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Ausblick: Gold jagt von einem Höhepunkt zum nächsten

Trotz mangelnden Interesses institutioneller Anleger verzeichnete Gold ein fantastisches Jahr
2023 und erreichte am 28. Dezember 2023 einen neuen Höchststand von 2.078 US-Dollar pro Unze, zeitweise war der Preis am 4. Dezember 2023 sogar schon auf 2.135 US-Dollar pro Unze gestiegen.
Der Gold-Spotpreis schloss das Jahr mit einem Plus von 14,6 Prozent ab. Der Goldpreis stieg damit zwar nominal auf einen Höchststand, real (unter Ausklammerung der Inflation) liegt er jedoch immer noch um 15 Prozent unter dem Stand vom August 2020, dem vorherigen nominalen Höchststand. Gold schnitt deutlich besser ab als etwa US-Staatsanleihen mit plus 4,0 Prozent im selben Zeitraum auf Basis des Bloomberg US Treasury Index. Im Gegensatz zu 2022 ließ der Gegenwind durch Anleihen und den US-Dollar gegen Ende des Jahres nach, sodass das Edelmetall zulegen konnte.
Stark schwankende Spekulation
Die spekulative Positionierung in Gold-Futures erstreckte sich über eine große Bandbreite: Im Mai
2023 erreichte sie mit 226.000 Netto-Long-Kontrakten ihren Höhepunkt, im Oktober 2023 fiel sie auf
nur noch 60.000 Netto-Long-Kontrakte. Dennoch lag die Positionierung zum Jahresende mit
217.000 Kontrakten nahe dem Zwischenjahreshoch, was zusammen mit dem Preisanstieg darauf
hindeutet, dass sich die Anlegerstimmung gegenüber dem Edelmetall deutlich verbessert hat.
Die Nachfrage der Zentralbanken nach Gold schien derweil auf dem besten Weg zu sein, das Allzeithoch
von 2022 zu erreichen (die jüngsten Daten des Weltgoldrates zeigen, dass die Zentralbanken in den
ersten drei Quartalen des Jahres 2023 799,6 Tonnen kauften, verglichen mit 699,8 Tonnen in den
ersten drei Quartalen des Jahres 2022). Mit Blick auf das Jahr 2024 werden ein weiterer Rückgang
der Anleiherenditen und ein schwächerer US-Dollar die nachlassende Unterstützung durch die
Inflation wahrscheinlich überlagern, was Gold auf neue Höchststände treiben könnte.
Viele Metallpreise stiegen Ende Dezember 2023 in der Hoffnung, dass die US-Notenbank Fed bereits
im März 2024 Zinssenkungen einleiten würde. Die Veröffentlichung des Protokolls des
Offenmarktausschusses der Fed von der am 12./13. Dezember abgehaltenen Sitzung Anfang Januar
2024 zeigte jedoch, dass die Zentralbank es möglicherweise nicht so eilig hat, wie der Markt dachte.
Die Abwertung des US-Dollar vom 18. Dezember 2023 bis zum 27. Dezember 2023 wurde in der
ersten Woche des Jahres 2024 vollständig rückgängig gemacht. Der Anleihemarkt rechnet nun mit
einer Kürzung im Mai 2024 und nicht mehr im März.
Ein Blick auf die mittleren Erwartungen der Wirtschaftswissenschaftler für das Jahr 2024 zeigt, dass
die ersten Zinssenkungen wahrscheinlich im zweiten Quartal 2024 vorgenommen werden. Bis zum
Jahresende könnte es zu einer Senkung um insgesamt 100 Basispunkte kommen. Die
Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft überrascht jedoch weiterhin die meisten Analysten, da die
neuesten Beschäftigungszahlen sehr robust wirken und die Arbeitslosenzahlen nach einem leichten
Anstieg in den ersten acht Monaten des Jahres gegen Ende 2023 rückläufig waren.
Vor diesem Hintergrund wird die US-Notenbank möglicherweise nicht so schnell wie vom Markt
erhofft Orientierungshilfen (Forward Guidance) geben, um sich selbst ein Höchstmaß an Flexibilität
zu verschaffen, damit sie auf Daten reagieren kann, wenn diese vorliegen.
Im Zuge der Neuausrichtung der Märkte könnte der Goldpreis etwas von dem Schwung verlieren,
den er Ende 2023 gewonnen hat, und im ersten Quartal 2024 sinken. Sobald jedoch Zinssenkungen
angekündigt werden, wird sich der Goldpreis wahrscheinlich erholen. Wenn die Zinssenkungen
tatsächlich umgesetzt werden, könnte der Goldpreis bis zum Jahresende auf ein neues Allzeithoch
von 2.210 US-Dollar pro Unze klettern.
Goldnachfrage der Zentralbanken
2022 war die Goldnachfrage der Zentralbanken so stark wie nie zuvor – und in den ersten drei
Quartalen des Jahres 2023 lag diese Nachfragequelle auf Kurs, das Niveau von 2022 noch zu
übertreffen. Trotz der hohen Hürden, die es zu überwinden gilt, könnte die Nachfrage 2024 in der
gleichen Größenordnung liegen. Die Nicht-G7-Länder kaufen Gold in Rekordgeschwindigkeit, um ihre
Devisenbestände zu streuen. Die Ereignisse des Jahres 2022, als Russlands Zentralbankguthaben in
G7-Währungen eingefroren wurden, haben viele andere Zentralbanken aufgeschreckt. Ein Verstoß
gegen die geopolitische Allianz der G7 hat einen hohen Preis, und um das Risiko zu mindern, häufen
die Zentralbanken die Pseudowährung an, die keine andere Zentralbank kontrolliert: Gold.
Grafik: Goldnachfrage der Zentralbanken

