

- Startseite
-
Warum Anleihenrenditen so schnell steigen und was das bedeutet

„Ich möchte keine Schuldverschreibungen besitzen. Sie wissen schon, keine Anleihen und dergleichen.“ Mit diesen Worten sorgte Fondsmanager Ray Dalio kürzlich für Aufsehen. Schließlich erlebten Anleihen in den letzten Monaten ein beeindruckendes Comeback. Nach Jahren mit mickrigen oder sogar negativen Renditen sind diese nun wieder im real-positiven Bereich angekommen. Doch Dalio, der jahrzehntelange Erfahrung an den Kapitalmärkten besitzt, lässt das offenbar unberührt: „Vorübergehend halte ich Bargeld für gut", erklärte er im September im Rahmen des 10. Milken Institute Asia Summit in Singapur.
Dalio besorgt vor allem eine Tatsache: Wenn Schulden einen großen Anteil an der Wirtschaft ausmachen, steigen tendenziell die Zinszahlungen, wodurch sich die Schuldenlage für Staaten immer weiter verschlimmere und beschleunige. Am Ende werde ein Land gezwungen, eine große Menge an Anleihen an weltweite Investoren zu verkaufen. Also lieber raus aus Anleihen, so seine Devise.
Der plötzliche Renditeanstieg der Anleihen
Anleihen galten für viele Investoren lange Zeit als „sicherer Hafen“. Doch dass sie ihre eigenen Regeln mit sich bringen, zeigt sich dieser Tage: Die Renditen von US-Staatsanleihen haben einen signifikanten Anstieg erlebt, der weitreichende Auswirkungen auf verschiedene Anlageklassen und die globale Wirtschaft hat.
Die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe stieg zuletzt auf 4,80 Prozent. Damit liegt sie nur noch knapp unter ihrem Höchststand seit dem Jahr 2007. Viele Händler scheinen sich mittlerweile mit dem Gedanken abgefunden zu haben, dass die Zinsen noch eine Weile auf hohem Niveau bleiben werden.
Für Investoren wirft diese Entwicklung eine Reihe von Fragen auf: Wie lange wird dieser Trend noch anhalten? Muss die Anlagestrategie angepasst werden, um sich vor erhöhten Risiken zu schützen oder neue Chancen zu nutzen? Und was sind überhaupt die tieferen Ursachen für diese plötzliche Veränderung in einem Marktsegment, das oft als sicherer Hafen in turbulenten Zeiten angesehen wird?
Die Mechanik hinter dem Renditeanstieg
Eine Schlüsselrolle im aktuellen Anstieg der Anleihenrenditen spielt die Federal Reserve durch ihre Politik der quantitativen Straffung (quantitative tightening). Im Gegensatz zur quantitativen Lockerung (quantitative easing), bei der die Zentralbank Anleihen kauft, um die Geldmenge zu erhöhen und die Zinsen zu senken, verkauft die Fed nun aktiv ihre Anleihenbestände.
Dieses Vorgehen macht die Fed zu einem Nettoverkäufer von Staatsanleihen und erhöht das Angebot dieser Papiere auf dem Markt.
Ein erhöhtes Angebot bei gleichbleibender oder sinkender Nachfrage führt zu niedrigeren Anleihenpreisen. Da die Rendite invers zum Anleihenpreis steht, führt ein Preisverfall zu steigenden Renditen.
Was der Arbeitsmarkt mit Zinserwartungen zu tun hat
Für die Anstiege der Anleihenrenditen gibt es eine Reihe von Faktoren. Einer davon sind die Arbeitsmarktdaten. Jüngste Berichte zeigen eine robuste Arbeitsmarktsituation in den USA, was die Erwartungen einer bevorstehenden Zinserhöhung durch die Fed verstärkt hat.
Höhere Zinsen erhöhen die Attraktivität neu ausgegebener Anleihen, da sie höhere Renditen versprechen. Dies hat zur Folge, dass die Nachfrage nach älteren, niedriger verzinsten Anleihen abnimmt. Wenn Investoren ihre bestehenden Anleihenbestände verkaufen, um die neuen, höher verzinslichen Papiere zu kaufen, sinken die Preise der älteren Anleihen, was wiederum die Renditen in die Höhe treibt.
Ein weiterer Faktor, der den Anstieg der Anleihenrenditen beeinflusst, ist das steigende Haushaltsdefizit der USA. Um das Defizit zu finanzieren, muss die US-Regierung mehr Staatsanleihen ausgeben. Ein erhöhtes Angebot an Staatsanleihen auf dem Markt übt wiederum zusätzlichen Druck auf die Anleihenpreise aus. Übersteigt das Angebot die Nachfrage, sinken die Preise, was wiederum zu höheren Renditen führt.
Stiehlt Japan den US-Anleihen die Show?
Dieser Mechanismus wird durch die Tatsache verstärkt, dass ausländische Käufer, insbesondere Zentralbanken, ihre Käufe von US-Staatsanleihen verlangsamen könnten. Japanische Investoren sind „Bloomberg“ zufolge traditionell eine der größten Gruppen ausländischer Käufer von Staatsanleihen. Die könnten sich jedoch zunehmend auf den heimischen Markt konzentrieren. Der Grund dafür ist, dass die Renditen in Japan steigen könnten, falls die Bank of Japan ihre bisher lockere Geldpolitik strafft.
