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Assenagon-Chefökonom befürchtet Niedrige Inflation deutet womöglich einen Systemfehler an

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Einer ist, dass viele dem Frieden nicht trauen. Sie fürchten, die Preise könnten mit einer Zeitverzögerung doch reagieren. Das dicke Ende könnte also noch kommen. Die amerikanische Notenbank hat sich die Option auf weitere Zinserhöhungen in diesem Jahr vorsorglich offen gehalten. Andererseits winkt die Europäische Zentralbank ab. Sie erwartet noch für die nächsten zwei Jahre Preissteigerungen von unter 2 %. Da muss man keine Angst haben.

Zweitens ist die Inflation noch nicht völlig weg. Sie ist nur nicht mehr so groß wie befürchtet. Es gibt immer noch Grund zum Klagen. Besonders ärgerlich sind die hohen Steigerungen in einzelnen Bereichen der Wirtschaft, zum Beispiel bei Mieten und Hauspreisen.

Drittens sind die Zentralbanken nicht zufrieden. Die EZB müsste laut Gesetz eigentlich eine Inflation von "nahe aber unter 2 %" erreichen. Sie bräuchte also eine höhere Inflation. Allerdings ist das Unterschießen des Inflationsziels für die meisten Menschen weniger schlimm, vorausgesetzt es gibt keine Deflation. Das ist derzeit aber nicht der Fall. Nie­mand wird der EZB also einen Strick drehen. Im Übrigen beträgt die Abweichung der aktuellen Preissteigerung von dem Ziel nur ein paar Zehntel Prozentpunkte. Das ist nicht die Welt.

Viertens haben wir anstelle der Inflation ein neues Problem: Die Abschwächung der Konjunktur und die Angst vor einer Rezession. Das eine hat zwar mit dem anderen nur bedingt etwas zu tun. Die Preissteigerung war auch niedrig, als die wirtschaftliche Aktivität noch besser war. Trotzdem belastet es natürlich die Stimmung.

Fünftens und im Zusammenhang damit gibt es grundsätzliche Zweifel. Wenn gute Konjunktur nicht mehr automatisch zu höheren Löhnen und mehr Preissteigerungen führt und schlechte nicht zu niedrigeren Löhnen und weniger Geldentwertung, dann stimmt etwas nicht in der Volkswirtschaft. Der marktwirtschaftliche Preismechanismus ist gestört. Die geringe Inflation ist nicht – wie das früher der Fall war – Ausdruck der Tatsache, dass sich die Wirtschaft im Gleichgewicht befindet.

Sie wird vielmehr durch strukturelle Faktoren gering gehalten. Das sind die neuen Technologien, die die Kosten senken und die Preise digitaler Produkte niedrig halten. Das ist das wachsende Angebot der Niedriglohnländer auf den Weltmärkten. Das ist die Zurückhaltung der Gewerkschaften, weil ihre Mitglieder Angst vor Arbeitsplatzverlusten haben. Das ist die Ausweitung der Laufzeit bei Tarifabschlüssen (zuletzt fast drei Jahre im öffentlichen Dienst). Der Ölpreis wird durch die großen Förderländer stabilisiert.