Assenagon-Chefvolkswirt zur Geldpolitik „Anleger sollten nicht zu sehr auf Notenbanken vertrauen“
![Blick auf Frankfurt mit dem EZB-Gebäude: Der Notenbank ist es nicht gelungen, genügend Vertrauen im Markt aufzubauen, sagt Volkswirt Martin Hüfner.](/uploads/images/teaser/slider/big/1571831254-frankfurt-2345236_1920_EZB_Web.jpg)
Geldpolitik ist keine Wissenschaft, wie viele meinen. Sie ist eher eine Kunst. Sie erfordert nicht nur die richtige Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Lage und der weiteren Entwicklung. Sie muss auch die Psychologie der Märkte erspüren und bei ihren Handlungen berücksichtigen. Sie muss ihre Intentionen den Marktteilnehmern und der Öffentlichkeit überzeugend erklären, damit diese dann auch entsprechend reagieren können.
Meistens erfüllen die Zentralbanken die Voraussetzungen. Blickt man zurück auf die Geldpolitik in der Nachkriegszeit, so hat sie insgesamt gesehen einen guten Job gemacht. Seit den Wirren mit den ersten Ölpreiserhöhungen in den 70er und 80er Jahren ging die Geldentwertung kontinuierlich zurück. Sie liegt jetzt in den Industrieländern bei 2 Prozent oder darunter. Eine Deflation mit sinkenden Preisen gab es zu keiner Zeit. Insofern können wir zufrieden sein.
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Foto: Assenagon
Es gibt aber auch Pannen. Eine erleben wir gerade beim Euro. Angesichts der geringen Inflation (derzeit im Euroraum 0,8 Prozent), des nachlassenden gesamtwirtschaftlichen Wachstums und der Gefahr eines Abgleitens in die Rezession wäre eigentlich eine Erhöhung der monetäre Expansion mit niedrigeren Zinsen und einer Ausweitung der Liquidität angebracht. So hatte das EZB-Präsident Draghi in vielen Reden auch angekündigt. Tatsächlich sind die Renditen am Kapitalmarkt seit Jahresbeginn kontinuierlich zurückgegangen. Das passte zusammen.
Anfang Januar rentierten 10-jährige Bundesanleihen noch mit plus 0,2 Prozent. Im April fielen sie auf unter Null. Anfang September wurde dann der Tiefpunkt mit minus 0,6 Prozent erreicht. Das war für die Sparer nicht angenehm. Es war angesichts der gesamtwirtschaftlichen Konstellation aber logisch. Vor allem kam es ohne Zutun der Zentralbank zustande.
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1.200% Rendite in 20 Jahren?
Doch dann kam der Knacks. Am 12. September beschloss die EZB ein besonders umfangreiches Lockerungsprogramm. Es fiel mit dem Beschluss, die Wertpapierkäufe am Markt wieder aufzunehmen sogar noch größer aus als von manchen erwartet. Und was passierte am Markt? Etwas ganz Komisches. Die Renditen gingen als Folge der Lockerung nicht weiter zurück. Sie stiegen im Gegenteil an. Sie liegen inzwischen mit minus 0,37 Prozent über 20 Basispunkte über dem Stand von vor den Beschlüssen der EZB. Mit allem hätte ich gerechnet, aber damit nicht.
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Nun soll man kurzfristige Marktbewegungen nicht überschätzen. Hier spielen oft ganz unterschiedliche Faktoren eine Rolle. In den letzten vier Wochen knarzte es in der Weltwirtschaft ganz gehörig. Schlechte und gute Nachrichten wechselten sich fast im Minutentakt ab. Bei den amerikanisch-chinesischen Handelsverhandlungen, beim Brexit und nach dem Drohnenangriff auf saudi-arabische Ölförderanlagen gab es ein Wechselbad der Gefühle. Und weil das alles nicht genug war, wurde der Markt durch viele schlechte Nachrichten von der Konjunktur diesseits und jenseits des Atlantiks verunsichert. Die Anleger verlangten in dieser Situation einen Risikozuschlag auf die Renditen.