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Finanzwende: 22 (Breit)-Seiten gegen DVAG-Methoden

Der Verbraucherverein Bürgerbewegung Finanzwende, 2018 vom damaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick gegründet, hat in einem 22-seitigen Papier die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) angegriffen. Überteuerte Produkte, eine bedrohte Demokratie wegen Finanzlobbyismus durch Parteispenden sowie ausbeuterische und sektenartige interne Strukturen - die Vorwürfe zu den Geschäftspraktiken der DVAG sind drastisch.
Altbekannte Vorwürfe
Neu sind sie allerdings nicht. Schon in der Einleitung des Dossiers ist von dem 1996 erschienen Buch „Beraten und Verkauft: Die Methoden der Strukturvertriebe“ des ehemaligen DVAG-Mitarbeiters Wolfgang Dahm die Rede. Später heißt es: „Diesen Faden greift die Bürgerbewegung Finanzwende wieder auf. Basierend auf der langjährigen Arbeit von Journalisten, Verbraucherschützern, Anwälten und DVAG-Aussteigern haben wir drei Gründe zusammengestellt, dem Konzern den Rücken zu kehren.“
Es bleibt unklar, warum Finanzwende sich gerade jetzt die DVAG vorknöpft, denn ein aktueller Anlass für die Veröffentlichung wird nicht genannt. Eine Rolle könnten die auch in dem Papier genannten Aktivitäten der DVAG und ihr nahestehender Verbände zur Abwehr eines Provisionsverbots spielen. Dieses steht, wenn auch nur noch in abgeschwächter Form, bei den aktuellen Verhandlungen zur sogenannten EU-Kleinanlegerstrategie im Raum.
Starkes Netzwerk in die Politik
Der erste Vorwurf bezieht sich auf das enge Netzwerk in der Politik. Demnach würden frühere und heutige Bundestags- oder Europaabgeordnete, ehemalige Minister und Parteifunktionäre in die eigene Interessenwahrnehmung eingebunden. Zum derzeitigen DVAG-Beitrat gehören unter anderem Ex-Finanzminister Theo Waigel, Ex-Staatsminister Udo Corts (CDU), Ex-Bundesministerin Brigitte Zypries (SPD) oder der frühere Bundestagsvize Herrmann-Otto Solms (FDP).
Als Mitglied im Wirtschaftsrat der CDU sowie dem Wirtschaftsforum der SPD genieße die DVAG zudem privilegierten Lobbyzugang zu beiden Parteien. Auch öffne der frühere Bundestagsabgeordnete und CDU-Generalsekretär Peter Tauber als Lobbyist Türen für die DVAG und dem ihr nahestehenden Verband DUV (Deutscher Unternehmensverband Vermögensberatung). Schon legendär ist die freundschaftliche Beziehung des verstorbenen Altbundeskanzlers Helmut Kohl zu Unternehmensgründer Reinfried Pohl.
Parteispenden, um Provisionsverbot zu verhindern?
Die Parteien profitieren laut Finanzwende ihrerseits von Spenden des Unternehmens. Seit der Offenlegungspflicht für Partei-Großspenden im Jahr 2002 habe das „Firmen- und Lobbynetz“ der DVAG 8,4 Millionen Euro gespendet. Nur der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und der Autokonzern BMW
beziehungsweise seine Eigentümerfamilie würden dies übertreffen. Von DVAG-Millionen ging der Großteil, 64 Prozent aller Spenden, an die CDU, gefolgt von der FDP mit 27 Prozent. Doch auch Grüne und SPD würden zunehmend umgarnt – wie jüngst im Oktober, als sie, wie auch CDU, CSU und FDP, 50.000 Euro von der DVAG bekamen.

Immer wieder habe die DVAG dabei die Transparenzpflichten für Großspenden umgangen, so die Autorin Pia Eberhardt, indem sie ihre Spenden in Beträge unter 50.000 Euro stückelte. Solche kleineren Beträge müssten erst bis zu zwei Jahre später veröffentlicht werden. So komme keine Debatte über die zeitliche Nähe von bestimmten politischen Entscheidungen und DVAG-Spenden auf.
