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Andreas Rees: „Wo bleiben die G20?“

US-Präsident Obama und Japans Präsident Hu auf dem G20<br>Gipfel in Pittsburgh 2009. Laut Autor Andreas Rees ist die ge-<br>bündelte Stärke der G20-Länder nötig, um die internationalen<br>Finanzmärkte zu beruhigen. Quelle: Getty Images
US-Präsident Obama und Japans Präsident Hu auf dem G20
Gipfel in Pittsburgh 2009. Laut Autor Andreas Rees ist die ge-
bündelte Stärke der G20-Länder nötig, um die internationalen
Finanzmärkte zu beruhigen. Quelle: Getty Images
Die amerikanische Notenbank hat gestern Abend angekündigt, ihren Leitzins auf dem bereits sehr niedrigen Niveau bis Mitte 2013 einzufrieren. Auch weitere Maßnahmen sind bei der Sitzung in Erwägung gezogen worden, ohne dass diese aber erneut näher spezifiziert wurden. QE3 – und damit der erneute Aufkauf von amerikanischen Staatsanleihen – gehört zweifelsohne zu diesem Instrumentenkasten. Weitere Aufschlüsse über zusätzliche Maßnahmen könnte das Treffen von Notenbankern und Wissenschaftlern in Jackson Hole am 26. August geben. Am gleichen Ort hatte Ben Bernanke vor einem Jahr den verbalen Grundstein für QE2 gelegt. Die internationalen Aktienmärkte haben auf die jüngsten Äußerungen der Federal Reserve freundlich reagiert. Der S&P500 legte gestern um rund 4¾ Prozent zu. Auch die Kurse in Asien und Europa stiegen deutlich. Trotz einer gewissen Beruhigung ist es allerdings zu früh, um wirklich Entwarnung geben zu können. Auf kurze Sicht mag eine gewisse Entspannung an den internationalen Finanzmärkten einkehren. Die jüngste Ankündigung der Federal Reserve kann aber zwangsläufig nicht der große Befreiungsschlag sein. Dafür sprechen insbesondere drei Gründe: 1.Mit noch mehr Liquidität lassen sich die strukturellen Probleme nicht lösen. Die USA und einige europäische Länder haben weder ein tragfähiges Wirtschaftsmodell noch solide öffentliche Finanzen. Einen einfachen "monetären" Weg aus dieser vertrackten Lage gibt es nicht. Nur Strukturreformen helfen und eine Politik des langen Atems.
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Weitere monetäre Stimulierungsmaßnahmen könnten sogar langfristig mehr schaden als nutzen. Realwirtschaft und Finanzmärkte werden in monetärer Liquidität förmlich ertränkt, ohne dass daraus nachhaltiges Wachstum entsteht. Die Last der Strukturreformen wird (erfolglos) auf die Geldpolitik überwälzt. Die Entwicklung in Japan ist hier ein warnendes Beispiel. 2. Nach dem Kollaps von Lehman Brothers konnte die Wirtschaftspolitik in den Industrieländern aus einer Position der Stärke heraus agieren. Dies ist heute anders. Vor drei Jahren war das wirtschaftspolitische Arsenal noch reich bestückt. Geld- und Fiskalpolitik konnten nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers alle Register ziehen. Neben einer drastischen Senkung der Leitzinsen wurden vor allem milliardenschwere Konjunkturprogramme aufgelegt. Heute geht das nicht mehr. Die Grenze der Tragfähigkeit in den öffentlichen Haushalten ist erreicht. 3. Die Politik in den Industrieländern hat in den letzten Monaten an Reputation eingebüßt. Aufgrund des Gezerres in der Schuldenkrise wurde einiges an Porzellan zerschlagen. Das Vertrauen der Investoren in die Fähigkeit der Politik, die Probleme lösen zu können, ist spürbar zurückgegangen. Das ist die augenblickliche – und unerfreuliche – Diagnose. Wie lassen sich die Finanzmärkte aber möglichst schnell und nachhaltig beruhigen? Klar ist: Glaubwürdigkeit kann nicht innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen wieder hergestellt werden. Die geringen Spielräume der Geld- und Fiskalpolitik in den USA und Europa sind Fakt. Als Ausweg aus der Misere bleibt nur eine gemeinsame Kraftanstrengung auf globaler Ebene. Auch die Schwellenländer müssen mit ins Boot geholt werden, um die Schlagkraft der internationalen Politik zu erhöhen. Zuletzt wurde allerdings die genau gegensätzliche Strategie gewählt. Die Vorgehensweise am vergangenen Wochenende spricht hier Bände: Die G7- Staaten versuchten (erfolglos), die internationalen Finanzmärkte durch eine gemeinsame Mitteilung zu beruhigen. Auf der Ebene der G20 fand lediglich eine Telefonkonferenz statt. Dies stellt eine 180-Grad-Wende von der koordinierten Vorgehensweise nach dem Kollaps von Lehman Brothers dar. Im November 2008 hatten sich die Staats- und Regierungschefs erstmalig im Rahmen eines G20-Gipfels ausgetauscht. Weitere Zusammenkünfte und Beschlüsse folgten. Und dies mit gutem Grund: Die Bewältigung der Finanzkrise wurde als