DAS INVESTMENT: Robin, Sie sind mit Ihrem Unternehmen Teil der oft zitierten „Fintech-Revolution". Wie sehen Sie die Entwicklung der Finanzbranche in den letzten Jahren und was waren für Sie die größten Veränderungen?

Robin Binder: Für mich sind die größten Themen ganz klar Technologie, Digitalisierung und als Ergebnis daraus eine immer stärkere Nutzerzentrierung. Die Angebote werden immer besser für die Endkunden, der Wettbewerb wird immer größer und der Finanzplatz wird deutlich zugänglicher.

Ein großer Trend der letzten vier bis fünf Jahre, den Corona befeuert hat, ist die wachsende Bereitschaft, vieles selbst zu entscheiden und mit digitalen Lösungen zu arbeiten. Es gab früher noch viele Menschen, die persönlich beraten werden wollten. Das nimmt immer mehr ab. Ich glaube mit Blick nach vorne: Nur bei sehr komplizierten Fällen und bei sehr komplexen Situationen brauchst du noch einen persönlichen Berater. Und dieser Austausch wird dann vermutlich nicht mehr so sein, wie er jetzt ist.

Bedeutet das also das Aus für die klassische Finanzberatung?

Binder: Ich bin überzeugt, in Zukunft werden sich nur die Top-Berater und -Beraterinnen durchsetzen können. Also diejenigen, die wirklich fachlich stark sind und auch die Bedürfnisse der Nutzer erkennen – und eben nicht die, die etwas verkaufen wollen, was die Bank verkaufen möchte. Beim Asset Management zum Beispiel muss die Beratung einen echten Mehrwert bieten. Und bei allem, wo sie keinen richtigen Mehrwert bietet, wird sie auch nicht mehr stattfinden. Diese Prozesse und Interaktionen werden künftig digitalisiert.

Stichwort Digitalisierung: Welche Rolle spielt die Regulierung in diesem Kontext?

Binder: Ich bin erst 2012 in die Bankenbranche eingestiegen. Seitdem gab es jedes Jahr irgendwelche Neuerungen. Regulatorisch wurde also vieles schwieriger und komplexer – manches einfacher. Bisher war das jetzt nichts Neues. Es gibt schon immer regulatorische Anforderungen. Und natürlich werden diese Anforderungen höher, wenn in der Branche Schindluder getrieben und nicht durchdacht gearbeitet wird. Gerade Banken müssen stabiler sein. Regulatorisch relevant waren für mich Basel III und die im Januar 2024 in Kraft getretene Eltif-2.0-Reform.

Wie genau wirken sich diese regulatorischen Veränderungen auf die Branche aus?

Binder: Sich wandelnde regulatorische Änderungen gehören einfach zu unserer Branche: Produktveränderungen, Nutzerzentrierung, Technologie – im Zuge dessen muss auch die Regulatorik deutlich mehr auf IT-Sicherheit und Cybersecurity eingehen.

Lassen Sie uns über Ihren persönlichen Weg in die Finanzbranche sprechen. Wie hat sich das entwickelt?

Binder: Ich fand es früher mit 14 oder 15 total cool, eine Ausbildung zu machen. Studieren musste ich nicht, dachte ich. Aber dann haben mich meine Eltern in den Ferien regelmäßig zum Autowaschen geschickt. Sie wollten mir damit vermutlich zeigen, dass man auch mit dem Kopf anstatt mit den Händen arbeiten kann. Da habe ich dann auch Lust auf Studieren bekommen und fand Banking gut. Für mich war daher klar, dass ich bei der Bank ein duales Studium machen möchte, weil ich es prestigeträchtig und irgendwie cool fand. Ich habe dann bei der Hypovereinsbank das duale Studium angefangen, und es hat mir voll Spaß gemacht.

Und wie unterscheidet sich Ihre jetzige Erfahrung im Fintech von Ihrer Zeit bei der Bank?

Binder: Der wesentliche Unterschied ist einfach: Ich habe mich als Mitarbeiter einer Bank gegenüber anderen Branchen überlegen gefühlt. Im täglichen Arbeiten gab es zwar Teamziele, aber trotzdem war es eine Ellenbogengesellschaft. Der große Wandel, den die Fintech-Revolution gebracht hat, ist, dass jüngere Menschen auch in einem stark regulierten und traditionellen Umfeld lieber zusammenarbeiten. Sie wollen an einer Vision arbeiten. Zudem stehen die Nutzer im Fokus. Alle wollen gemeinsam etwas Großes aufbauen und den Status Quo verbessern.

