Bauch gegen Kopf Wie Behavioral Finance alte Muster der Beratung aufbricht
Einerseits folgen wir im Rahmen von Finanzentscheidungen persönlichen inneren Landkarten – also unserem individuellen Haltungs- und Wertesystem, unseren Emotionen und Gefühlen, ungenauen Informationsaufnahmen und vielen weiteren erlernten oder genetisch bedingten Mustern.
Daraus können Handlungen und Konsequenzen entstehen, die unsere Finanzen – und damit auch unser Leben – sehr ungünstig, vielleicht sogar tragisch beeinflussen. Andererseits sind rationale Entscheidungen laut Gigerenzer nicht zwangsläufig die besseren Entscheidungen. Er führt sogar Beispiele an, wonach Daumenregeln bei Entscheidungen die besseren Ergebnisse mit sich bringen.
Passende Einstellungen und Sparring können helfen
Wo liegt nun also die Wahrheit innerhalb der wissenschaftlichen Debatte und welche Schlüsse können wir im Alltag für Finanzentscheidungen ableiten? Eine pauschale Antwort und damit einfache und immer gültige Wahrheit gibt es leider nicht – aber als systemischer Finanzplaner bin ich davon überzeugt, dass ein passendes Set an Einstellungen, Haltungen und Handwerkszeug der erste Schritt zu einer guten Entscheidung ist.
Konkret empfehle ich meinen Kunden sowie jedem, der vor wichtigen Entscheidungen steht:
- Verzichten Sie auf Allmachtsfantasien! Je mehr Sie von einer Sache überzeugt sind, desto mehr nehmen Sie nur noch Informationen wahr und auf, die Ihrer Sichtweise entsprechen. Das kann zu verzerrten Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen führen – und damit zu ungünstigen Finanzentscheidungen.
- Suchen Sie sich Gesprächspartner, Vertraute und Experten, die bei wichtigen Entscheidungen gerade nicht Ihrer Meinung sind! Reflektieren Sie die neue – vielleicht auch unbequeme – Position Ihres Gegenübers. Versuchen Sie zu ergründen, wieso er oder sie zu einer anderen Bewertung kommt und was das Wertvolle an dieser Perspektive ist.
- Halten Sie Nachteile, Widersprüche und Ambivalenzen aus – Stichwort Ambiguitätstoleranz! Dazu gehört auch, sich beider wissenschaftlicher Ansichten – der klassischen Ökonomie und der Verhaltensökonomie – bewusst zu werden und in beiden Perspektiven Wertvolles zu erkennen und für sich zu nutzen.
Es bleibt festzuhalten, dass die Thematik der Behavioral Finance sehr viele Teilbereiche wie die Psychologie, systemische Theorien oder Wirtschaftswissenschaften berührt und eine umfassende Betrachtung in Kürze der Zeit – selbst mit ausreichendem Raum – kaum möglich ist. Denn wie bereits beschrieben unterscheiden sich die Perspektiven und Sichtweisen der einzelnen Schulen stark.
Der Preis der Perfektion
Doch vielleicht ist gerade das die beruhigende und aufschlussreiche Nachricht: Dass die Unterschiedlichkeiten, die Diversität und die Ambivalenz in unseren Entscheidungen für uns als Mensch in der Reflektion mit einem Gegenüber zu den besten Ergebnissen führen.
Denn was wäre der Preis für einen rein rational handelnden Menschen nach dem Vorbild des Homo oeconomicus? Auf was würden wir verzichten müssen, was würden wir verlieren? Ist womöglich der Homo oeconomicus in der kommenden Generation einer Künstlichen Intelligenz zu finden und damit gar kein Mensch mehr? Dann wäre dies – wir erinnern uns an die Worte Prechts – der Tod des Menschen, wie wir ihn kennen und lieben.
Über den Autor:
Uland Grawe ist seit 2000 Berater bei MLP in Hamburg. In seiner Beratung verzahnt der CFP verschiedene Denkmodelle wie systemische Theorien, Behavioral Finance und Kommunikationsmethoden miteinander, um gemeinsam mit seinen Kunden das für sie passende Ergebnis zu erzielen.
Wir präsentieren kontinuierlich Beispiele aus der Beratungspraxis. Wir schauen dabei erfolgreichen CFP-Zertifikatsträgern bei MLP über die Schulter – unter anderem bei Beratungen zu Praxisgründungen, Ruhestandsplanungen, Depotanalysen und Immobilienfinanzierungen. Tipps und Tricks inklusive.