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Wie Argentinien seine finanziellen Probleme lösen kann


© RBC Bluebay AM
Argentinien hat in den vergangenen zehn Jahren weit über seine Verhältnisse gelebt: Das jährliche Haushaltsdefizit liegt vier Prozent höher als in der vorherigen Dekade. Dadurch und zusätzlich getrieben durch die Wirtschaftspolitik der beiden Kirchner-Regierungen stieg die Inflation von 10 Prozent auf derzeit mehr als 120 Prozent. Die Entwicklung der finanziellen Situation des Landes spiegelt sich auch in seiner Kreditwürdigkeit wider: Bei der Ratingagentur Moody’s hat sich die Bewertung seit 2001 um fünf Stufen von B2 auf das aktuelle Ca-Rating verschlechtert – obwohl die Republik von der Weltbank mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-BIP von 10.000 US-Dollar als Land mit hohem Einkommen eingestuft wird.
Am 22. Oktober wird in Argentinien ein neuer Präsident gewählt. Die drei Kandidaten – Patricia Bullrich von der Partei des ehemaligen Amtsinhabers Mauricio Macris, Cambiemos, der radikale Liberale Javier Milei und Sergio Massa von der amtierenden peronistischen Partei – haben alle in unterschiedlichem Maße die Notwendigkeit einer Haushaltsanpassung anerkannt. Selbst die Wähler scheinen Kandidaten zu unterstützen, die radikale Maßnahmen fordern. Die Geschichte Argentiniens hat jedoch gezeigt, dass viele Regierungen nicht in der Lage oder willens waren, harte Maßnahmen durchzusetzen, wenn es an der Zeit war – insbesondere angesichts potenzieller Risiken in Bezug auf die Regierbarkeit und soziale Unruhen.
Kein Vertrauen in die Währung
Welcher ist nun der richtige Weg, um Argentinien aus der Krise zu führen? Als ich im Sommer dieses Jahres in Buenos Aires ankam, fühlte sich die Hauptstadt so fröhlich und attraktiv an wie eh und je. Das Leben brummte, die Restaurants waren voll und das Wort „Krise“ passte so gar nicht ins Bild – bis ich versuchte, US-Dollar zu tauschen: Der Wechselkurs hing stark von dem Betrag ab, den ich wechseln wollte. Für eine kleine Menge US-Dollar wurde mir der offizielle Wechselkurs des argentinischen Pesos (ARS) von rund 350 pro US-Dollar angeboten; für einen wesentlich höheren Betrag der Schwarzmarktkurs von 750.
Argentinien ist schier „ausgabensüchtig“. Das Land hat seine Verbindlichkeiten in den letzten zwei Jahrzehnten zweimal umgeschuldet, obwohl es nur wenige Monate vor seinem zweiten Zahlungsausfall 2019 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) 50 Milliarden US-Dollar erhalten hatte. Trotz des IWF-Programms im Anschluss an die Umstrukturierung erhöhte das Land seine Ausgaben weiter: Es steigerte seine Geldbasis um 18 Prozent, druckte also Geld, um die primären Haushaltsdefizite der letzten vier Jahre zu finanzieren. Dieser Teufelskreis an Mehrausgaben führt zu Hyperinflation, Vertrauensverlust in die Währung und weiteren Herausforderungen.
„Dollarisierung“ als Lösung?
Ist das Land besser dran, wenn es zuerst das Problem der Hyperinflation angeht? Der Kandidat Milei schlägt die „Dollarisierung“ als Lösung vor. Auch wenn einige dieses radikale Konzept für attraktiv halten, liegt das Hauptrisiko in den Kosten der Umsetzung. Nach dem Sieg von Milei bei den Vorwahlen Mitte August wertete die argentinische Währung innerhalb weniger Tage um 20 Prozent ab. Die Vertrauenskrise ist so weitreichend, dass eine weitere Belastung einen Ansturm auf die Banken auslösen könnte – und dieser sich möglicherweise zu einer Bankenkrise ausweitet.
Dazu kommt: Bei einer Geldbasis von 8 Milliarden argentinischer Peso (ARS) und lokalen Einlagen von 12 Milliarden Peso würde Argentinien bei einem ARS/USD-Kurs von 500 ganze 40 Milliarden US-Dollar benötigen, um den Swap durchzuführen. Da die argentinische Zentralbank negative Nettowährungsreserven von 7,9 Milliarden US-Dollar hat, ist unklar, wer diese Dollar-Liquidität bereitstellen könnte.
Mit Blick auf die beiden anderen Kandidaten ist nicht gerade vertrauenserweckend, dass ihre jeweiligen Parteien in der Vergangenheit ihre Ziele nicht erreicht haben. Die derzeitigen Preise für Staatsanleihen deuten darauf hin, dass auch der Markt skeptisch ist. Er wird von der neuen Regierung Beweise für ihr Engagement und ihre Umsetzungskraft sehen wollen. Davon hängt ab, ob Argentiniens Staatsverschuldung endlich in den nachhaltigen Bereich vordringen kann.
Argentinien muss sparen, sparen und sparen
Aus meiner Sicht gibt es nur eine einzige Möglichkeit, das Problem Argentiniens zu lösen: die übermäßigen Ausgaben stoppen. Kurzfristig wird dies für die Bürger schmerzhaft sein, da die Schere zwischen den Lebenshaltungskosten und den Einkommen noch weiter aufgeht. Aber es würde auch die Basis für einen langfristigen Strukturwandel in der Wirtschaft schaffen.
In diesem Jahr hatte das Land besonders viel Pech mit Dürreperioden. Diese haben 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung gekostet. Auch die Hoffnungen auf einen Anstieg der Gasexporte um 25 Milliarden US-Dollar können sich schnell in Luft auflösen, wenn aufgrund der Währungskrise die Investitionen auf Eis gelegt werden.
Die neue Regierung und das argentinische Volk müssen bittere Medizin nehmen, um aus dem Teufelskreis zu entkommen und vom Rand des Abgrunds zurückzutreten. Es ist Zeit für eine Entscheidung.
Über die Autorin
Polina Kurdyavko ist Leiterin Schwellenmärkte und Senior Portfoliomanagerin bei RBC BlueBay Asset Management. Sie kam im Juli 2005 von der UBS, wo sie als Anleiheanalystin im Bereich Emerging Markets Corporate Research tätig war, zu BlueBay Asset Management, das mittlerweile ein Teil von RBC Global Asset Management ist. Zuvor war Polina Kurdyavko bei Alliance Capital als Aktienanalystin für Schwellenländer tätig und leistete Pionierarbeit im quantitativen Schwellenländer-Research des Unternehmens. Ihre Karriere begann sie in einer Makro-Research-Boutique in Russland. Sie hat einen MSc (Hons) in Finanzen von der People's Friendship University of Russia in Moskau und ist CFA-Charterholder.