Bei Vermögensverwaltern nachgefragt Was machen Sie seit der Lehman-Krise anders?
Helge Müller: "In Extremsituationen nicht auf Absicherung und Total-Return-Ansätze verlassen"
Ihre prägendsten Erinnerungen an die Zeit der Finanzkrise 2008?
Helge Müller: Vor allem die Monate September und Oktober 2008 waren sehr herausfordernd. Es schien, dass sich für einen Moment die Weltkugel langsamer drehen würde. Unzählige Kunden riefen an und wollten sich informieren. Die überwältigende Mehrheit unserer Kunden war aber sehr diszipliniert. Meine prägendste Erinnerung war das unglaubliche Chancenfenster, das sich geöffnet hatte. Ein Broker hatte uns eine Liste von Unternehmensanleihen zugesendet. Er rief an und wollte wissen, welche davon wir kaufen möchten. Wir sagten, dass wir derzeit keine Anleihen zu diesen Preisen kaufen möchten und er antwortete: „Nicht zu diesen Preisen - zu irgendwelchen Preisen.“ Wegen vorzeitiger Rückzahlungen mussten große Anleihefonds massiv Positionen auf den Markt werfen, es kam zu kompletten Preisverwerfungen. Anleihen von gesunden Unternehmen konnte man mit 50 Prozent, manchmal auch 70 oder 90 Prozent Abschlag kaufen.
Wie waren damals Ihre Kundenportfolios aufgestellt, und was haben Sie danach verändert?
Wir sind ein klassischer Value-Investor und kaufen neben Aktien vor allem Unternehmensanleihen. Bei Panik und Marktversagen sollte man die Situation mit kühlem Kopf aussitzen. Unsere Einschätzung war richtig, denn gerade bei Unternehmensanleihen gab es nach dem massiven Preisverfall von September 2008 bis März 2009 einen Run auf die gleichen Positionen im festverzinslichen Bereich. Schon nach zwölf Monaten hatten sich die Preise der meisten Unternehmensanleihen erholt und das Chancenfenster war wieder geschlossen.
Haben Sie aus der Krise Schlussfolgerungen für sich gezogen und machen seitdem etwas anders?
Unser Investmentansatz hat sich danach in drei Punkten grundlegend geändert: Erstens investieren wir grundsätzlich nicht mehr in alternative Anlagen wie Hedge Fonds, da sich gezeigt hat, dass man sich auf die Absicherungsstrategien und Total-Return-Ansätze in extremen Situationen nicht wirklich verlassen kann. Zweitens: Im Aktienbereich hatten wir uns vorher stärker auf Kennziffern wie Kurs-Gewinn-Verhältnis, Dividendenrendite und niedrigen Buchwert im Verhältnis zur Marktkapitalisierung konzentriert. Das ist uns heute noch wichtig, allerdings messen wir Geschäftsmodellen von Unternehmen eine deutlich höhere Bedeutung zu. Die Frage lautet nicht mehr: „Wo steht das Unternehmen heute“, sondern: „Wo wird es in vier bis fünf Jahren stehen?“. Drittens, in der Finanzkrise waren kurzlaufende Unternehmensanleihen die wertvollsten Anlagen. Gelder von Anleihen, die zwischen September 2008 und Februar 2009 ausliefen, konnten wir gezielt verwenden, um das Chancenfenster für unsere Kunden zu nutzen. Deshalb bemühen wir uns heute konsequent, einen Teil Anleihen mit Laufzeiten von weniger als zwei Jahren in den Portfolios zu halten. So können wir auf jede zukünftige Krise flexibel reagieren.
Hat sich die Einstellung Ihrer Kunden zum Thema Finanzanlage durch die Krise verändert?
In den ersten Jahren nach der Finanzkrise fragten die meisten neuen Kunden nach festverzinslichen Anlagen. Die meisten Privatanleger wollten von Aktien nichts mehr wissen. Interessanterweise stellen wir seit etwa zwölf Monaten eine deutliche Veränderung fest. Der Risikoappetit der Privatanleger hat deutlich zugenommen. Die große Mehrheit möchte einen größeren Teil des Portfolios wieder in Aktien investieren.
Sehen Sie derzeit die Gefahr einer neuen Finanzkrise?
Laut Internationalem Währungsfonds gab es in den letzten 100 Jahren mehr als 100 Bankkrisen. Es wäre naiv zu glauben, dass wir in Zukunft keine Krisen mehr sehen werden. Interessant ist, dass viele Krisen mit einem Crash am Immobilienmarkt einhergehen. Auslöser der Finanzkrise 2008 waren nach unserer Einschätzung regulatorische Veränderungen, die die Clinton-Administration zehn Jahre zuvor vorgenommen hatte: Sie wollte allen Bürgern den Kauf einer Immobilie ermöglichen. Bestrebungen, in Deutschland ebenfalls größere Teile der Bevölkerung zu Immobilienbesitzern zu machen, sehen wir kritisch. Wir erwarten, dass ab Mitte nächsten Jahres die Zinsen auch in der Europäischen Union wieder deutlich steigen werden. Das wird viele der finanziell schwächsten Hauskäufer unter Druck setzen und könnte den nächsten Crash auslösen. Die Geschichte wird sich wiederholen. Daher sollte man sich heute schon darauf vorbereiten.