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Bankenspezialisten im Interview „Europa könnte bei den Ertragsausschüttungen an die Aktionäre aufholen“

Gastronomie-, Handels- und Büroimmobilien in Brooklyn, New York
Gastronomie-, Handels- und Büroimmobilien in Brooklyn, New York: In den USA stammen rund 50 Prozent der Gewerbeimmobilien-Finanzierungen von kleineren Banken. | Foto: Imago Images / Levine-Roberts

Ross Cartwright: Nach den Bankenzusammenbrüchen in den vergangenen Wochen hat sich die Lage wieder etwas beruhigt, doch die Unsicherheit bleibt groß. Unsere Kunden wollen jetzt wissen, ob Dominoeffekte oder ein Übergreifen auf die Finanzmärkte drohen. Andrew, könnte es zu einer systemischen Krise kommen?

Andrew J. Quatrale: Wir müssen uns auf unterschiedliche Entwicklungen vorbereiten. Für Risikomanager sind Investitionen in Banken zurzeit der größte Albtraum seit der globalen Finanzkrise. Mit Blick auf die Zinsen sind unterschiedliche Entwicklungen denkbar: Bleiben die Zinsen noch länger hoch? Fallen sie oder bleiben sie stabil? Kommt eine weiche Landung? Eine harte Landung? Eines aber ist sicher: Die Silicon Valley Bank und die Signature Bank, die beiden jüngst gescheiterten Institute, sind nicht repräsentativ für den US-Bankensektor. Ihre Einlagen wiesen ein großes Klumpenrisiko auf.

Obwohl ein neuer Bankrun in den USA relativ unwahrscheinlich ist, müssen viele Institute mit hohen Buchverlusten auf ihre Wertpapierportfolios wirtschaften. Das könnte für gewisse Instabilitäten sorgen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele kleinere Banken zwar nicht so viel mit ihren Anleihen verloren haben, dafür aber auf viel zu großen Gewerbeimmobilien-Portfolios sitzen, die im Prinzip ähnliche Eigenschaften wie länger laufende Anleihen haben. Mein Basisszenario ist: Wir werden keine Dominoeffekte und keinen großen Bankrun erleben. Dennoch bereiten wir unsere Portfolios auf alle denkbaren Entwicklungen vor.

Nick, der Zusammenbruch der Credit Suisse war eine Überraschung, die Probleme bei der Bank waren allerdings allgemein bekannt. Aber generell gefragt: Stehen europäische Banken gut da oder gibt es weitere Leichen im Keller, auf die wir vorbereitet sein sollten?

Nick Baker: Meiner Einschätzung nach sind die europäischen Banken relativ stabil. Dafür gibt es mehrere Gründe: Da sind zum einen die krisenfesten Geschäftsmodelle. Durch die steigenden Zinsen sind die Banken wesentlich rentabler geworden. Der Anteil stabiler Einlagen ist deutlich größer als bei der Credit Suisse und den beiden gescheiterten US-Banken.

Ein echter Unterschied gegenüber den USA ist, dass in Europa der Ausblick für die Einlagenentwicklung zurzeit deutlich besser erscheint. Im Vorjahresvergleich wachsen die Einlagen im europäischen Bankensystem noch immer. Anders als in den USA wurden hier, vor allem im letzten Jahr, nicht so viele Einlagen abgezogen. Das liegt auch daran, dass das Quantitative Tightening in Europa langsamer abläuft.

Eine Rolle spielt meiner Meinung nach auch, dass Geldmarktfonds in Europa nicht so häufig als Alternative zu Bankeinlagen gelten wie in den USA. Und dann sehe ich noch einen wichtigen Unterschied bei Kapitalausstattung und Liquidität. Auch hier erscheint mir die Lage in Europa besser. Die Kapitalquoten sind meist hoch, mit Tier-1-Eigenkapitalquoten von 12 bis 14 Prozent, wenn nicht mehr.

Kurz gesagt, die Lage scheint in Europa etwas stabiler zu sein als in den USA.

Baker: Dennoch bleiben die Märkte nervös, wie Andrew schon betonte. Sie könnten es noch einige Zeit bleiben. Die Faktoren, über die ich gerade gesprochen habe, dürften Anleger in Europa aber etwas beruhigen. Wir als Investoren müssen uns bewusst machen, dass am Niedergang der CS zwar individuelle Risikomanagement-Fehler großen Anteil hatten. Wir als Investoren müssen aber ähnliche Probleme ernst nehmen, da sie auch anderswo auftreten können.

Nick, die restriktiveren Kreditbedingungen in den USA kühlen zwar die Inflation ab, verursachen aber auch größere Rezessionssorgen. Was heißt das für US-Bankaktien?

Quatrale: Als Bankenanalyst muss man stets den Kreditzyklus überblicken, weil er sehr große Auswirkungen auf Finanzinstitute hat. Wenn also der Wert der Aktiva in den Büchern unter strengeren Kreditbedingungen etwas leidet, kann das sehr viel größere Auswirkungen auf die Bankengewinne und das Kapital haben. Als Bankenanalyst muss man sich dieser Risiken stets bewusst sein. Eine gewisse Paranoia kann da nicht schaden.

Und, Nick, was meinst du?

Baker: Die Qualität der Aktiva ist natürlich immer unsicher. Und doch ist eine Wiederholung der globalen Finanzkrise äußerst unwahrscheinlich, weil die Regulierung seither verschärft wurde. Die Kreditvergabestandards sind heute sehr viel strenger. Und die Banken sind sehr viel risikoscheuer geworden, vor allem in einigen Hochrisikogeschäften wie der Finanzierung von Gewerbeimmobilien.