Genau das passierte jedoch im März 2023. Damals berichtete „Der Spiegel“ über eine 100.000-Euro-Spende der DVAG an den CDU-Chef Friedrich Merz und stellte eine zeitliche Nähe zwischen Spende und der bereits erwähnten EU-Kleinanlegerstrategie her. Der pauschale Vorwurf: Hohe Spenden vor wichtigen politischen Entscheidungen würden diese im Sinne der Finanzlobby verwässern.
Politische Einflussnahme in vertraulichem Ton
Und es gibt weitere Kritik in Sachen Lobbyarbeit gegen ein Ende des Provisionsvertriebs. So habe es ein Schreiben an den „lieben“ FDP-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Florian Toncar gegeben. Darin bat laut Finanzwende der DUV-Vorsitzende Helge Lach, zugleich DVAG-Vorstandsmitglied, „um Unterstützung der Bundesregierung“ gegen das Provisionsverbot. „Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie sich wie bisher auch in dieser Sache engagieren.“ Kurz darauf habe sich Finanzminister Christian Lindner persönlich eingeschaltet und sich in einem Brief an EU-Finanzkommissarin Maired McGuinnes gegen die ursprünglichen EU-Pläne für ein Provisionsverbot ausgesprochen.
Ein weiteres Beispiel, mit einer aus Finanzwende-Sicht wohl zu vertraulichen Formulierung in Verbindung mit politischer Einflussnahme, ist ein Schreiben an die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, das den Verbraucherschützern offenbar vorliegt. Hierin warnt DVAG-Vorstand Lach vor den „verheerenden Auswirkungen“ eines Provisionsverbots und schließt mit den Worten: „Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns demnächst zu einer Tasse Kaffee treffen könnten.“
Lobbyismus, wie man ihn auch von anderen Akteuren kennt
Allerdings dürften diese Methoden der DVAG und der ihr nahestehenden Verbände, wie DUV und Bundesverband Deutscher Vermögensberater (BDV), der rund 15.000 selbständige Finanzvermittler vertritt, die fast alle zur DVAG gehören, zum Standardrepertoire politischer Einflussnahme gehören. Der Unterschied, konkret in diesem Fall, dürfte vor allem sein, dass andere Vermittlerverbände mit ähnlichen Interessen, wie der BVK, ihr Engagement in Berlin und Brüssel deutlich öffentlichkeitswirksamer verkaufen.
Vorwurf: Verkaufsdruck statt Beratung
An den Provisionen hängt letztlich auch der zweite Hauptvorwurf der Verbraucherschützer. Dieses Vergütungsmodell scheint Finanzwende per se zu verteufeln, unterlässt damit aber auch jede Differenzierung verschiedener Vermittlergruppen und nimmt damit vor allem auch die unabhängigen Makler in Mithaftung.
So bedingen Provisionen laut der Kritiker ein System, in dem immer mehr verkauft werden muss, damit der Konzern immer reicher wird. Als Fehlanreiz führe die Provisionsvergütung dazu, dass Vermittler den Kunden bei Hausbesuchen, am Telefon und per Video-Konferenz zu teure und unpassende Finanzprodukte, zumal ausschließlich von DVAG-Partnerunternehmen, verkaufen, anstatt sie primär zu beraten. Das gelte auch für Produkte, die in Tests schlecht abgeschnitten hätten und hohe Kosten verursachen würden, wie die Rürup-Rente der Generali.
Missbrauch von Kundenvertrauen
Kritisiert werden zudem die Verkaufsmethoden der DVAG. Vermittler nutzten psychologische Tricks und Manipulationen, darunter gezielte Techniken zur Vertrauensbildung. Auch die DVAG-Werbung solle in ihrer Zielgruppe, kleine und mittlere Einkommen, Vertrauen schaffen. Zum Beispiel mit dem Fußballtrainer Jürgen Klopp, der für Bodenständigkeit und für Seriosität stehe, wie es der DVAG-Marketing-Chef erklärt haben soll.
