Aufschwung wie gedruckt
China: Die Enttäuschung
Die Zahlen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: 2003 wuchs das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 187 Milliarden Dollar – ein Zuwachs von 12,9 Prozent. Zehn Jahre später wächst es wahrscheinlich um 625 Milliarden Dollar. Das entspricht aber nur 7,5 Prozent. Basiseffekt. Doch die Enttäuschung ist groß. Was haben die denn alle gedacht?
Oliver Holtemöller glaubt nicht, dass es an der Wachstumsrate selbst liegt: „Das Risiko liegt eher darin, dass die für eine aufholende Volkswirtschaft normale Verlangsamung der Dynamik zu Verwerfungen auf den Immobilien- und Finanzmärkten führen könnte.“
Die Wirtschaft werde sich zwangsläufig entschleunigen, meint Virginie Maisonneuve, „weil sie reift und wichtige Reformen verarbeiten muss“. Trotzdem habe China absolut betrachtet das größte Wachstumspotenzial. „Beim BIP pro Jahr und Nase liegt China kaufkraftbereinigt mit 9.200 Dollar noch immer weltweit lediglich auf Platz 92, hinter Ländern wie Thailand“, nennt die Schroders-Managerin ein wichtiges Argument.
„Chinas neue Regierung will die Wirtschaft ernsthaft auf ein gesundes, durch inländischen Konsum geführtes Fundament stellen“, sagt Sandra Crowl, Mitglied des Investment-Komitees von Carmignac Gestion. Dafür müsse sie zunächst das Finanzsystem reformieren, Zinssätze freigeben und Kreditexzesse eindämmen. „Das wird in den kommenden Monaten noch schmerzhaft werden“, ergänzt sie.
Crowl räumt ein, dass Firmengründer Edouard Carmignac – seit Jahren China-Fan – das nachlassende Wachstum unterschätzt hat. Mittlerweile seien die Portfolios jedoch neu ausgerichtet: „Einige globale Markenwerte waren etwas zu China-lastig geworden.“ Chinesische Banken seien zudem in den Carmignac-Fonds überhaupt nicht enthalten.
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Es läuft nicht wie geplant
Chinas Frühindikatoren geben ein gemischtes Bild ab. Der viel beachtete Einkaufsmanagerindex von HSBC rutschte im Mai unter die Wachstumsschwelle von 50 Punkten und erreichte im Juli mit 47,7 Punkten ein Elfmonats-Tief.
Der staatlich erhobene Auftragsindex deutet dagegen nach wie vor auf Wachstum. Was man auch immer davon halten mag. Doch im August zog auch der HSBC-Index wider Erwarten kräftig auf 50,1 Punkte an. HSBC führt das auf Maßnahmen der Regierung – gesenkte Steuern und öffentliche Investitionen – zurück. Das Auftragsplus komme vor allem aus dem eigenen Land, der Export zeige weiter Schwäche.
Genau diesen Kurswechsel will Peking hinbekommen: weg von den Kuli-Arbeiten für die westliche Welt, hin zu einer eigenen starken Konsumkultur. Zuletzt klappte das eher weniger: Der Konsumanteil am Wirtschaftswachstum sank im zweiten Quartal auf 3,4 Prozentpunkte nach 4,3 Prozentpunkten Ende 2011.
Schroders-Stratege Wade fragt bereits, wann die Kavallerie kommt. Eine eher rhetorisch gemeinte Frage, denn er sieht sie schon heranbrausen: Die Eisenbahnindustrie soll künftig offen für private Investoren sein.
Kleine Unternehmen hat die Regierung inzwischen zeitweise von der Mehrwertsteuer befreit, Exporteure will sie beim Verwaltungskram entlasten. Zugleich ist in der Diskussion, fünf Jahre lang den Bau von Regierungsgebäuden zu verbieten. Konsequenz eines eigenartigen Wettbewerbs unter einigen Provinzen: Wer baut die schönste Kopie des Weißen Hauses?
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