Bei Aktien scheinen mir vor allem die Auswirkungen der veränderten Geldpolitik auf das Ertragspotenzial entscheidend zu sein. Die erwarteten Gewinne je Aktie europäischer Banken sind seit Anfang 2022 um über 30 Prozent gestiegen. Das liegt vor allem an den höheren Zinserwartungen. Natürlich wären unerwartet niedrige Zinsen ungünstig, aber entscheidend ist letztlich, wie weit die Geldpolitik bei den zu erwartenden Zinssenkungen geht. Bei den Zinsanhebungen der vergangenen Quartale waren für die Banken vor allem die ersten 200 Basispunkte jenseits der 0 Prozent entscheidend. Für den Bankensektor wäre es schädlich, wenn die Zinsen wieder unter 2 Prozent fielen.

Nick, es wird jetzt viel über die Ansteckungsgefahren für US-Regionalbanken gesprochen. Wie denkst du darüber?

Quatrale: CRE-Loans und Gewerbeimmobilien sind nach mehreren spektakulären Firmenzusammenbrüchen im Büroimmobiliensektor tatsächlich ein heißes Eisen. Die gute Nachricht: Die meisten großen Banken haben nur in geringem Maß Gewerbeimmobilienkredite vergeben, und diese haben sie vorher sehr genau geprüft. Außerhalb der besonders problematischen Sektoren wie Büroimmobilien oder Altenheime drohen also nur kleine Verluste. Natürlich kann die Konjunktur immer so stark einbrechen, dass am Ende ein Verlust in den Büchern steht. Aber die großen US-Banken stehen gut da.

Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht. In den USA stammen etwa 50 Prozent der Gewerbeimmobilien-Finanzierungen von kleineren Banken. Oft sind ihre Kreditportfolios stark auf einige wenige Assets konzentriert. Es drohen hohe Verluste und selbst Zusammenbrüche, da auch die Refinanzierung dieser Banken oft nicht so gut ist wie die der größeren Institute. Wesentlich strengere Kreditbedingungen könnten große Folgewirkungen für kleinere Unternehmen haben. Letztlich könnte auch die Arbeitslosigkeit steigen. Überlegt man, inwieweit Bankenprobleme auf die Gesamtwirtschaft durchschlagen könnten, erscheinen mir Gewerbeimmobilien-Finanzierungen von Bedeutung.

Es gibt es also kleinere und größere Risiken. Nick, werden die Aufsichtsbehörden beim Liquiditätsmanagement der Banken in Zukunft anders vorgehen? Und welche Auswirkungen kann das auf die Gewinne haben?

Baker: Die Aufsichtsbehörden werden die jüngsten Entwicklungen genau analysieren. Wir stehen hier aber noch ganz am Anfang. Diese Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Ich rechne mit einer etwas strengeren Aufsicht darüber, wie die Banken in Zukunft ihre Liquidität messen. Zurzeit ist eine wichtige Kennzahl für Investoren, Banken und Aufsichtsbehörden der Liquiditätsdeckungsgrad. Man vergleicht dazu die Bestände der Banken an liquiden Qualitätsaktiva mit den möglichen Abflüssen in einer 30-tägigen Krisenzeit. Zunächst galt diese Regel für manche US-Banken einschließlich der Silicon Valley Bank nicht. Hier rechnen sehr viele Marktteilnehmer mit einer Nachbesserung.

Zugleich dürften die Aufsichtsbehörden darüber nachdenken, welche Stressszenarien zukünftig auftreten könnten. Für viele Banken, vor allem europäische Institute, die die aufsichtsrechtlichen Liquiditätsanforderungen zurzeit übererfüllen, muss das aber gar kein Problem darstellen. Warten wir es ab, wie die Behörden reagieren.

Damit komme ich zu euren Portfolios. Andrew, noch einmal zu dir. Was ist dir wichtig, wenn du in Banktitel investierst, und worüber sprichst du mit den verschiedenen Portfoliomanagern im Unternehmen?

Quatrale: Ich führe in der Tat viele Gespräche. Bei jeder einzelnen Aktie kommt es darauf an, ob die Bank mit Verlusten durch Kreditausfälle fertig werden kann. Wichtig scheint mir auch eine gute Liquiditätsausstattung zu sein, damit die Auflösung von Einlagen nicht zu einem zu großen Problem wird. Mich interessieren eine gut diversifizierte Aktiva- und Passivabasis und eine hohe Qualität der Einlagen. Mir ist wichtig, dass Zinsänderungen und Änderungen der Kreditqualität keine zu großen Risiken mit sich bringen, denn natürlich investieren wir einzelwertorientiert. Bei Zyklikern wie Banken sind zu hohe Konzentrationsrisiken zu vermeiden, etwa, wenn sich viele Einzeltitel zu einem hohen Gesamtrisiko addieren. Für Risikomanager bleibt die derzeitige Lage ein Albtraum, aber für einen Bankenanalysten ist sie auch äußerst spannend.

Baker: Für die Banken ist ein Geschäftsmodell wichtig, das auch weiterhin von den gestiegenen Zinsen profitieren kann. Entscheidend sind dabei ein stabiles Einlagengeschäft und eine gute Liquiditätsposition, idealerweise in einem Umfeld mit eher begrenztem Wettbewerb. Mich interessieren Geschäftsbereiche und Emittenten, bei denen die Kreditrisiken gering sind.

Ich möchte noch eines hinzufügen: Bei den Ertragsausschüttungen an die Aktionäre liegt Europa seit vielen Jahren hinter den USA zurück. Das könnte sich ändern: Institute mit erfolgreichen Geschäftsmodellen und dementsprechend hohen Ausschüttungen an die Aktionäre sind für uns besonders interessant.

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