Robin, lassen Sie uns tiefer in die Veränderungen der Job-Profile eintauchen. Welche neuen Fähigkeiten und Rollen sind in der Fintech-Branche besonders gefragt?

Binder: Also gerade das Thema „Mobile First“ ist bei uns zentral. Wir bieten unsere Plattform als iOS- und Android-Apps an. Das heißt, Entwickler sind wahnsinnig wichtig. Dafür müssen sie das klassische Bankgeschäft auch nicht verstehen. Sie haben nichts mit Asset Management und Banking am Hut. Es geht eher darum, digitale Lösungen zu schaffen.

Deshalb ist es aber auch notwendig, interdisziplinär zusammenarbeiten. Es ist wichtig, dass jemand die Business-Anforderungen versteht und in Tech übersetzen kann, damit die Entwickler die Anforderungen richtig umsetzen können. Das ganze Banking- und Investment-Erlebnis ist einfach deutlich technologielastiger geworden – und damit auch die Anforderungen an Mitarbeitende.

Wie setzen Sie künstliche Intelligenz in Ihrem Unternehmen ein?

Binder: Wir setzen stark auf AI, gerade im Design-Bereich und beim Texten, also im Marketing. Das heißt, wir haben niemanden mehr, der nur Grafiken macht oder die ganzen Beschreibungen schreibt. Wir brauchen jemanden, der unsere AI-Tools so füttern kann und trainiert, dass das gewünschte Ergebnis herauskommt. Auch bei Prozessen wie der Nachbearbeitung von Videos und AI-generierten Bildern können wir nahezu alles automatisiert machen.

Wie verändert sich dadurch das Profil der Mitarbeiter?

Binder: Du brauchst ein technisches Grundverständnis. Generell werden die Profile immer unschärfer, weil sich alles so schnell verändert. Die aktuellen Skills sind jetzt gut, aber mit Blick auf die Zukunft ist es viel wichtiger, dass du flexibel bist und dass du die richtige Einstellung hast.

Vor zwei Jahren hast du niemanden gebraucht, der gut mit KI umgehen kann, weil es noch kaum einer gemacht hat. Aber jetzt verändert sich unser kompletter Alltag. Du schreibst eine E-Mail und wirst in der Regel durch neuartige Tools sehr unterstützt. Du kannst dich rhetorisch großartig ausdrücken, auch wenn du es eigentlich nicht kannst, und du kannst tolle Grafiken und Videos erstellen, die du normalerweise nicht erstellen könntest.

Wie hat sich speziell der Marketingbereich verändert?

Binder: Das Marketing ist bei uns extrem datenbasiert. Wir machen Performance Marketing von Tag eins an, mit ausgefeiltem Tracking. Es ist wirklich sehr analytisch. Natürlich brauchst du auch Kreativität, die aber eher technologiegestützt ist.

Wenn ich jetzt zurückdenke an die Bank, wo wir Marketing im TV oder in Form von OOH-Kampagnen gemacht haben, ist das zu unserem Ansatz bei Nao heute ein großer Unterschied. Jetzt hast du neben der Kundengewinnung eben auch den Beratungsprozess, den es zu digitalisieren gilt. Du musst die Leute digital an die Hand nehmen. Und da brauchst du eine deutlich höhere technische Affinität.

Wie sieht es mit traditionellen Finanzinstituten aus? Wie müssen sie sich anpassen?

Binder: Mit Blick auf traditionelle Player wie Banken und Vermögensverwalter: Die müssen einfach besser werden. Tech-Unternehmen sind echt gut darin, nutzerzentrierte Lösungen zu schaffen. Alle Prozesse werden für die Nutzer einfacher. Da tun sich die großen Tanker teilweise schwer.

Deswegen müssen die traditionellen Institute gerade in den Nischen, wo sie wirklich eine Existenzberechtigung haben, besser werden. Je einfacher die Aufgaben sind, desto weniger notwendig ist die Bank, weil die neuen Player es oft besser machen. Bei Themen, die beratungsintensiv sind, oder im Asset Management ist vielen das Menschliche immer noch sehr wichtig. Dafür muss aber auch die Qualität stimmen. Alles andere, was automatisiert werden kann, wird dann einfach nutzerzentrierter, günstiger und besser durch die Digitalisierung.

