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Baader-Bank-Chefanalyst Robert Halver „Dann wird sich Europa bald nicht mehr behaupten können“

Seit dem II. Weltkrieg hatte sich unser Kontinent an ein intaktes politisches Leitplankensystem gewöhnt. Die USA übernahmen die Rolle des geopolitischen Weltpolizisten und ließen uns auch noch wirtschaftlich aufblühen. So produzierte und exportierte Deutschland das, was Amerika konsumierte. Amerika tat dies freilich nicht selbstlos, denn Deutschland war ein geostrategisch wichtiger Frontstaat zum Warschauer Pakt.

„Amerika hat keine dauerhaften Freunde oder Feinde, nur Interessen“ (Henry Kissinger)

Heute ist die heiße Liebe Amerikas zu Europa abgekühlt wie das aktuelle Wetter. Noch vor kurzem twitterte US-Präsident Trump „Europa ist mir egal“. Amerika geht jetzt mit dem pazifischen Raum fremd. Dort sitzen die aufstrebenden Schwellenländer, die man nicht dem neuen, post-sowjetischen Erzfeind China überlassen will. Im Vergleich dazu ist Europa unbedeutend geworden. Warum sollte man uns also handelspolitisch weiter hochleben lassen. Aufgrund dieser grundsätzlich veränderten Interessenlage bezweifle ich, dass ein in spätestens sechs Jahren neuer US-Präsident oder eine neue US-Präsidentin sich in Europa wiederverliebt. Nur die Worte werden netter.

Könnte China zur neuen großen Liebe für Europa werden? Vorsicht! In Peking denkt man wohl eher an eine eigennützige Vernunftehe. Man will immer nur unser Bestes, vor allem unser Industrie- und Technologie-Know How. Für umgekehrte Begehrlichkeiten an der Mitgift ist die chinesische Mauer jedoch ziemlich undurchlässig. China denkt vor allem nur an einen, an sich.

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In einer Welt, in der Amerika und China nur an sich denken, muss Europa eine Alternativstrategie der Marke „Gemeinsam sind wir stark“ zeigen. Es muss ein eigenes Selbstwertgefühl entwickeln, um gegenüber anderen seine Interessen zu verteidigen. Klingt theoretisch zwar gut, aber die Praxis ist eine andere. In den EU-Staaten werden zu viele egoistische nationale Süppchen gekocht.

Selbst die in weltpolitischen Fragen so rationalen britischen Politiker scheinen ihre Vernunft an der Garderobe des britischen Parlaments abgegeben zu haben. Viele erzählen das Märchen, dass in einem ausgetretenen Vereinigten Königreich Milch und Honig fließen, selbst wenn man die EU unkoordiniert verlässt. Und Premierministerin May verspielt mit ihrer sturen Haltung wertvolle Zeit, in dem sie an einem Brexit-Plan eisern festhält, der zwar grundsätzlich für Großbritannien und die EU ein sehr guter Kompromiss ist, aber im Londoner Parlament leider so viel Attraktivität besitzt wie Gemüse für Fleischfresser. Wenn es eine konzertierte Aktion im Parlament nicht schaffen sollte, in letzter Minute einen ungeordneten Brexit zu verhindern, wird die Insel wirtschaftlich wie bei einem Zyklon zerstört, dessen massive Ausläufer aber auch die Handelspartner auf dem Kontinent in schlimme Mithaft nehmen.

Am Ende wird nicht die Schuld in London, sondern in Brüssel und Berlin gesucht. Für den europäischen Frieden ist das pures Gift.