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Gerd Kommer und Daniel Ganowski Angst vor dem Allzeithoch ein schädlicher Irrtum

Von , in AnalysenLesedauer: 10 Minuten
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Die in den Medien und im Marketing-Material der Finanzbranche dominierende Darstellungsform für Kursgrafiken, wie in Abbildung 1, erzeugt – sofern (a) eine trendmäßig positive Kursentwicklung und (b) ein Zeitraum von, sagen wir, mehr als fünf Jahren vorliegen – in den meisten Fällen eine optische Illusion. Sie legt nahe, dass der größte Teil der Rendite beziehungsweise Vermögensbildung im letzten Drittel oder letzten Viertel des Gesamtzeitraums stattgefunden habe – auch wenn das in Bezug auf die hier relevanten jährlichen Renditen in Wirklichkeit nicht der Fall war. Der Zinseszinseffekt bewirkt hier einen optischen Effekt, der bei den allermeisten Betrachtern, selbst vielen Profis, intuitiv zu einem falschen Verständnis der realen Marktgeschehnisse führt.

Optischer Effekt

Bauchgefühlsmäßig schlussfolgert der typische Betrachter aus diesem aufwärts verbogenen Kurvenverlauf, es sei erst in der jüngeren Vergangenheit zu einer hohen Bewertung und dadurch zu einem am Ende überteuerten Markt (oder einem überteuerten Einzelwert) gekommen. Diese Interpretation ist verständlich und dennoch heillos verkehrt, wie Abbildung 2 veranschaulicht.

Die logarithmische Darstellungsweise lässt die tatsächliche Sachlage viel besser und weniger missverständlich erkennen. Sie stellt gleiche prozentuale Zuwächse im Zeitablauf optisch auch immer gleich dar, unabhängig davon, ob diese am Anfang, in der Mitte oder am Ende der Gesamtperiode auftraten. So muss es sein. So ist es aber bei einer arithmetisch-linearen Grafik leider nicht, wo ein gegebener Prozentzuwachs auf der rechten, späten Seite einen steileren, stärkeren Anstieg der Linie bewirkt als auf der linken, frühen.

Eine Kursgrafik anstelle einer Zahlentabelle oder einer Gleichung wird als Darstellungsinstrument deswegen gewählt, weil sie ein visuelles Bild ist. Sie muss daher visuell so gestaltet sein, dass sie von einem normalen, typischen Betrachter allein auf der Basis der Optik zuverlässig richtig verstanden wird. Die arithmetische Darstellungsweise auf der vertikalen Achse verhindert das jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit und suggeriert falsch, dass der Aktienmarkt in der jüngeren Vergangenheit besonders stark gestiegen sei.

Fazit

Wenn es um die Frage geht, ob ein bestimmter Aktienmarkt teuer – also hoch bewertet – ist oder nicht, dann ist das Konzept des Allzeithochs zur Beantwortung dieser Frage nutzlos und unter Umständen sogar schlimm irreführend. Es gehört in den Ascheeimer der Finanzmarktgeschichte.

Privatanleger sind gut beraten, jeden Zeitungsartikel und jede Internet-Publikation, die ein Allzeithoch im Aktienmarkt als irgendwie handlungsleitende Information verkaufen, zu ignorieren und dem Autor dieser Publikation per direkter E-Mail die Auszeichnung „Investment-Clown der Woche“ zu verleihen.

Wer sich ernsthaft für das Bewertungsniveau des Aktienmarktes interessiert, muss echte Bewertungskennzahlen betrachten, nicht billiges Blendwerk wie das Allzeithoch. Echte Bewertungskennzahlen haben allerdings den Nachteil, dass sie mehr Nachdenken erfordern als ein Allzeithoch.

Per 31. Dezember 2020 notiert der globale Aktienmarkt, gemessen am breitesten aller Aktienindizes, dem MSCI ACWI IMI Index, etwa ein Fünftel über seinem historisch mittleren KGV und etwa ein Drittel über seinem historisch mittleren KBV. Das ist weit entfernt von einer Rekordbewertung, geschweige denn einer vermeintlichen Allzeithoch-Bewertung. Wer den Teilmarkt USA von circa 60 Prozent Gewicht gemäß Marktkapitalisierung auf zum Beispiel 30 Prozent Gewicht reduziert – wie wir das tun –, der hat auch diese moderate Höherbewertung eliminiert. Insbesondere, wenn ein Teil dieser 60 Prozent in Schwellenländeraktien reallokiert wird. Ebenso führt die Betonung von aktuell außergewöhnlich preisgünstigen Value-Aktien zu einem deutlich bewertungssenkenden Effekt.

Wichtiger als die Bewertung relativ zum eigenen historischen Mittel der jeweiligen Asset-Klasse oder des Index ist jedoch die Bewertung relativ zu den konkret infrage kommenden Investmentalternativen. Die zwei wesentlichen Anlagealternativen zu Aktien sind für die meisten Privatanleger im DACH-Raum (DE, AT, CH): (a) High Quality-Anleihen (Anleihen von Emittenten hoher Bonität) und (b) Wohnimmobilien in den DACH-Ländern. Im Vergleich zu den Bewertungen dieser beiden Asset-Klassen sind „Aktien global“ aktuell ungewöhnlich attraktiv.

High Quality-Anleihen sind sehr teuer. Teuer ist bei Anleihen eine andere Ausdrucksweise dafür, dass ihre Realzinsen unüblich niedrig sind. Wohnimmobilien in den größeren Städten im deutschsprachigen Raum sind derzeit größtenteils außerordentlich hoch bewertet. In Bezug auf diese Städte in Deutschland von einer Wohnimmobilienblase zu sprechen, dürfte nicht übertrieben sein – so sehen es jedenfalls die Schweizer Großbank UBS in ihrem kürzlich veröffentlichten Global Real Estate Bubble Index 2020 und (etwas vorsichtiger) die Bundesbank (Monatsbericht 2/2020).

Bankguthaben, das unter Deutschen populärste Finanzprodukt, sind oberhalb der staatlichen Einlagensicherung von 100.000 Euro keine Alternative, da inakzeptabel risikoreich. Für das unter Privathaushalten zweitpopulärste Finanzprodukt, kapitalbildende Lebensversicherungen, gilt aufgrund des Ausfallsrisikos der Versicherungsgesellschaft das Gleiche. Dazu kommen bei KLVs – mit Ausnahme der vor 2005 abgeschlossenen Policen im klassischen Format – auch noch unattraktive Renditen.


Über die Autoren:

Gerd Kommer ist Chef der Honorar-Finanzanlagenberatung Gerd Kommer Invest. Vor Gründung der eigenen Firma war Kommer rund 24 Jahre im Firmenkunden-Kreditgeschäft und Asset Management verschiedener Banken tätig.
Daniel Ganowski ist Finanzberater bei Gerd Kommer Invest, zuständig für Kundenakquise und -beratung sowie Portfoliomanagement. Der studierte Wirtschaftsmathematiker war zuvor als Versicherungsmathematiker für ein Software-Start-up tätig gewesen.

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