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Amundi zu Anlageaussichten nach der Europa-Wahl „Europäische Binnenmarkt-Titel sollten profitieren“

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Welches sind die wichtigsten makroökonomischen und geopolitischen Themen für die Zukunft der Europäischen Union, die das neue Europaparlament anpacken muss?

Kruse: Viele Ökonomen verweisen auf die Zersplitterung der Eurozone und die Notwendigkeit eines gemeinsamen Haushalts. Ein Haushalt, der bei der Stabilisierung ihrer Volkswirtschaften hilft, sobald es zu einem schweren Schock kommt, der ein oder mehreren Mitgliedsstaaten zusetzt. Doch ein gemeinsamer Haushalt würde die einzelnen Länder ermutigen, in ihrem notwendigen Reformeifer nachzulassen. Ein gemeinsamer Haushalt würde finanzielle Transfers an bedürftige Volkswirtschaften beinhalten, was im Gegensatz zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) steht, der während der Finanzkrise ins Leben gerufen wurde, um den Staaten in der Krise Kredite als Gegenleistung für Strukturreformen anzubieten. Wegen des Widerstands der reicheren Länder in der EU ist es zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich, dass es zu einem gemeinsamen Haushalt kommt.

Wichtig wäre auch eine Kapitalmarktunion. Mit integrierten Kapitalmärkten lassen sich asymmetrische Schocks in einer Währungsunion leichter abfedern. Es ist wie in der Unternehmenswelt: Wenn die Beteiligungsgesellschaften eines Unternehmens geografisch stark diversifiziert sind, sind auch die Gewinne und Verluste breit gestreut.

In der Eurozone werden Stimmen lauter, die mehr fiskalische Impulse fordern. Welche kurz- bis mittelfristigen Auswirkungen würden sich in der Eurozone ergeben?

Kruse: Die EU-Wahlen fanden im Umfeld eines moderaten Wirtschaftswachstums statt. Forderungen nach mehr fiskalischen Impulsen spiegeln die Einschätzung wider, dass Europa in einer Zeit, in der die geldpolitischen Instrumente weitgehend ausgereizt sind, weiterer Stützungsmaßnahmen bedarf. Deutschland hat in diesem Zusammenhang viel mehr Handlungsspielraum als beispielsweise Italien.

Angesichts einer starken Fragmentierung in Europa bietet der Fixed-Income-Bereich viele Chancen; bei Anleihen bevorzugen wir Spanien und Portugal gegenüber Italien. Zudem sind wir positiv gegenüber Unternehmensanleihen aus der Industrie aufgestellt, bleiben aber mit Blick auf den deutschen Automobilsektor vorsichtig. Auch im Finanzsektor gibt es Chancen, insbesondere bei Bankentiteln; vorsichtig bleiben wir jedoch gegenüber italienischen Banken.

Der Druck seitens der Kapitalmärkte auf Italien ist wieder gewachsen. Das Land will erneut gegen die EU-Finanzvorschriften verstoßen. Wie bewerten Sie die Lage in Italien?

Kruse: Unsere Haltung gegenüber Italien ist moderat vorsichtig. Sollte die Europäische Kommission ein Defizitverfahren gegen Italien anstrengen, könnte dieser Schritt die Volatilität erhöhen, ganz zu schweigen von möglichen Reaktionen der Ratingagenturen und Folgeschäden im italienischen Bankensektor. Kurzfristig sehen wir Italien nicht als große Bedrohung an, weil das Land und die EU zu einer Einigung über einen flexibleren finanzpolitischen Kurs kommen dürften.

Nimmt das Ergebnis der EU-Wahlen Druck vom Euro?

Kruse: Der Euro hat auf das Wahlergebnis nur begrenzt reagiert, weil kein grundlegender Wandel bewirkt wird. Von Relevanz sind hier die Entwicklung der europäischen politischen Landschaft nach den kommenden Wahlen in jedem Land, die Notwendigkeit weiterer wirtschaftspolitischer Impulse und die zukünftige Entwicklung im Hinblick auf Zölle und Brexit. Das aktuelle Umfeld ist einer raschen Erholung des Euro nicht förderlich.