Ein Rückzug japanischer Investoren aus dem US-Anleihenmarkt würde das Angebot an verfügbaren Anleihen erhöhen und damit den Druck verstärken.
Deutsche Bundesanleihen steigen und steigen
Ein Anstieg der Anleihenrenditen ist auch diesseits des Atlantiks ein Thema. Im September beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) die zehnte Zinserhöhung in Folge. Und weitere Anhebungen seien nicht ausgeschlossen, erklärte man im Nachgang. Diese Signale haben die Renditen europäischer Staatsanleihen, einschließlich der deutschen Bundesanleihen, in die Höhe getrieben.
Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen ist diese Woche erstmals seit zwölf Jahren über die Marke von drei Prozent gesprungen. Das ist der höchste Stand seit 2011. Zum Vergleich: Anfang des vergangenen Jahres lag die Rendite noch bei minus 0,18 Prozent. Der Staat verdiente also am Schuldenmachen, weil Investoren Negativzinsen zahlen mussten.
Kurzläufer sind das Mittel der Wahl
Was bedeutet das alles für Anleger? Vor allem langlaufende Anleihen werden derzeit kritisch gesehen. Edgar Walk, Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Metzler, rät etwa davon ab, in langlaufende US-Staatsanleihen zu investieren. Seiner Analyse zufolge wird das Inflationsrisiko durch die derzeitigen Renditen nicht ausreichend kompensiert.
Der Hedgefonds-Manager Jeffrey Gundlach, auch bekannt als „König der Anleihen“, sagte neulich gegenüber dem „Wall Street Journal“: „Einer unser Lieblingssprüche lautet derzeit ‚T-Bill and Chill‘“. Sprich: Kurzläufer kaufen und abwarten. Diese bieten aktuell Renditen von deutlich über fünf Prozent. Der Vorteil dieser Strategie liegt darin, dass diese Anleihen bei einem weiteren Anstieg der Renditen kaum an Wert verlieren. Allerdings ist der Nachteil, dass die attraktiven Konditionen nur für eine begrenzte Zeit garantiert sind.
Ähnlich sieht es auch Tatjana Greil Castro, Co-Leiterin für Public Markets und Portfoliomanagerin bei Muzinich: „Kurzlaufende Anleihen bieten weiterhin einen Renditeaufschlag gegenüber langfristigen Anleihen sowie einen gewissen Schutz vor Zins- und Spread-Volatilität. Sofern es nicht zu einer schweren Rezession oder einer Kehrtwende in der Zentralbankpolitik kommt, werden sie unserer Ansicht nach mittelfristig besser abschneiden als langfristige Anlagen.“
Das liegt auch an einem seltenen Phänomen, welches derzeit an den Finanzmärkten zu beobachten ist: der inversen Zinskurve. Denn die geldpolitischen Maßnahmen führten zu einem Aufwärtsdruck am vorderen Ende der Zinskurve, während zunehmende Rezessionssorgen und die Erwartung von Zinssenkungen eine inverse Zinskurve nach sich zogen. Das Zusammenspiel dieser Faktoren führte zum höchsten Grad an Kurveninversion seit den frühen 1980er Jahren in den USA und den frühen 1990er Jahren in Europa. Wie lange dieser Zustand der Fall sein wird, ist unklar. „Die Rezessionsängste scheinen zu schwinden und die Zins- sowie Inflationsaussichten deuten darauf hin, dass die jetzige inverse Zinskurve nicht länger gerechtfertigt ist“, so Greil Castro.
Aktien werden es erst einmal schwer haben
Unklar sind die Einschätzungen bezüglich der Entwicklungen von Aktien im aktuellen Zinsumfeld. Swisscanto etwa ist skeptisch angesichts der Tatsache, dass die Zinsen über einen längeren Zeitraum hoch bleiben werden: „Das restriktive geldpolitische Umfeld wird auf absehbare Zeit als Bremsfaktor für den Aktienmarkt wirken. Zusammen mit der anhaltenden Krise am chinesischen Immobilienmarkt führte dies zu einem schwierigen Umfeld für Aktien mit entsprechenden Kursrückgängen.“
Besonders schwierig sei die konjunkturelle Lage in der Eurozone, so die Swisscanto-Experten. „Gemäß unseren ökonomischen Prognosen befindet sich die Eurozone bereits seit Sommer in einer milden Rezession, die bis ins nächste Jahr andauern wird. Die Aktienmärkte der Eurozone aber haben diese Rezession noch nicht genügend eingepreist.“ Man interpretiere die derzeitige Lage deshalb als „Ruhe vor dem Sturm“ und rechne damit, dass es zu weiteren Kursrückgängen bei europäischen Aktien kommen wird.
Michael Blümke, Portfolio Manager bei Ethenea, wiederum ist optimistischer. Zwar sei eine anhaltende Wachstumsverlangsamung zu beobachten, verschiedene Frühindikatoren würden jedoch signalisieren, dass man bereits unmittelbar vor einer Bodenbildung stehe. „Berücksichtigt man nun den vorlaufenden Charakter des Aktienmarktes und die in der Regel positive Saisonalität zum Jahresende, gehen wir – insbesondere angesichts der gerade stattfindenden Konsolidierung – von einem versöhnlichen letzten Quartal aus.“