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Aegon-Analyse Bei der Deglobalisierung könnte es zu einer Kehrtwende kommen

Chinesische Geologen sammeln Proben von frisch gefördertem Eisenerz
Chinesische Geologen sammeln Proben von frisch gefördertem Eisenerz: Mit dem globalen Aufschwung dürften sich die Aussichten der Rohstoffproduzenten in den Schwellenländern weiter verbessern. | Foto: Imago Images / China Foto Press

Die Menschheit hat das zweite Pandemiejahr fast hinter sich gebracht. Derweil gehen rund um die Welt die Impfkampagnen weiter. Vorerst bleibt noch ungewiss, wie der globale Aufschwung und die konjunkturelle Entwicklung in den Schwellenländern auf lange Sicht vorankommen. Bereits absehbar ist, dass sich die Wirtschaft in verschiedenen Regionen in unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickeln wird, wobei einige Gegenden – China, Naher Osten und europäische Peripherieländer – sich schneller erholen werden als Lateinamerika und Afrika. Insgesamt werden die durch die Delta-Variante hervorgerufenen Neuinfektionen und künftige Covid-19-Belastungen die Schwellenländer mit Blick auf ihre Finanz- und Geldpolitik vor neue Herausforderungen stellen – eine nachhaltige Trendbelebung ist nicht ohne Weiteres zu erreichen.

Viele Schwellenländer mit hoher Auslandsverschuldung

China und alle anderen Schwellenländer haben in der Pandemie weitreichende Stützungsprogramme auf den Weg gebracht. Auf der fiskalischen Seite umfassten diese Maßnahmen erhöhte Staatsausgaben, Liquiditätsspritzen, Ankäufe von Vermögenswerten und die Unterstützung durch multilaterale Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank. Die Zentralbanken der Schwellenländer wiederum haben ihre Geldpolitik massiv gelockert, parallel zu ähnlichen Maßnahmen in den voll entwickelten Volkswirtschaften. Zwar haben ausgeweitete Haushaltsdefizite die ohnehin schon hohe Staatsverschuldung vielerorts noch weiter erhöht. Doch ohne diese Maßnahmen wären die Staaten mit einem weitaus stärkeren BIP-Rückgang konfrontiert gewesen, was die Erholung nach der Pandemie erheblich gefährdet hätte. China ist es mit seinem rigide umgesetzten Maßnahmenmix gelungen, Covid-19 einzudämmen und seine Bevölkerung schneller zu impfen als es dem Rest der Schwellenländer glückte.

Die langfristigen Wirtschaftsaussichten für China und die Schwellenländer hängen davon ab, wie schnell die negativen Auswirkungen der Pandemie auf Arbeitsmarkt, Finanzsysteme, Politik, Wachstum und Inflation bewältigt werden können. Im Gegensatz zu China, das sich sehr stark in heimischer Währung verschuldet hat, weisen andere Schwellenländer eine beträchtliche Verschuldung in Fremdwährungen auf. Zugleich halten ausländische Investoren einen beträchtlichen Teil der inländischen Schulden. Daher sind viele Schwellenländer gezwungen, ihre Schuldendienstkosten überschaubar zu halten. Einige Länder mussten einen Schuldenerlass im Rahmen der G20-Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes beantragen.

Die Konjunkturerholung verläuft global ungleichmäßig

Der weltweite Inflationsanstieg wird wahrscheinlich nur vorübergehend sein; der Inflationsdruck dürfte in den nächsten Jahren nachlassen. Blickt man über die aktuellen Unsicherheiten hinaus, lassen sich derzeit gute Aussichten für China und entwickelte Länder und Regionen wie Europa und die USA erkennen – was sich angesichts der starken Handels- und Kapitalverflechtungen positiv auf die Schwellenländer auswirken dürfte. Mit dem sich verstärkenden globalen Aufschwung werden sich folglich die Aussichten der Rohstoffproduzenten in den Schwellenländern weiter verbessern. Zugleich dürfte sich der zyklische Aufschwung in den Schwellenländern fortsetzen, begünstigt durch gesteigerten Nachholbedarf und neue Investitionen.

Die Nachfrage der Verbraucher dürfte weltweit stark bleiben, gestützt durch die wiederanziehende Konjunkturentwicklung, die Impfkampagnen und die gestiegene Zuversicht. Engpässe auf der Angebotsseite bringen kurzfristige Unsicherheiten mit sich, dürften sich aber im Laufe der Zeit auflösen. Unsere Erwartung einer widerstandsfähigen, sich langfristig ausweitenden Erholung bleiben daher unverändert. Diese dürfte allerdings nach wie vor ungleichmäßig verlaufen, sowohl in der Gruppe der Schwellenländer als auch in den entwickelten Märkten. Vieles wird letztlich in hohem Maß vom weiteren Erfolg der Impfanstrengungen abhängen.

