LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
, in AnalysenLesedauer: 10 Minuten

Gerd Kommer und Daniel Ganowski Angst vor dem Allzeithoch – ein schädlicher Irrtum

Chart des S&P 500 mit arithmetischer vertikaler Achse
Chart des S&P 500 mit arithmetischer vertikaler Achse: Dass Allzeithochs so beeindruckend aussehen, liegt meist auch an der Darstellungsweise von Charts, sagen Gerd Kommer und Daniel Ganowski. | Foto: Gerd Kommer Invest

Der Begriff des Allzeithochs ist in den Finanzmedien und in der Blogosphäre allgegenwärtig. Seine Präsenz schwillt immer dann zusätzlich an, nachdem der Aktienmarkt eine deutliche Aufwärtsentwicklung von zwei, drei Jahren oder mehr genommen hat. In solchen Zeiten regnen dann börsentäglich Nachrichten und Schlagzeilen wie „Dax-Allzeithoch: Vorsicht, jetzt nicht mehr kaufen!“ und ähnliche auf die Privatanleger-Community herab. Gibt man „stock market all time high“ in Google ein, liefert die Suchmaschine gut zwei Milliarden Treffer.

In unserer Beratungspraxis vergeht seit unserem Unternehmensstart vor gut vier Jahren kaum eine Woche, in der uns nicht ein weiterer besorgter Mandant oder Neukunde nahelegt, dass „jetzt“ kein guter Zeitpunkt für den Einstieg in den Aktienmarkt sein könne, da dieser ja in der Nähe seines Allzeithochs notiere, der Aktienmarkt mithin teuer und hoch bewertet sei.

Wir wollen in diesem Beitrag zeigen, dass der Begriff des Allzeithochs (nachfolgend der Kürze halber AZH) in Bezug auf die Frage des Bewertungsniveaus des Aktienmarkts nicht nur konzeptionell fehlkonstruiert ist. Er eignet sich darüber hinaus auch exzellent dafür, Anlageschäden anzurichten, wenn man seine Investmententscheidungen darauf abstellt. Mit Anlageschäden sind hier insbesondere entgangene Gewinne gemeint, im Ökonomen-Jargon Opportunitätskosten.

Warum ist der AZH-Begriff eine konzeptionelle Fehlkonstruktion? Die Bezeichnung Allzeithoch wird in der Privatanlegerpraxis – wie in den vier beispielhaften Zitaten weiter oben – nahezu unisono als Bewertungskennzahl verstanden. Will heißen, das AZH signalisiere in Bezug auf einen Aktienindex (oder den Markt), dass dieser teuer oder hoch bewertet sei.

AZH ist keine Bewertungskennzahl

In Wirklichkeit zeigt das AZH nichts dergleichen. Weder dass Aktien teuer, noch dass sie hoch bewertet sind. Ganz einfach deswegen nicht, weil das nur eine Bewertungskennzahl zeigen kann – und genau das ist das AZH nicht.

Bewertungskennzahlen für Aktien oder den Gesamtaktienmarkt drücken in den meisten Fällen das Verhältnis des Aktienkurses (Aktienpreises) zu einer fundamentalen (betriebswirtschaftlichen) Bezugsgröße aus. Diese Bezugsgröße könnte sein: Gewinn pro Aktie, Cash-Flow pro Aktie oder Bucheigenkapital pro Aktie. Die dazu gehörigen Bewertungskennzahlen heißen Kurs-Gewinn-Verhältnis/KGV, Kurs-Cash-Flow-Verhältnis/KCFV und Kurs-Buchwert-Verhältnis/KBV. Bei einem Aktienindex, im Unterschied zu einer Einzelaktie, werden diese Größen naturgemäß für alle Aktien im Index aufsummiert, was aber nichts am Grundprinzip ändert.

1.200% Rendite in 20 Jahren?

Die besten ETFs und Fonds, aktuelle News und exklusive Personalien erhalten Sie in unserem Newsletter „DAS INVESTMENT Daily“. Kostenlos und direkt in Ihr Postfach.

Mit anderen Worten, auch wenn es unserem Bauchgefühl widerspricht: Der absolute Indexstand alleine als Zahl ohne Bezugsgröße sagt rein gar nichts darüber aus, ob der Markt teuer oder billig, hoch bewertet, normal bewertet oder niedrig bewertet ist – gleichgültig, ob der Indexstand in diesem Moment ein AZH markiert oder auf irgendeinem anderen niedrigeren Level steht. Wenn das AZH mithin nichts aussagt über Bewertung, dann ist es nicht nur sinnlos, sondern sogar schädlich, bewertungsgetriebene Investmententscheidungen am AZH auszurichten, also beispielsweise keine Neu- oder Nachinvestitionen in der Nähe eines AZHs vorzunehmen.

Schädlich für Anlageentscheidungen

Ein kleines Gedankenexperiment zur Illustration: Wir nehmen an, die Gewinne der Dax-Unternehmen wachsen jährlich und stetig um 1 prozent. (Das wäre weit weniger als das tatsächlich langfristig durchschnittliche Gewinnwachstum von 3 bis 4 Prozent pro Jahr.) Zugleich steigen die Kurse inklusive reinvestierter Dividenden der Dax-Aktien langfristig um 0,5 Prozent pro Jahr. (Auch das ist weit weniger als die tatsächliche Zahl: die nominale Dax-Rendite betrug von 1970 bis 2020 6,3Prozent aufs Jahr gerechnet.)

In dieser gedanklichen Welt würde der Dax jedes Jahr, streng genommen sogar jeden Monat, ein neues AZH erreichen. Seine am KGV gemessene Bewertung – und auf die Bewertung kommt es hier ja an – würde aber trotzdem immer weiter sinken. Anders ausgedrückt, die Dax-Aktien in unserem Gedankenexperiment würden kontinuierlich jedes Jahr immer billiger und günstiger bewertet werden, während sie fortwährend neue AZHs erklimmen.

Solche theoretischen Überlegungen sind wichtig, sollten aber stets mit empirischen Daten überprüft werden. Das wollen wir nachfolgend anhand des S&P 500-Aktienindex tun. Der S&P 500 ist der wohl bekannteste Aktienindex der Welt. Er bildet die 500 größten Firmen ab, die an den drei großen US-Börsen gelistet sind und macht rund 60 Prozent des Börsenwertes aller gelisteten US-Unternehmen aus.

Tipps der Redaktion