globale Aufgabe verstanden, die sich nur gemeinsam bewältigen ließ. Warum wurde jetzt von dieser bewährten Strategie abgewichen? Grundsätzlich sind zwei Erklärungen vorstellbar: Schwellenländer wollen oder sollen nicht mehr an einer Lösung der globalen Probleme beteiligt werden. Möglicherweise ist die Verärgerung von China & Co. über das QE2 der Federal Reserve noch stärker ausgeprägt als bislang vermutet. Da die Investoren auf der Suche nach Rendite in Rohstoffe umschichteten, stiegen die Nahrungsmittelpreise stark an. Die Kaufkraft in den Schwellenländern sank spürbar. Die Koordination hat sich demnach aufgrund des späteren Alleingangs der amerikanischen Geldpolitik für China nicht ausgezahlt. Vielleicht glauben die G7-Staaten aber auch wirklich, die Probleme in einem kleineren Kreis  besser lösen zu können. Abstimmungen ließen sich so möglicherweise einfacher erreichen. Was die G20 besser können als die G7 Ich halte die jüngste Abkehr von den G20 für einen gravierenden Fehler. Ohne die Mithilfe der Schwellenländer wird es sehr viel schwieriger werden, die internationalen Finanzmärkte auf Dauer zu beruhigen. Die G20 verfügen über deutlich mehr Durchsetzungskraft in der Weltwirtschaft und an den Finanzmärkten. Verbale Signale an Investoren sind dadurch wesentlich glaubwürdiger, können doch gegebenenfalls auch konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. So tragen die Schwellenländer in der G20-Gruppe mittlerweile rund 36 Prozent zur globalen Wirtschaftsleistung bei und damit fast genauso viel wie die G7-Staaten mit 39Prozen. Sollte deshalb etwa China bekannt geben, seine Anstrengungen zur Förderung der privaten Verbraucherausgaben zu forcieren, wäre schon einiges für die Weltwirtschaft gewonnen. Vorstellbar wäre etwa der noch schnellere Ausbau der sozialen Sicherungssysteme, um die private Sparquote zu senken. Fiskalpolitische Munition für solche oder ähnliche Maßnahmen in Schwellenländern ist genug vorhanden. Berechnungen des IWF zufolge liegt der öffentliche Schuldenstand bei lediglich 34 Prozent des BIP (G7: 118 Prozent). Zudem können die Schwellenländer mit einem weiteren Pfund wuchern: Sie weisen im Gegensatz zu vielen Industriestaaten keine strukturelle Wachstumsschwäche auf. Zwar werden sich auch China, Indien und Brasilien in den nächsten Monaten spürbar abschwächen. Dies ist das Signal der Einkaufsmanagerindizes in den vergangenen Monaten. Allerdings handelt es sich dabei um eine zyklische Verlangsamung. Das Wachstumspotenzial in den Schwellenländern ist nach wie vor hoch, selbst wenn China im Schnitt der nächsten Jahre etwas langsamer wachsen sollte. Sind die Auswirkungen der gestiegenen Nahrungsmittelpreise und höherer Leitzinsen erst einmal verdaut, dürfte die Konjunktur wieder anziehen. Aber auch aufgrund der riesigen Devisenreserven besitzen die Schwellenländer mittlerweile eine hohe Glaubwürdigkeit an den internationalen Finanzmärkten, die sich zur Beruhigung einsetzen ließe. Die Zahlen sprechen auch hier wieder für sich selbst. Weltweit betrugen die globalen Devisenreserven im ersten Quartal 2011 rund 9.600 Mrd. US-Dollar. Davon entfallen 6.500 Mrd. auf die Schwellenländer und damit mehr als zwei Drittel. Risiken eines wirtschaftspolitischen Vakuums Die USA (und die G7-Staaten in ihrer Gesamtheit) sind mittlerweile zu geschwächt, als dass sie ihre Führungsrolle noch vollständig ausfüllen könnten. Wirtschaftspolitische Alleingänge in einer zusehends multipolarer gewordenen Weltwirtschaft funktionieren nicht mehr. Wenn sich die G20 nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen, besteht die Gefahr eines Vakuums. Niemand kann oder will wirtschaftspolitische Führung übernehmen. Am Ende könnten sich nationale Egoismen durchsetzen. Die Finanzmärkte erhielten von der Politik keine überzeugende Orientierung und blieben damit auch mittelfristig volatil. Anzeichen dafür gibt es. Nachdem die USA ihre Topbonität verloren haben, feuerte China eine verbale Breitseite auf die amerikanische Wirtschaftspolitik ab. Die Federal Reserve könnte wiederum QE3 einleiten und insbesondere die Schwellenländer unter Druck setzen. Verwenden Anleger die zusätzliche Liquidität und schichten in die Schwellenländer um, nimmt der Aufwärtsdruck dieser Währungen gegenüber dem US-Dollar zu. Kapitalverkehrskontrollen bis hin zu Einschränkungen des internationalen Handels wären dann schlimmstenfalls vorstellbar. Am Ende würden dann alle verlieren – sowohl die Schwellenländer als auch die Industriestaaten.

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