Kein Ende der Zinserhöhungen in Sicht Anlage-Profi: Fed und EZB gehen unnötige Risiken ein
Die Inflation ist in den USA im Mai auf vier Prozent zurückgegangen. Das ist der geringste Wert seit mehr als zwei Jahren. Im April hatte die Geldentwertung in den Vereinigten Staaten noch 4,9 Prozent betragen. Wie vom Gros der Marktteilnehmer erwartet, legte dann auch die amerikanische Notenbank Fed bei ihrer bislang letzten Sitzung eine Zinspause ein und beließ die Leitzinsen in der Spanne von fünf bis 5,25 Prozent.
Doch für eine Entwarnung ist es noch zu früh. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass Fed-Chef Jerome Powell seine restriktive Geldpolitik weiter verschärft und die Leitzinsen in den USA mindestens im Juli noch einmal um einen viertel Punkt auf dann 5,25 bis 5,5 Prozent erhöht.
Denn der amerikanische Arbeitsmarkt zeigt bislang kaum Ermüdungserscheinungen. Im Mai war die Zahl der neu geschaffenen Stellen außerhalb der Landwirtschaft um 339.000 gestiegen. Damit wurden deutlich mehr neue Stellen geschaffen als die erwarteten 190.000. Zum Vergleich: Im März lag die Zahl der neu geschaffenen Jobs bei 217.000 und im April bei 294.000. Der amerikanische Arbeitsmarkt zeigt sich somit trotz der stark gestiegenen Zinsen als robust, auch wenn im Juni die 209.000 neu geschaffenen Stellen etwas unter den Erwartungen lagen. Insgesamt haben die amerikanischen Verbraucher in Summe mehr Geld in der Tasche und können weiter fleißig konsumieren und dadurch die Inflation unterstützen.
Fed steht vor gordischem Knoten
Die amerikanische Notenbank befindet sich in einer Zwickmühle. Einerseits will und muss sie die immer noch zu hohe Geldentwertung in den Griff bekommen, was bislang nur schleppend gelingt. Denn die Kerninflation, also die Teuerung ohne die schwankungsanfälligen Lebensmittel und Energie, belief sich im Mai noch auf 5,3 Prozent. Im Januar hatte der Wert bei 5,6 Prozent gelegen und ist somit in der ersten Hälfte des laufenden Jahres nur wenig gefallen.
Andererseits will sie die Wirtschaft aber eigentlich nicht in eine Rezession zwingen. Doch das eine geht kaum ohne das andere. Die Fed ist allerdings, im Gegensatz zur EZB, sowohl der Geldwertstabilität als auch einem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum und niedriger Arbeitslosigkeit verpflichtet.
Bislang hält Powell am Ziel von zwei Prozent Inflation stoisch fest. Das bedeutet nichts Gutes. Denn je näher sich die Geldentwertung der Zwei-Prozent-Marke nähert, desto schwieriger wird es, sie noch stärker zu drücken. Anders ausgedrückt: Der Rückgang von 4,9 Prozent im April auf vier Prozent im Mai ließ sich leichter erreichen als jetzt eine weitere Senkung in Richtung drei Prozent.
Weitere Zinserhöhungen sind wahrscheinlich
Vor diesem Hintergrund bezeichnete Powell zuletzt weitere Zinsschritte noch in diesem Jahr für „wahrscheinlich“. Offensichtlich stuft der Fed-Chef die derzeitige Inflation als nachhaltig ein, die kräftiger Gegenmaßnahmen bedarf.
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Allerdings hat sich der oberste amerikanische Währungshüter mit seinen Einschätzungen zur Geldentwertung in der Vergangenheit regelmäßig geirrt. Im Mai 2021 bezeichnete er die Inflation als „vorübergehend“, was er dann zum Jahresende revidierte. Anfang 2022 prognostizierte Powell dann zum Jahresende eine Teuerungsrate von nur noch 2,5 Prozent, erhöhte dann aber seine Vorhersage wenige Monate später auf 4,3 Prozent. Zurzeit hält er einen Wert von zwei Prozent nicht vor kommendem Jahr für möglich.
Bei der Betrachtung der Inflation ist ein wichtiger Punkt nicht zu vernachlässigen. Erfahrungsgemäß brauchen Erhöhungen der Leitzinsen rund neun Monate, bis sie tatsächlich in der Realwirtschaft ankommen. Das bedeutet, dass die Zinsschritte des vergangenen Jahres erst jetzt Wirkung zeigen. Und die erwartete Anhebung im Juli dürfte erst im Frühjahr kommenden Jahres einen Effekt auslösen.
Damit könnte die Fed die Zügel noch weiter anziehen, wenn sich die Wirtschaft und die Inflation schon auf dem Rückzug befinden. Am Szenario einer weichen Landung (soft landing), also einem Rückgang der Inflation bei gleichzeitig stabiler Konjunktur sind zumindest Zweifel angebracht. In den USA ist noch immer eine Rezession möglich.
In Deutschland ist die Wirtschaftsleistung bereits im vierten Quartal 2022 und in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres gesunken. Nach gängiger Auffassung befand sich damit Europas größte Volkswirtschaft in einer Rezession. Dennoch hält EZB-Chefin Christine Lagarde an ihrer restriktiven Geldpolitik fest und erhöhte zuletzt die Leitzinsen auf vier Prozent.
Da die EZB mit einem Zeitverzug von rund einem halben Jahr im Prinzip das nachvollzieht, was die Fed vorher gemacht hat, muss in Europa mindestens noch bis zum Jahresende mit einer geldpolitischen Verschärfung gerechnet werden. Das Enttäuschungspotenzial ist in den zurückliegenden Monaten sowohl an der Wall Street als auch ein den europäischen Börsenplätzen spürbar gestiegen.
Über den Autor:
Michael Wittek leitet das Portfoliomanagement bei Albrecht, Kitta & Co. und ist für die Anlegestrategie der Vermögensverwaltung verantwortlich.