Die historische Wertentwicklung ist kein Hinweis auf die künftige Wertentwicklung, und Anlagen können im Wert sinken.
Betrachtet man einige der größten Zentralbankkäufer von Gold in den letzten Jahren – China, Polen,
die Türkei – ist der Anteil von Gold an den gesamten Devisen immer noch relativ gering. Daher sind
wir der Auffassung, dass diese Zentralbanken noch viele Jahre lang im derzeitigen Tempo Gold
kaufen könnten und dennoch nicht das Niveau der USA, Frankreichs, Deutschlands und Italiens
erreichen würden.
Grafik: Zentralbanken mit den größten Goldreserven

Die historische Wertentwicklung ist kein Hinweis auf die künftige Wertentwicklung, und Anlagen können im Wert sinken.
Obwohl sich das geopolitische Risiko seit dem Ausbruch des Krieges zwischen Israel und der Hamas
im Oktober 2023 scheinbar etwas beruhigt hat, ist diese Risikoquelle nach wie vor sehr hoch. Im
Dezember 2023 machten die Angriffe der Huthi auf Schiffe im Roten Meer deutlich, dass sich die
Spannungen im Nahen Osten nicht nur auf Israel und Gaza beschränken.
Geopolitische Risiken und Gold
Der chinesische Präsident Xi Jinping nutzte seine jährliche Neujahrsansprache an die Nation, um die Wähler Taiwans wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen auf der Insel (13. Januar 2024) zu warnen. Er erklärte, die „Wiedervereinigung“ Taiwans und Chinas sei eine „historische Unvermeidbarkeit“. Er fügte hinzu, dass die „Landsleute“ auf beiden Seiten der Taiwanstraße am Ruhm der „nationalen Verjüngung“ teilhaben müssen. Viele Analysten waren der Meinung, dass der anhaltende Krieg in der Ukraine Xi davon abhalten würde, die Annexion Taiwans anzustreben, aber die jüngste Rhetorik von Xi zeigt, dass dieses Risiko weiterhin besteht.
Grafik: Gold und geopolitisches Risiko

Mit dem quantitativen Goldmodell von Wisdomtree können wir analysieren, was den Goldpreis im Jahr 2023 angetrieben hat. Im Gegensatz zu den Vorjahren stiegen die Anleiherenditen zwar
während des größten Teils des Jahres weiter an und erreichten im Oktober 2023 sogar den höchsten
Stand seit 2007, doch war die schrittweise Veränderung nicht so groß wie in den Vorjahren. Ende
2023 befanden sich die Anleiherenditen etwa auf dem gleichen Niveau wie Ende 2022.
Dadurch wurde der Gegenwind gegen Gold abgeschwächt. So konnte die relativ hohe Inflation den Goldpreis in die Höhe treiben. Auch wenn der US-Dollar stabil war, verlor der USD-Korb im Vergleich zum Vorjahr an Wert, was Gold wiederum eine gewisse Entlastung brachte. Die aus der spekulativen
Positionierung in Gold-Futures abgeleitete Stimmung gegenüber Gold war im Oktober 2023 etwas
gedrückt, verbesserte sich aber zum Jahresende deutlich.
Im Dezember 2023 verbuchte Gold aufgrund des Zusammentreffens dieser Faktoren einen neuen Höchststand. Unser Modell weist darauf hin, dass der Goldpreis im Dezember 2023 noch weiter hätte steigen können, nachdem der tatsächliche Goldpreis einige Monate lang höher lag als das Modell. Allerdings lagen die Modell- und die tatsächlichen Preise am Ende des Jahres sehr viel näher beieinander als im April 2023, als die Diskrepanz besonders groß war.
Grafik: Goldpreis-Faktoren

