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Investment-Profi rät zu Stock Picking Was der neue Tech-Hype an der Wall Street für Anleger bedeutet

Händler an der New York Stock Exchange
Händler an der New York Stock Exchange: Tech-Aktien treiben einmal mehr den Gesamtmarkt – dieses Mal steht das Thema ChatGPT im Fokus. | Foto: Imago Images / UPI Photo

Es erinnert schon ein wenig an den Neuen Markt. Damals war es das Internet, was die Aktienmärkte gehypt hat, heute ist es Künstliche Intelligenz (KI). Das Thema ist zwar nicht wirklich neu, hat aber seit der Markteinführung von ChatGPT noch einmal zusätzlich an Momentum gewonnen. In den Nuller-Jahren hieß es, das World Wide Web werde die Welt verändern. Gut 20 Jahre danach ist klar, dass es so gekommen ist.

Allerdings hat ein Gros der damaligen Firmen nicht überlebt, obwohl das Internet die Wirtschaft und das Leben der Menschen regelrecht revolutioniert hat. Zur Jahrtausendwende waren es überwiegend kleinere Start-ups, die die Aktienmärkte dominiert haben. Heute handelt es sich dagegen vor allem um die großen amerikanischen Tech-Konzerne wie Microsoft, Nvidia oder Alphabet, die im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Unterm Strich ist der S&P 500 seit Jahresanfang um gut acht Prozent gestiegen. Das entspricht in etwa dem Plus, was die Wall Street historisch betrachtet im Durchschnitt in einem ganzen Jahr schafft. Allerdings fehlt dieses Mal die Marktbreite. Der S&P 500 wird vor allem von wenigen großen und hoch gewichteten Tech-Konzernen gestützt. Die sechs größten Werte kommen im Index mittlerweile auf ein Gewicht von rund 25 Prozent.

New Yorker Börsen: Indexfonds lohnen sich bei schwachem Gesamtmarkt nicht

Insgesamt sieht es an den New Yorker Börsen sehr viel ernüchternder aus. Der Russell 2000, der auch eine Vielzahl amerikanischer Nebenwerte umfasst, ist seit Jahresbeginn gerade einmal seitwärts gelaufen. Für den Anleger bedeutet dies, dass es sich im derzeitigen Umfeld nicht lohnt, den Gesamtmarkt per Indexfonds zu kaufen.

 

Nach dem verhaltenen Jahresauftakt könnte es jetzt sogar zu handfesten Enttäuschungen kommen. Noch immer setzen zahlreiche Anleger auf eine erste Zinssenkung der amerikanischen Notenbank Fed noch in diesem Jahr. Sie könnten allerdings auf dem falschen Fuß erwischt werden.

Zwar ist in den USA die Inflationsrate im April auf 4,9 Prozent weiter gefallen, so das Bureau of Labor Statistics. Zum Vergleich: Vor einem Jahr lag die Geldentwertung in den USA noch bei mehr als acht Prozent. Aber mit fast fünf Prozent ist die Geldentwertung immer noch meilenweit von dem Fed-Ziel von rund zwei Prozent entfernt. Außerdem ist die Kerninflation mit zuletzt 5,5 Prozent, also die Teuerungsrate ohne die Preise für Energie und Lebensmittel, noch viel zu hoch. Bei diesem Niveau würde eine Zinssenkung, wahrscheinlich sogar auch nur eine Zinspause, die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Notenbanker untergraben.

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Der Fed wird also kaum etwas anderes übrigbleiben, als weiter an der Zinsschraube zu drehen. Vielleich sehen die Märkte bereits im Juni den nächsten Zinsschritt nach oben. Eine Kombination aus weiter steigenden Leitzinsen und einer sich abkühlenden Wirtschaft würde den Aktienmärkten wahrscheinlich nicht besonders gut bekommen.

Hang zur Übertreibung: Tech-Werte nicht ohne Risiko

Bekanntermaßen neigen die Börsianer zu Übertreibungen, sowohl nach unten als auch nach oben. Es kann also durchaus sein, dass Big Tech in den USA noch eine Zeit lang seinen Lauf weiter fortsetzt. Allerdings waren es gerade die stark gestiegenen Zinsen, die im vergangenen Jahr die Wachstums- und Technologie-Werte unter Druck gesetzt hatten. „Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich“ – dieses Bonmot, das wohl irrtümlicherweise Marc Twain zugeschrieben wird, könnte sich bei den amerikanischen Tech-Konzernen wieder einmal bewahrheiten.

In den kommenden Monaten laufen die westlichen Volkswirtschaften durch eine Phase geringen Wachstums. Auch in den USA bleibt eine milde Rezession wahrscheinlich, denn ohne Schmerzen kommt die Inflation nicht herunter. Konjunktursensiblere Branchen merken das bereits und bleiben in der Performance zurück. Doch in den kommenden Wochen und Monaten gilt es, genau diese Titel kontinuierlich aufzusammeln. 

 

Einen Blick sind die Industrie-, Grundstoff- und Energiewerte wert, die am sensibelsten auf den sich abschwächenden Wirtschaftszyklus reagieren. Hier gibt es zahlreiche interessante Unternehmen, die auch von Sonderkonjunkturen und hohen Subventionen profitieren. Das gilt insbesondere für die Bereiche Green Tech, Clean Energy, Verkehrsinfrastruktur, Gebäude- und Sicherheitstechnik sowie Energetisches Bauen. Sie profitieren in den USA vom Inflation Reduction Act und in Europa von den klimapolitischen Zielen der EU.

Auch der Trend zum Reshoring unterstützt wahrscheinlich in den kommenden Jahren zahlreiche Geschäftsmodelle aus den Bereichen Industriegüter, Elektro und Grundstoffe. Wachstumsperspektiven gibt es nicht nur bei Big Tech.

Über den Autor:
Steffen Kunkel ist als Chief Investment Strategist für die Investitionsstrategie der Bethmann Bank zuständig. Zuvor war der Diplom-Volkswirt unter anderem bei Credit Suisse und Universal Investments tätig.

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