Welche Fähigkeiten und Eigenschaften sollten Bewerber mitbringen, die in die Fintech-Branche einsteigen wollen?

Binder: Bei mir sind Flexibilität und Motivation entscheidend. Wenn ich ein Bewerbungsgespräch habe und jemand weiß gar nicht so richtig, was wir machen, frage ich mich, warum er hier ist. Ich möchte Leute in meinem Team, die an unsere Vision glauben.

Ich glaube allerdings nicht mehr so richtig an klassische Stellenbezeichnungen und Jobs. Für mich ist es wichtiger, dass wir gemeinsam als Team etwas Großes schaffen möchten. Um das zu erreichen, bringen alle ihre individuellen Skills mit ein.

Ein grundlegendes Interesse am technologischen Wandel brauchst du aber schon, wenn du bei einem Tech-Unternehmen arbeitest. Und für mich sind auch Grundeigenschaften wie Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Motivation wichtig. Dazu kann man sich relativ schnell eine Meinung bilden. Durch die sich schnell verändernden Anforderungsprofile ist die Einstellung viel wichtiger geworden, als zu sagen: „Ich bin jetzt der ausgewiesene Experte in irgendeinem Bereich.“

Gibt es Ausnahmen von dieser Regel?

Binder: Natürlich gibt es Ausnahmen. Beispielsweise, wenn du ein Backend-Developer auf „Ruby on Rails“ bei uns bist. Da brauchst du natürlich das entsprechende Fachwissen, da es sonst schwierig wird. Aber bei den meisten Business-Jobs ist die Motivation für mich entscheidend.

Jeder bringt so sein Know-how mit ein. Ich glaube, das ist auch das Schöne an einem Start-up. Uns gibt es in dieser Art und Weise schon gute zwei Jahre, da wachsen ja alle mit. Ich könnte jetzt auch kein CEO von einem Dax-Unternehmen sein, aber in der Rolle, in der ich gerade bin, fühle ich mich sehr wohl. Wir wachsen gemeinsam. Wir wollen ja alle irgendwann dahin, dass wir ein etablierter Player sind und in zehn, 15 Jahren eine führende Position in Europa innehaben. Aber dass du nach vorne willst, dein Know-how einbringst, offen bist, dich weiterzuentwickeln – genau diese Lernbereitschaft und dieses Engagement wird immer wichtiger.

Lassen Sie uns über die Unternehmenskultur in Fintechs sprechen. Was sind die größten Missverständnisse, die Sie bei jungen Leuten über Jobs in der Finanzwelt, insbesondere in der Fintech-Branche, beobachten?

Binder: Die größten Missverständnisse entstehen, weil alles so super lässig zu sein scheint. Viele Start-ups haben einen Kickertisch und man denkt: Alles ist locker und wird schon passen. Aber gerade im streng regulierten Finanzbereich müssen wir alle Erfordernisse erfüllen. Und das ist nicht unbedingt locker.

Gerade mit Blick auf Start-ups denken viele, dass alles nur locker und spaßig ist. Das stimmt aber nicht. Du hast zwar viele Freiräume, aber trotzdem wird da echt viel gearbeitet. Ich bin ein Fan davon, die Mitarbeitenden über die Vision und über eine Beteiligung zu motivieren. Bei mir hat jeder Mitarbeitende Anteile an der Firma. Dadurch wird jeder Einzelne angehalten, unternehmerisch zu denken. Aber dennoch gehen manche davon aus, dass es in einem Start-up deutlich lässiger zugeht und du gar nicht so richtig arbeiten musst.

Wie sieht die Realität in Bezug auf Arbeitszeiten und Work-Life-Balance aus?

Binder: Bei uns ist es so, dass die meisten, die auf der Führungs- oder C-Level-Ebene sind, nie so richtig Feierabend haben. Das liegt daran, dass sie sehr stark involviert sind und dass Privatleben und Business miteinander verwoben sind. Bei einer klassischen Anstellung ist das aber anders. Wir wollen Shareholder Value erzeugen und Nao weiter nach vorne pushen, weil wir unsere Vision zur Realität machen wollen. Das heißt, du arbeitest im Start-up schon deutlich intensiver, als viele denken.

Wie unterscheidet sich die Kultur in Fintechs von der in traditionellen Banken?

