehr gut. Dabei werden wir, obwohl wir der fünftgrößte Lebensversicherer in Deutschland sind, nicht so wahrgenommen wie andere Häuser. Wir sind nicht das Unternehmen, das vor der Tagesschau wirbt und schwerpunktmäßig Direktvertrieb über Vergleichsportale betreibt.

Einige Experten prognostizieren das Ende von Direktanbindungen und viele Makler beklagen sich darüber, dass sie nur noch das niedrigste Service-Level bekommen. Wie ist das bei der ALH?

Bohn: Ein generelles Ende sehe ich nicht. Wir schauen uns natürlich Vertriebspartner an, die uns regelmäßig Anfragen stellen – oft geht es um Risikobeurteilungen. Makler, von denen wir aber kein Geschäft bekommen, rutschen wie bei anderen auch, in der Priorität nach hinten. Es werden Gespräche geführt, und gegebenenfalls verabschiedet man sich auch von dem einen oder anderen. Das will ich nicht ausschließen.

Sie haben vor zwei Jahren als einer der ersten Gesellschaften den Exklusivvertrieb praktisch abgeschafft. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?

Bohn: Die Erfahrungen sind durchweg positiv. Man muss allerdings sehen, dass unser Exklusivvertrieb immer sehr kompakt war – etwa 200 angebundene Partner. Das ist nicht vergleichbar mit den großen Strukturvertrieben anderer Anbieter.

Mit diesen Partnern entstanden zunehmend Diskussionen über die künftige Ausrichtung. Wir haben dann das Konstrukt entwickelt, sie in Richtung Mehrfachagenten zu führen und dafür eine spezielle Unterstützung im Background zu bieten, ähnlich wie ein Pooler einen organisatorischen Rahmen schafft.

Das funktioniert sehr gut. Wir erhalten weiterhin Geschäft von diesen Partnern. Gleichzeitig stellen wir fest, dass dieses Modell offenbar sehr attraktiv ist, denn wir bekommen sehr viele Anfragen von anderen Unternehmen, wie wir es umgesetzt haben. Der Markt verändert sich, weil es für viele schwierig wird, ihre Ausschließlichkeitsorganisation in der bisherigen Form fortzuführen.

Derzeit rollt eine Fusionswelle über den Versicherungsmarkt. Wie stellt sich Ihr Unternehmen strategisch auf, um wettbewerbsfähig zu bleiben und nicht zum Übernahmekandidaten zu werden?

Bohn: Wir müssen keine Fusion eingehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Davon bin ich fest überzeugt. Fusionen sind Ausdruck eines gewissen Bereinigungseffekts am Markt, der verschiedene Ursachen hat. Teilweise wird er durch die überbordende Regulatorik getrieben, sodass einzelne Häuser die Anforderungen nicht mehr bewältigen können. Es gibt aber möglicherweise auch andere Gründe.

Unsere Position ist grundsätzlich: Wir halten die Augen offen und schauen, ob es einen Partner gibt, der zu uns passt. Aber eine solche Konstellation müsste so gestaltet sein, dass wir weiterhin im Fahrersitz bleiben.