Bantleon-Analyst Andreas Busch
Pandemie legt die geldpolitischen Missstände in der Türkei offen
Andreas Busch ist leitender Analyst beim Fondsanbieter Bantleon. Foto: Thomas Wieland
Seit rund zehn Jahren kennt die türkische Währung nur eine Richtung – sie wertet mehr oder weniger stetig ab. Seit Anfang des Jahres hat der Druck auf die Lira allerdings nochmals zugenommen, stellt Bantleon-Analyst Andreas Busch fest.
Seither ging es bei den Leitzinsen steil nach unten, obwohl die Inflation noch längst nicht unter Kontrolle war. Im Ergebnis ist der reale Leitzins inzwischen wieder auf -3 Prozent abgerutscht, was für eine aufstrebende Volkswirtschaft viel zu niedrig ist (vgl. Abb. 2). Die 2018 unter Cetinkaya begonnene Episode einer solideren Geldpolitik wurde damit innerhalb kürzester Zeit wieder beendet.
Für die Währung sind zu tiefe Realzinsen zum einen deswegen problematisch, weil sie Kapitalabflüsse ins Ausland provozieren. Zum anderen stimulieren sie die Wirtschaft über Gebühr, was sich an der überbordenden Kreditnachfrage zeigt. Eine Folge der dynamischen Binnenkonjunktur sind kräftig zulegende...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Seither ging es bei den Leitzinsen steil nach unten, obwohl die Inflation noch längst nicht unter Kontrolle war. Im Ergebnis ist der reale Leitzins inzwischen wieder auf -3 Prozent abgerutscht, was für eine aufstrebende Volkswirtschaft viel zu niedrig ist (vgl. Abb. 2). Die 2018 unter Cetinkaya begonnene Episode einer solideren Geldpolitik wurde damit innerhalb kürzester Zeit wieder beendet.
Für die Währung sind zu tiefe Realzinsen zum einen deswegen problematisch, weil sie Kapitalabflüsse ins Ausland provozieren. Zum anderen stimulieren sie die Wirtschaft über Gebühr, was sich an der überbordenden Kreditnachfrage zeigt. Eine Folge der dynamischen Binnenkonjunktur sind kräftig zulegende Importe und damit einhergehend eine steigende Nachfrage nach Devisen. In diesem Umfeld wundert es nicht, dass die Devisenreserven bereits seit 2015 schrumpfen.
Zuletzt hat sich der Abfluss noch beschleunigt. Seit Ende vergangenen Jahres haben sich die Reserven von knapp 80 Milliarden auf gut 40 Milliarden US-Dollar fast halbiert (vgl. Abb. 3). Berücksichtigt man die bei ausländischen Notenbanken mittels Swap-Geschäften geliehenen US-Dollar, sind die „echten“ Währungsreserven genaugenommen sogar schon negativ.
Wie kann das Problem der unkontrollierten Abwertung gelöst werden? Letztlich ist ein grundsätzlicher Wandel in der Wirtschaftspolitik nötig. Die Notenbank muss ihre Unabhängigkeit zurückgewinnen und zur Inflationsbekämpfung notfalls eine Rezession in Kauf nehmen. Entschärft werden könnte die Währungskrise auch, wenn sich die Türkei an den IWF wendet. Beiden Optionen hat der türkische Präsident zwar bis zuletzt eine Absage erteilt.
Wenn der Devisenabfluss aber anhält, können nur noch umfangreiche Kapitalverkehrskontrollen den Ausverkauf der Währung verhindern. Das würde der Wirtschaft jedoch ebenfalls großen Schaden zufügen, weshalb sich in unseren Augen am Ende doch die wirtschaftspolitische Vernunft durchsetzt. Bevor das passiert, muss die Lira aber wahrscheinlich erst weiter unter Druck kommen. Entsprechend besteht das Risiko, dass sich die Krise zunächst zuspitzt und die Währungsturbulenzen zunehmen, bevor eine Besserung einsetzt.
Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?
Über den Autor