Mit demselben Modell können wir Goldprognosen in Übereinstimmung mit mehreren makroökonomischen Szenarien erstellen.
Gold-Ausblick anhand des Prognosemodells von Wisdom Tree:
Konsensszenario
Unser Konsensszenario basiert auf den durchschnittlichen Einschätzungen der Bloomberg Survey of
Professional Economists zu Inflation, US-Dollar und Renditeprognosen für Staatsanleihen. Der
Konsens geht davon aus, dass die Inflation weiter zurückgeht (obwohl sie über der Zielvorgabe der
Zentralbanken bleibt), der US-Dollar an Wert verliert und die Anleiherenditen weiter sinken werden.
Das Konsensszenario beruht auf Zinssenkungen der Federal Reserve ab dem zweiten Quartal 2024,
wobei die Zinsen zum Jahresende um einen ganzen Prozentpunkt niedriger liegen.
Ohne eine Konsensprognose zur Goldstimmung reduzieren wir die spekulative Positionierung auf
konservative 75.000, was unter dem langfristigen Durchschnitt von 111.000 seit 1995 und deutlich
unter dem Niveau von Ende 2023 liegt (217.000 Netto-Long-Kontrakte). Das Risiko bei der
Positionierung tendiert in diesem Jahr eindeutig nach oben, wenn es zu einer Rezession oder
finanziellen Verwerfung kommt oder die geopolitischen Spannungen eskalieren. Gold ist in Zeiten
wirtschaftlicher, finanzieller und geopolitischer Anspannungen eine gefragte Anlage, und diese
Auslöser könnten die Stimmung gegenüber dem Edelmetall noch weiter anheizen.
Im Konsensszenario erreicht Gold bis zum vierten Quartal 2024 einen Wert von 2.210 US-Dollar/Unze und durchbricht das bisherige nominale Allzeithoch (2.078 US-Dollar/Unze am
28. Dezember 2023). In realen Werten entspricht dies allerdings nicht dem Allzeithoch, das im
Januar 1980 aufgestellt wurde. Tatsächlich würde es um 36 Prozent unter diesem Stand liegen.
Bullenszenario
In diesem Szenario gibt die US-Notenbank bereits auf der Januar-Sitzung des Offenmarktausschusses
Orientierungshilfen und leitet im ersten Quartal 2024 Zinssenkungen ein. Sie handelt präventiv, um
das Risiko einer Rezession abzuwehren. Dieses Rezessionsrisiko ist eine deflationäre Kraft. Anleger
wenden sich Gold zu, um sich gegen ungünstige wirtschaftliche und finanzielle Entwicklungen
abzusichern. Dies hat zur Folge, dass der US-Dollar viel schneller abwertet und die Anleiherenditen
bis zum Jahresende auf 3 Prozent fallen, während die Inflation aggressiver zurückgeht.
In diesem Szenario könnte der Goldpreis auf 2.455 US-Dollar/Unze klettern. Das wäre 18 Prozent höher als das nominale Allzeithoch, das im Dezember 2023 erreicht wurde und in realen Werten ungefähr
29 Prozent geringer als das reale Allzeithoch von Januar 1980.
Bärenszenario
Im Bärenfall halten wir an einem Inflationsszenario fest, das mit dem Bullenszenario übereinstimmt,
das heißt, es tritt ein Rezessions-/Deflationsszenario ein, aber die Federal Reserve ist nicht bereit, die
Zinsen zu senken. Möglicherweise begründet sie ihre Untätigkeit mit der nicht ausreichenden
Abschwächung des Arbeitsmarktes und will nicht voreilig einen Sieg im Kampf gegen die Inflation
verkünden.
Die Anleiherenditen erhöhen sich wieder auf das Niveau vom November 2023, da die
US-Notenbank signalisiert, dass sie die Zinsen in nächster Zeit nicht herabsetzen wird, während der
US-Dollar aufwertet. Um das Szenario durchzuspielen, haben wir die spekulative Position auf
50.000 Netto-Long-Kontrakte reduziert, da wir davon ausgehen, dass die Anleger von höheren
Renditen am Anleihemarkt angezogen werden. Wir räumen jedoch ein, dass die Positionierung der
Anleger in der Tat steigen könnte und sie sich mit Gold absichern, wenn sie sehen, dass die Federal
Reserve einen politischen Fehler begeht.
In diesem Szenario könnte der Goldpreis auf 1.830 US-Dollar/Unze fallen und wieder auf das Niveau
vom Februar 2023 zurückgehen.
Grafik: Goldpreisprognose




1 Siehe die Beschreibung unseres Modells in Gold: So bewerten wir Edelmetalle.
Über den Autor:
Nitesh Shah leitet das Rohstoff- und Makro-Research bei Wisdom Tree.