China weiterhin auf Wachstumskurs

Die US-Geldpolitik scheint sich in einer Übergangsphase zu befinden. Die US-Notenbank wird zunächst ihre Wertpapierkäufe zurückführen, bevor sie die Geldpolitik strafft: Erste Zinserhöhungen sind voraussichtlich im Jahr 2023 zu erwarten.

China ist mit der kürzlich angekündigten Senkung des Mindestreservesatzes (RRR) bereits zu einer neutralen Geldpolitik übergegangen. Die RRR-Senkung zeigt, dass die People's Bank of China (PBoC) entschlossen ist, die Liquiditätserwartungen zu verankern und sicherzustellen, dass bei Marktteilnehmern keine Angst vor einer Liquiditätsverknappung aufkommt.

Während der chinesische Immobilienmarkt an Schwung verloren hat, zeigen sich die Einzelhandelsumsätze und die Investitionen im verarbeitenden Gewerbe weiterhin stark. Die Zahlen untermauern unsere Erwartung, dass sich das Wachstum in den kommenden Jahren allmählich von den Immobilieninvestitionen auf die Investitionen des verarbeitenden Gewerbes und den Konsum der privaten Haushalte verlagern dürfte.

Die Exportdynamik, die sich aus der anhaltenden Erholung der Weltwirtschaft ergibt, dürfte robust bleiben. Die Daten zum Welthandel deuten darauf hin, dass China trotz der US-Zölle und des schwelenden Handelskonflikts weiterhin eine feste Größe in den globalen Lieferketten bleibt. Auf dem Nationalen Volkskongress, der vom 5. bis 11. März 2021 in Peking tagte, gab Chinas Staatsführung für das laufende Jahr wieder das vor der Pandemie jährlich ausgegebene BIP-Wachstumsziel von mehr als 6 Prozent vor und erklärte, dass auch in den kommenden Jahren wieder jährliche BIP-Wachstumsziele festgelegt werden sollen. Mit 2,3 Prozent erzielte die Volksrepublik 2020 das schwächste Wachstum seit Jahrzehnten, wies aber als weltweit einzige Volkswirtschaft ein Plus aus. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 hatte der BIP-Zuwachs 6,1 Prozent betragen.

Weil die Aussichten für eine Verbraucherpreis-Inflation in China gering sind, dürfte die PBoC noch Spielraum für eine flexible und umsichtige Gelpolitik haben, um das Wirtschaftswachstum weiter zu unterstützen. Die meisten Zentralbanken in Asien werden wahrscheinlich dem Beispiel der PBoC folgen und in nächster Zeit ihre lockere Geldpolitik beibehalten.

Schwellenländer-Wachstum verlangsamt sich

Die politischen Entwicklungen in den Schwellenländern beobachten wir genau; sie entscheiden über Wohl und Wehe der Volkswirtschaften. Indes erwarten wir eine Verlangsamung des globalen Liquiditätswachstums in den Schwellenländern: Hintergrund sind die Auswirkungen des Taperings der Fed, der Covid-19-Impfungen und leicht steigender Zinsen.

Ein Problem für die langfristigen Aussichten der Schwellenländer dürfte der Trend sein, dass sich das Wachstum in den Jahren vor der Pandemie sowohl absolut als auch relativ zu den entwickelten Märkten verlangsamte. Der zugrunde liegende Trend des BIP-Wachstums hat sich von einem Höchststand von rund 7 Prozent kurz vor der globalen Finanzkrise auf derzeit rund 4,5 Prozent verringert. Diese Verlangsamung hängt weitgehend mit den zunehmend „normaleren“ Wachstumsraten Chinas zusammen. Weil China eine BIP-Wachstumsrate von etwa 6 Prozent nicht nur anstrebt, sondern auch erreichen kann, könnte sich – im Verbund mit einer Normalisierung der globalen Konjunkturentwicklung – in den Schwellenländern insgesamt wieder ein Wachstumsplus von 5 Prozent einstellen.

Letztlich rechnen wir mit einem Abflauen des Protektionismus und einer deutlichen Kehrtwende beim Trend zur Deglobalisierung: Um neue Absatzmärkte zu erschließen und auszubauen, werden globale Handelsabkommen umgesetzt, während Zölle, die zuletzt dem Protektionismus Vorschub leisteten, für die Schwellenländer nach und nach abgebaut werden.

Mehr zum langfristigen Ausblick von Aegon Asset Management lesen Sie hier (Englisch).

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