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Was die neue Normalität am Anleihenmarkt für Anleger bedeutet

Im Sommer 2020 lagen die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen bei rund 0,5 Prozent, im Herbst 2023 waren sie plötzlich auf knapp 5,0 Prozent gestiegen. Die jahrzehntelange Ära der niedrigen Anleihenrenditen hatte ein Ende. Anleihen sind zurück – und zwar nicht nur als taktische Anlage für die kommenden Quartale, sondern auch als strategische Option.
Von 1981 bis 2011 stiegen und fielen die Anleihenrenditen mit jedem Konjunkturzyklus – tendierten aber stetig nach unten. Es handelte sich praktisch um einen dreißigjährigen Bullenmarkt, der durch die Beseitigung der „großen Inflation“ der 1970er-Jahre angetrieben und durch eine Reihe von Deflationstendenzen gestützt wurde. Die Inflation sank und die Anleihenrenditen folgten dem Trend: Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen fielen langsam von rund 16 Prozent im Jahr 1981 auf knapp 2 Prozent im Jahr 2011 (siehe Grafik). Diese drei Jahrzehnte waren trotz kurzfristiger Aufschwünge und Einbrüche eine goldene Ära für Anleihen.
Grafik: Rendite von US-Staatsanleihen drei Jahrzehnte im Sinkflug

Zwischen 2011 und 2021 ging schließlich sowohl der Inflation als auch den Anleihenrenditen der Spielraum nach unten aus. Es wurde zum Konsens, dass wir uns in einer „neuen Normalität“ befinden und die Anleihenrenditen auf absehbare Zeit niedrig bleiben würden, weil die weltweiten Deflationstendenzen zu stark seien. Es herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass die Zentralbanken nicht in der Lage seien, Inflation zu erzeugen – obwohl sie von Zinssenkungen bei Bedarf auf unter Null zur direkten Zuführung von mehr Geld in das Finanzsystem durch „quantitative Lockerung“ übergingen.
Corona-Pandemie bringt die Inflation zurück
Zwar ist diese Beschreibung eine Vereinfachung. Es ist aber aus unserer Sicht hilfreich, das aktuelle Umfeld im Kontext der zwei verschiedenen Epochen in der modernen Geschichte von Anleihen zu sehen: Der Bullenmarkt von 1981 bis 2011, den wir als goldene Ära bezeichnen, und das renditeschwache „verlorene Jahrzehnt“ von 2011 bis 2021. Mit Blick nach vorne warnen wir davor, eine dieser beiden Perioden als „normal“ zu betrachten.
Die heutigen höheren Anleihenrenditen sind die direkte Folge einer Inflation, die rasch auf ein vor fünf Jahren noch undenkbares Niveau gestiegen ist. Die Zentralbanken reagierten darauf mit den schnellsten und aggressivsten Zinserhöhungen seit Jahrzehnten. Auf die Gefahr hin, das Offensichtliche festzustellen: Sonst hat sich nichts geändert.
Die Globalisierung hat sich nicht plötzlich zurückentwickelt, die EU hat sich nicht aufgelöst, Technologie ist nicht plötzlich ineffizient geworden und keiner der oft zitierten strukturellen Faktoren, die als Ursache für die niedrige Inflation gelten, ist verschwunden.
Man könnte zwar argumentieren, dass die höhere Inflation unvermeidliche Folge eines Jahrzehnts extrem lockerer Geldpolitik war. Die einfachere Erklärung ist aber, dass sie aufgrund eines gewaltigen externen Schocks weltweit in die Höhe schoss – der Corona-Pandemie. Die Teuerung stieg aufgrund von Engpässen auf der Angebotsseite in Kombination mit einer infolge beispielloser fiskalischer Anreize gestiegenen Nachfrage. Die Pandemie hat bewiesen, dass die Inflation nicht verschwunden ist. Im Gegenteil: Sie kann immer noch ein erhebliches Risiko darstellen.
Vielfältige Argumente für höhere Anleiherenditen
Die Zentralbanken bevorzugen eine gewisse Inflation in ihren Volkswirtschaften. Das letzte Jahrzehnt war für die Geldpolitiker schwierig. Wir denken daher, dass sie die Teuerung höher halten möchten als im letzten Jahrzehnt. Und sie haben Instrumente und Techniken entwickelt und getestet, um dies zu gewährleisten.