Die Folgen des Verkaufsdrucks sind für die Kunden weitreichend, so Finanzwende. Im Dossier hießt es: „Immer wieder wenden sich Geschädigte mit von der DVAG vermittelten Verträgen Hilfe suchend an die Verbraucherzentralen. Im schlimmsten Fall erfahren sie dort, dass die hohen Abschluss- und Verwaltungskosten für ihre Rentenversicherung die Rendite zu einem guten Teil aufgefressen haben – oder sie dadurch sogar Teile ihres eingezahlten Geldes verloren haben.“
Ausbeutung und sektenähnliche Strukturen
Außerdem kritisiert Finanzwende die „ausbeuterischen und sektenhaften“ Geschäftsstrukturen des Strukturvertriebs. Betroffen seien die rund 18.000 rechtlich selbständigen Personen, die für die DVAG als Vermögensberater oder Finanzcoach unterwegs sind. Sie arbeiteten in einem Pyramiden-System, in dem Vermittler nur Geld verdienen, wenn sie Policen verkaufen oder neue Vermittler für den Vertrieb gewinnen. Besonders die Rangniedrigsten stünden dadurch unter starkem Druck.
Läuft es gut, belohnt die DVAG, wie Finanzwende behauptet, mit Sonderprovisionen, Ehrennadeln, der Aufnahme in Elite-Zirkel, exklusiven Aufenthalten in DVAG-eigenen Luxusressorts sowie dem Aufstieg im Konzern und höheren Bezügen. Denen, die aus dieser „Maschinerie“ aussteigen wollen, würden hingegen massive Steine in den Weg gelegt: mit langen Kündigungsfristen und Druck von oben, wie Aussteiger laut Finanzwende berichten. Ehemalige DVAG-Partner hätten zudem von „Gehirnwäsche” gesprochen.
Was Finanzwende fordert
Neben den Forderungen nach schärferen Transparenzregeln bei Parteispenden und einem Provisionsverbot fasst Finanzwende sein Anliegen in dem Papier so zusammen: „Es wäre schon viel erreicht, wenn mehr geschädigte Verbraucher sowie Vermittler der DVAG den Rücken kehren würden und namhafte (Ex-)Politiker sich nicht mehr vor den Karren der DVAG spannen ließen“, Politisch müsse die DVAG in ihre Schranken gewiesen werden.
DVAG sitzt Vorwürfe aus
Allerdings stehen das Geschäftsmodell und die vermeintliche politische Einflussname der DVAG seit Jahren in der Kritik, ohne dass sich nachhaltig etwas geändert hätte. Erst 2021 hatte sich der Satiriker Jan Böhmermann in seiner ZDF-Sendung an dem Unternehmen in einem mehr als 20-minütigen Monolog abgearbeitet. Sein Fazit zur DVAG damals: „Eine gehirnwaschende Drückerkolonne, die mit skrupellosen Methoden Menschen in den finanziellen Ruin treibt.“ Wenige Tage später berichteten DVAG-Aussteiger in dem Format „Frontal“ über ihre negativen Erfahrungen.
Auffällig ist bei solchen Attacken die öffentliche Zurückhaltung des Unternehmens. Auf eine Anfrage von DAS INVESTMENT zur aktuellen Kritik von Finanzwende mit mehrern konkreten Fragen antwortete eine Sprecheirn lediglich: „ Zu subjektiven Äußerungen von Dritten über unser Unternehmen nehmen wir grundsätzlich keine Stellung. Den erhobenen Vorwürfen wurde in der Vergangenheit bereits in unterschiedlichen öffentlichen Stellungnahmen ausführlich widersprochen. Aus diesem Grund werden wir uns nicht erneut dazu äußern.“
Nach außen zeigt der Konzern stattdessen gerne sein wohltätiges Engagement und verbreitet Pressestatements zu Spendenübergaben. Es würde zur DVAG-Historie passen, wenn wenige Tage nach dem aktuellen Sturm wieder Ruhe einkehrt.
Hintergrund
Die DVAG wurde 1975 gegründet und ist in Frankfurt am Main ansässig. Das Unternehmen gehört zu 60 Prozent der Familie des Konzernchefs Andreas Pohl und zu 40 Prozent dem Versicherungskonzern Generali. 2022 erwirtschaftete man 2,2 Milliarden Euro Umsatz, überwiegend aus Provisionen, und einen Gewinn von 246 Millionen Euro erzielt. Der Vertrieb mit seinen 18.500 Vertretern verkauft vor allem Versicherungen der Generali, Fonds der Deutsche-Bank-Tochter DWS und Investmentangebote der Allianz Global Investors.