Binder: Für viele Berufseinsteiger, die gerade ihren Master abgeschlossen haben, sind große Marken immer noch sehr attraktiv. Viele schauen in Richtung der Investmentbanken und ins Investmentbanking. Sie glauben, wenn sie da angekommen sind, dann ist da alles toll.

Aber für mich ist das Krasse, wie hierarchisch es dort noch zugeht. Wenn man da anfängt, ist es egal, wie gut man im Studium war oder welche tollen Praktika man gemacht hat. Die ersten zwei Jahre ist man Analyst und macht Präsentationen. Danach bist du vielleicht irgendwann mal Associate und darfst raus zum Kunden. Und das läuft dann erstmal jahrelang so weiter.

Banken sind bei Themen wie Karriereentwicklung, Entfaltungsmöglichkeiten und Hierarchie also immer noch sehr traditionell. Und der Teamgedanke ist häufig auch nicht so stark ausgeprägt. Zwar fühlt es sich am Anfang so an, aber wenn es mal um Boni geht und darum, jemand anderem was zu gönnen, habe ich wenig positive Erfahrungen gemacht. In Banken sind noch immer viele Einzelkämpfer unterwegs. Bei uns gibt es keine Einzelkämpfer-Alphas mehr.

Wie gehen Sie als Führungskraft mit diesen Herausforderungen um?

Binder: Mir ist wichtig, mein Team selbstständig arbeiten zu lassen und die Motivation hochzuhalten. Dafür musst du als Chef eine klare Vision schaffen, hinter der alle stehen, die aber auch gemeinsam im Team reflektiert wird.

Gerade als Chef ist es mir wichtig, nah an den operativen Prozessen dran zu sein. Denn nur so kann ich verstehen, was die wirklichen Schmerzpunkte sind und wo gegebenenfalls nachgebessert werden muss. Ich setze mich auch mindestens einmal im Monat mit den Teammitgliedern zusammen, die direkt an mich berichten. Dann nehmen wir uns Zeit, um in Ruhe über alles zu sprechen. Was lief gut und was schlecht? Wo kann ich unterstützen? Eben Herausforderungen, die beide beschäftigen. So bleibe ich möglichst nah dran und es gibt keine Blocker.

Bei den Gesprächen achte ich auch darauf, ob die Motivation noch hoch ist. Wenn nicht, was kann ich ändern? Es ist sehr wichtig, als Führungskraft die Prozesse wirklich zu verstehen. Denn wenn du nur von oben draufschaust und nie selbst erlebst, was die alltäglichen Probleme sein könnten, funktioniert es nicht. Dann verlierst du den Anschluss an das Tagesgeschäft und deine Kundinnen und Kunden.

Welchen Führungsstil verfolgen Sie?

Binder: Es ist ein eher freier Führungsstil. Das Team muss auch ohne mich laufen können. Allerdings achte ich – wie gesagt – darauf, dass die Motivation hoch und die Vision klar ist.

Zudem musst du klar kommunizieren, was gut und was schlecht lief und die Leute immer mitnehmen. Du musst schauen, dass jeder sagt: „Hey, die Vision, da glaube ich dran!“ Aber ansonsten lässt du dein Team eher laufen und eigene Lösungen und Wege finden. So kommst du ans Ziel. Ich finde, du bist dann eine gute Führungskraft, wenn man dich eigentlich nicht braucht. Wenn jeder genau weiß, wofür er aufsteht, und es auch in die eigenen Teams weiterträgt.

Zum Abschluss: Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der in die Fintech-Branche einsteigen möchte?

Binder: Du musst flexibel sein und bleiben. In einem Unternehmen, besonders in einem Start-up, kannst du alles werden – dir stehen alle Türen offen. Du kannst zum Beispiel den Job wechseln: Wenn dir Marketing keinen Spaß mehr macht, kannst du auch in andere Bereiche reinschauen. Wenn deine Motivation stimmt, dann kannst du echt viel erreichen.

Mir ist auch der berufliche und akademische Hintergrund nicht so wichtig. Wenn ich merke, dass Bewerbende die richtigen Werte haben, braucht es keinen MBA von irgendeiner Elite-Uni. Wenn du die richtigen Werte und Einstellungen hast, dann kannst du vor allem bei Start-ups noch viel erreichen und schnell viel Verantwortung übernehmen.

Robin, vielen Dank für die tiefen Einblicke.

Binder: Gerne! Ich hoffe, ich konnte einen realistischen Einblick geben.