Die im vergangenen Jahr fusionierte Barmenia Gothaer will spartenübergreifend wachsen und ihre Beitragseinnahmen bis 2028 auf zehn Milliarden Euro steigern. Als Konzernergebnis werden 200 Millionen Euro angestrebt. Zudem will das Kölner-Wuppertaler-Unternehmen bis 2030 in allen Sparten zu den Top 3 der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit zählen. Bisher liegt das Unternehmen nach Marktanteilen in Deutschland auf Platz 9 mit Beitragseinnahmen von 8,6 Milliarden Euro.
Neue Strategie mit vier Dimensionen
Das kündigten die beiden Co-Vorstandsvorsitzenden Oliver Schoeller und Andreas Eurich bei einer Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung einer neuen gemeinsamen Strategie unter dem Leitmotiv „ZusammenStark“ für die kommenden fünf Jahre an.
Die neue Strategie umfasst vier Dimensionen – Menschen, Wachstum, Resilienz und Technologie – die laut des Unternehmens allesamt von einem klaren Bekenntnis zur Nachhaltigkeit getragen werden. Hierzu gab es viele blumige Worte der beiden Konzernlenker. Ein Beispiel: „Zu Beginn der Strategieentwicklung war uns klar, dass die Dimension Menschen der wichtigste Baustein für unsere Zukunft ist. Denn das, was wir erreichen wollen – ein außergewöhnliches Unternehmen zu bauen – schaffen wir nur gemeinsam“, so Eurich.
Andreas Eurich (l.) und Oliver Schoeller,
@ BarmeniaGothaer
Um die Ziele im Post-Merger-Integrationsprozess zu erreichen, setzt die Barmenia Gothaer nach eigener Aussage unter anderem auf eine deutliche Reduzierung der Komplexität bei den Strukturen, die Harmonisierung der Risikoträgerstrategien sowie die Verschmelzung der beiden Krankenversicherer.
„Um die Ertrags- und Substanzlage weiter zu stärken, sollen in der Kompositversicherung sowie in der Krankenversicherung die Versicherungstechnik gestärkt und die Rückversicherungsstruktur optimiert werden“ so Eurich. Darüber hinaus sollen Synergiepotenziale systematisch genutzt werden, um neue Handlungsspielräume zu schaffen.
Wo und wie Barmenia Gothaer wachsen will
Gleichzeitig möchte das Unternehmen besonders in drei Kernfeldern ihre Marktposition ausbauen: im Privatkundengeschäft, bei Employer Benefits, also in der betrieblichen Krankenversicherung und der Altersvorsorge sowie im Mittelstand.
Das Privatkundengeschäft soll dabei durch eine Weiterentwicklung des Digitalvertriebs und durch die Zusammenlegung der beiden Exklusivvertriebe zum Jahresbeginn 2026 gestärkt werden. Dadurch entsteht laut des Konzerns eine der größten Ausschließlichkeitsorganisationen in Deutschland mit 2.830 Vermittlern.
Im Bereich Employer Benefits soll die Durchdringung gerade bei kleineren Unternehmen weiter vorangetrieben werden. Hier herrsche eine hohe Nachfrage. Im Kompositgeschäft für den Mittelstand, weiterhin ein Kernmarkt für die Barmenia Gothaer, sehen die beiden Konzern-Chefs große Chancen zu einer verstärkten Internationalisierung. Bislang werden im Auslandsgeschäft rund 200 Millionen Euro Umsatz erzielt, eine Marke, die sich laut Schoeller noch ausbauen lasse.
Welche Rolle die IT und KI spielen sollen
Die IT-Transformation soll eine zentrale Rolle bei der Verschmelzung beider Unternehmen und der künftigen Wertschöpfung einnehmen. Dabei verfolgt die Barmenia Gothaer nach eigener Darstellung einen Ansatz bei der Systemintegration, der sich vorrangig auf die Marktschnittstellen konzentriert.
Schoeller: „Das heißt, wir richten bei der Konsolidierung unserer IT den Fokus zunächst auf die Marktanwendungen, um insbesondere unseren Vertrieb zu befähigen.“ Später sollen auch andere Bereiche folgen.
Parallel dazu will die Barmenia Gothaer verstärkt auf Künstliche Intelligenz (KI) setzen. Dieser Schritt erfolge auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung: In den kommenden fünf Jahren werden rund 1.700 der aktuell 7.300 Mitarbeiter altersbedingt aus dem Unternehmen ausscheiden.
Die Potenziale der KI sollen helfen, diese personelle Lücke zu kompensieren. Dabei will man laut Schoeller auch auf einzelne KI-Agenten setzen, die Geschäftsprozesse miteinander verzahnen. Konkretes Ziel dabei ist, dass 20 Prozent der Mitarbeiter regelmäßig die KI nutzen, und zwar Programme, die fortgeschrittener sind als die üblichen generativen KI-Anwendungen.
Hohe Nachhaltigkeitsinvestitionen
Auch seiner unternehmerischen Verantwortung will der Versicherer gerecht werden und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Als Beleg dafür plant die Barmenia Gothaer bis 2029 weitere Impact-Investitionen in Höhe von zwei Milliarden Euro. Aktuell sind es bereits 5,6 Milliarden. Die Marktdurchdringung beim Versichern von Onshore-Windkraftanlagen in Europa soll damit auf 25 Prozent ausgebaut werden. Bis 2050 will man zudem klimaneutral sein.
Worüber nicht gesprochen wurde
Dass im Hintergrund längst nicht alles so reibungslos im fusionierten Konzern läuft, weiß DAS INVESTMENT aus mehreren Hintergrundgesprächen. Insbesondere das Zusammenwachsen der Unternehmenskulturen und das weiterhin eigenständige Auftreten vieler Mitarbeiter und Unternehmensteile bereitet Schwierigkeiten.
Fragen warf unlängst auch die Verkündung einer Kooperation mit der Bayerische-Tochter Compexx auf, die in der Vergangenheit ein Teil ihres Geschäfts durch fragwürdige Praktiken von Strukturvertrieben gemacht macht. Dabei agierte die damalige Barmenia bereits als Kooperationspartner.
Wohngebäude-Sparte: Angeblich keine Bevorzugung des AO-Vertriebs
Kritisch zur Sprache kam im Pressegespräch aber nur das Thema Wohngebäudeversicherung, über das auch DAS INVESTMENT vor rund einem Monat berichtete. Die Barmenia Gothaer hatte in einem Schreiben an Vertriebspartner eine umfassende Sanierung von Beständen in der Sparte angekündigt. Schoeller trat jetzt Vorwürfen entgegen, Makler würden generell zur Umdeckung aufgefordert, während der Ausschließlichkeitsvertrieb Fortführungsangebote erhalte.
Man stelle an beide Vertriebskanäle dieselben Anforderungen. Richtig sei aber, dass man sich von Vertriebspartnern trenne, die „ausschließlich mit uns Wohngebäude machen und die defizitär sind.“ Das sei nicht die Art von Maklerbeziehung, die man sich wünsche. Insgesamt betreffe die Sanierung vor allem Gebäude in Starkregenzonen, die immer schwieriger zu versichern seien. Einmal mehr kam hier die Forderung nach dem Staat, der laut Schoeller mehr Geld in die Prävention investieren muss.

