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Assenagon-Chefökonom Martin Hüfner Das ist der Kontrapunkt zur Globalisierung

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Keine Zufallslaune

Die Neuordnung nach Kriegen und das Ende der Kolonialzeit waren natürlich einmalige Sondereffekte. Sie sind jetzt vorbei. Die Staatenbildung hat sich daher in letzter Zeit verlangsamt. Sie ist aber keineswegs zum Stillstand gekommen. Jahn geht davon aus, dass die Zahl der Staaten in Zukunft weiter steigen wird. Er verweist auf vielerlei Regionalisierungsbestrebungen in der Welt.

Bemerkenswert ist auch die Rolle Europas in diesem Prozess. Der Kontinent gehört bekanntlich zu den wichtigsten Protagonisten von Globalisierung und Integration. Hier entstand der größte Binnenmarkt der Welt. Trotzdem ist die Entwicklung der Regionalisierung hier relativ noch stärker ausgeprägt. Obwohl der Kontinent nur 7 Prozent der Landoberfläche der Erde ausmacht, entfallen auf ihn heute ein Viertel aller Staaten. Professor Jahn legt hier sogar Zahlen für die letzten zweihundert Jahre vor. Seit dem Wiener Kongress 1815 hat sich die Zahl der Staaten in Europa von 10 auf inzwischen 50 verfünffacht.

Welche Schlussfolgerungen kann man daraus ziehen? Normalerweise soll man bei der Interpretation historischer Vorgänge vorsichtig sein. Geschichte wiederholt sich nicht. Aber wenn sich eine Entwicklung über eine so lange Zeit hält, dann spricht viel dafür, dass sie nicht nur eine Zufallslaune ist. Drei Dinge sind festzuhalten.

Erstens: Globalisierung und Regionalisierung (gemessen an der Zahl der Staaten) sind keine Gegensätze, sondern gehören offenbar zusammen. Globalisierung ist wichtig für den Ausbau der internationalen Arbeitsteilung und die Schaffung von Wohlstand. Sie deckt aber nur einen Teil der Bedürfnisse des Menschen ab. Die Empathie der Menschen erreicht man eher über die Regionalisierung. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Zweitens: Die Regionalisierung macht auch vor den Nationalstaaten nicht halt. Auch sie sind nicht unveränderbar und in Stein gehauen. Sie haben sich zum Teil wieder in neue regionale Einheiten aufgespalten. Auch dies ist ein Trend, der noch aktuell ist. Der Widerstand etwa Madrids gegen die separatistischen Bewegungen in Katalonien oder Londons gegenüber einer Abspaltung Schottlands ist verständlich. Er wird sich aber auf Dauer nicht so halten lassen. Es scheint ein Bedürfnis der Menschen zu überschaubaren, kleineren homogeneren Einheiten zu geben. Ich würde mich nicht wundern, wenn es in Europa in zehn Jahren mehr Nationen gibt, als wir es uns derzeit vorstellen.

Drittens hat das auch Konsequenzen für die europäische Integration. Wir müssen aufpassen, dass wir bei den jetzt diskutierten weiteren Schritten zur Stärkung der Integration in Europa (die notwendig und wichtig sind) nicht die Regionen vergessen. In den letzten Jahren wurde immer mehr in Brüssel zentralisiert. Die Folge war, dass die Begeisterung für Europa in Teilen der Bevölkerung deutlich nachgelassen hat. Alles Schlechte dieser Welt wurde Brüssel in die Schuhe geschoben, alles Gute den Nationalstaaten.

Das sollte so nicht weitergehen. Die Stärkung der EU durch weitere Integration darf sich daher nicht auf Zentralisierung beschränken. Wer alles in Brüssel konzentriert, schafft vielleicht ökonomisch effizientere Strukturen, gewinnt aber nicht die Menschen. Es wäre ein wichtiges Signal, bei den anstehenden Reformen auch an das Europa der Regionen zu denken.

Für den Anleger

Was für die Volkswirtschaft richtig ist, gilt auch für Anleger. Große international operierende Unternehmen sind normalerweise die Lieblinge des Kapitalmarktes. Sie wachsen schneller, sind wettbewerbsfähiger und verdienen häufig auch besser. Wenn die Regionalisierung aber ein so wichtiger Trend ist, sollte man sich daneben auch regional bedeutsame Werte anschauen. Sie sind meist kleiner und weniger spektakulär, andererseits aber oft flexibler und anpassungsfähiger. Vor allem sind sie vielen Anlegern in der Region persönlich bekannt. Ihre Risiken sind besser abschätzbar.

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