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Bantleon-Chefvolkswirt gibt Ausblick für 2023 „Aktienmärkte geraten unter Druck, Staatsanleihen feiern Comeback“

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Für die Finanzmärkte ist die Konsequenz dieses Szenarios eine Flucht aus Risikoassets in die sicheren Häfen. Viele Marktteilnehmer rechnen hingegen damit, dass das Schlimmste für Risikoassets bald überstanden sein wird: Leitzinserhöhungen, konjunkturelle Abkühlung, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. Dies dürfte sich jedoch als fataler Irrtum erweisen. So wird der Zinsschock der Notenbanken konjunkturell wohl erst im 2. Halbjahr 2023 voll zum Tragen kommen.

Erst dann werden auch die Aktienmärkte ihren Tiefpunkt durchschritten haben. Unsere Konjunkturprognose legt 2023 einen Rückgang der Unternehmensgewinne in den USA und Europa von 10 Prozent bis 20 Prozent nahe. Viele Analysten unterstellen dagegen immer noch ein positives Gewinnwachstum. Hier besteht somit erheblicher Korrekturbedarf. Alles in allem besteht an den globalen Aktienmärkten – ausgehend vom aktuellen Kursniveau – ein Rückschlagpotenzial von mindestens 25 Prozent. Der Dax sollte daher bis Ende 2023 in Richtung 10.000 Punkte, der SMI in Richtung 8.200 Punkte und der S&P 500 in Richtung 3.000 Punkte fallen.

Deutlich besser sind die Aussichten für Top-Staatsanleihen, weil der Leitzinshochpunkt der Notenbanken in greifbare Nähe gerückt ist: Spätestens Anfang 2023 sollte klar sein, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession rutscht. Gleichzeitig sollte der Abwärtstrend bei der Inflation sichtbar werden. Deshalb dürften die Notenbanken den Straffungszyklus Ende 2022 auslaufen lassen. Der Leitzins der EZB wird dann bei 2 Prozent (Depositenrate), derjenige der Fed bei 4,5 Prozent (Obergrenze) liegen.

Im Vergleich zu dieser Prognose sind an den Terminmärkten zu hohe Leitzinsen eingepreist, zumal die Fed ab Mitte 2023 die Leitzinsen schon wieder senken sollte. Entsprechend sind in den nächsten Monaten Auspreisungen von Leitzinserhöhungen wahrscheinlich. In diesem Zuge dürften die Renditen von Staatsanleihen kräftig fallen. Die Renditen 10-jähriger deutscher Bundesanleihen sehen wir entsprechend Ende 2023 bei ein Prozent, 10-jährige Schweizer Eidgenossen dürften dann bei 0,5 Prozent rentieren und 10‑jährige US-Treasuries bei 2,5 Prozent.

Für inflationsgeschützte Staatsanleihen (Linker) und Rohstoffe, die beide bis ins Frühjahr 2022 hinein zu den Gewinnern an den Finanzmärkten zählten, gilt diese erfreuliche Prognose nicht. Unter der sich abzeichnenden Rezession werden sowohl die Inflationserwartungen als auch die Rohstoffpreise leiden. Anleger sollten sich daher aus beiden Assetklassen temporär zurückziehen.

 

 

Dies gilt auch für bonitätsschwache Unternehmensanleihen (High-Yields), die von den in einer Rezession unvermeidlichen Kreditausfällen und Rating-Herabstufungen belastet werden dürften. Die Risikoprämien von europäischen High-Yields werden sich daher im Laufe des Jahres 2023 erheblich ausweiten. Bei Investment-Grade-Unternehmensanleihen dürfte es ebenfalls zu steigenden Risikoprämien kommen. Diese sollten jedoch moderat ausfallen, solange unser Risikoszenario einer sehr schweren Rezession nicht eintritt. Bleibt dieses aus, dürften mit EUR-Unternehmensanleihen der Bonität Investment Grade – nicht zuletzt wegen der mittlerweile hohen Renditen von durchschnittlich 4 Prozent – zumindest positive Erträge erzielt werden können. 

Der US-Dollar hat gegenüber dem Euro im Jahr 2023 leichtes Abwertungspotenzial. Nachteilig für den Greenback dürften sich Spekulationen über Leitzinssenkungen erweisen. Gleichzeitig wird der US-Dollar jedoch weiterhin vom unsicheren globalen Umfeld gestützt.

Fazit: 2023 wird ein klassisches Risk-off-Jahr. Das zentrale Thema wird die weltweite Rezession sein. Darunter dürften alle Risikoassets leiden. Top-Staatsanleihen sollten dagegen ein Comeback feiern. Investoren winken in diesem Segment hohe Kursgewinne und erstmals seit langem wieder Zinserträge.

Über den Autor:

Daniel Hartmann ist Chefvolkswirt beim Asset Manager Bantleon. Die Gesellschaft mit Sitz in Zürich ist auf institutionelle Investments spezialisiert.

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