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Beweislastumkehr: „Unverhältnismäßige Überstrapazierung der Vermittler“

Quelle: Fotolia
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DAS INVESTMENT.com: Beweislastumkehr bedeutet, dem Anbieter von Finanzprodukten respektive dem das Produkt vermittelnden Berater soll im Streitfall die Last aufgebürdet werden, nachzuweisen, dass die Beratung korrekt war. Warum lehnt der AfW die Beweislastumkehr zuungunsten des Beraters in der Finanzberatung ab? Norman Wirth: Weil damit eine ganze Branche – etwas überspitzt – kriminalisiert wird. Diese populistische Forderung hilft einzig den selbsternannten „Anlegerschutz“-Anwälten, die dann noch hemmungsloser auf Mandantenfang gehen könnten. Denn was wäre die Grundaussage der Beweislastumkehr? Wenn etwas nicht so läuft, wie vom Anleger erhofft, hat erst einmal nicht er den Fehler gemacht und ist das jeder Kapitalanlage immanente Risiko eingegangen, sondern der Vermittler/Berater hat etwas falsch gemacht. Das steht dann als Anfangssachverhalt fest und der Vermittler/Berater muss beweisen, dass er alles richtig gemacht hat. Jedwedes Anlagerisiko würde damit in einem ersten, gesetzgeberischen Schritt weg vom Anleger getragen werden. Bereits jetzt wird durch unseriöse Rechtsanwälte oder Kunden mit Kaufreue regelmäßig und massenhaft versucht, Kapital aus der bereits bestehenden Regelung zur Darlegungs- und Beweislast zu schlagen. Willkürlichen Schadenersatzprozessen wäre Tür und Tor geöffnet. DAS INVESTMENT.com: Der AfW sprach in einer Stellungnahme davon, dass die Beweislastumkehr den „Grundsätzen unserer Rechtsordnung“ widerspricht. Warum? Wirth: Das deutsche Zivilrecht geht grundsätzlich davon aus, dass derjenige, der von einem anderen etwas verlangt, seinen Anspruch auch beweisen muss. Kleines Beispiel: A behauptet, dass er B 1.000 Euro geliehen hat und will dieses Geld nun zurück. B hält dagegen, dass A ihm das Geld geschenkt hat. Vor Gericht muss nun A seine Behauptung beweisen, dass er das Geld verliehen hat. Kann er das nicht – zum Beispiel unter Vorlage eines Darlehensvertrages –, dann hat er Pech gehabt. Diesbezüglich gibt es in engsten Grenzen Ausnahmen, nämlich dann, wenn von einem überragenden Wissensvorsprung der einen Seite ausgegangen werden kann, so zum Beispiel im Arzthaftungs-, Produkthaftungs- oder Verbrauchsgüterkaufrecht. DAS INVESTMENT.com: Und der Berater hat demzufolge keinen überragenden Wissensvorsprung vor seinem Kunden?  Wirth: Nein, nicht in dem Ausmaß wie bei Ärzten. Der Berater ist in diesem Punkt eher mit Steuerberatern oder Anwälten zu vergleichen, Berufsgruppen, für die ebenfalls keine Beweislastumkehr gilt. Bezieht man die genannten Ausnahmen auf die Finanzdienstleistung, dann wäre allenfalls eine Umkehr der Beweislast in Bezug auf die Produktgeber denkbar, nicht jedoch auf die Vermittler. Ansonsten wäre man bei einer unverhältnismäßigen Überstrapazierung der Plausibilitätsprüfungspflicht des Vermittlers. DAS INVESTMENT.com: Verbraucherschützer argumentieren, dass bei einem vernünftig geführten Beratungsprotokoll der Nachweis einer korrekten Beratung kein Problem für den Berater sein sollte. Zudem ließe sich so verlorengegangenes Vertrauen in die Branche zurückholen. Was entgegnen Sie dem? Wirth: Zum ersten betrifft das verlorengegangene Vertrauen doch in erster Linie die Bankenbranche. Zu Recht: Die unabhängigen Finanzdienstleister, die wir als AfW originär vertreten, sind doch nun gerade diejenigen, an die sich die Kunden jetzt wenden sollten. Und gerade jetzt ist es die Stunde der unabhängigen Finanzdienstleister, bei den Kunden Flagge zu zeigen, Fragen zu beantworten und auf die gravierenden Unterschiede in den Beratungs- und Vertriebswegen hinzuweisen und darüber aufzuklären. DAS INVESTMENT.com: Und das Beratungsprotokoll? Wirth: Die Frage ist doch, ob wir hier von einem Wortprotokoll sprechen oder von einer Beratungsdokumentation. Wenn ein allumfassendes Protokoll geführt werden soll, kann auch gleich ein Aufnahmegerät auf den Tisch gelegt werden – die Telekom lässt grüßen. Die Dokumentation soll dazu dienen, die Eckpunkte der Beratung festzuhalten, nicht jedoch jeden einzelnen besprochenen Aspekt des Gespräches. Aber sicherlich erleichtert eine gute Dokumentation auch den Nachweis einer korrekten Beratung – keine Frage. DAS INVESTMENT.com: Wie weit ist die Beweislastumkehr in der Finanzdienstleistungsbranche im Rest Europas verbreitet? Wäre Deutschland damit ein Unikum? Wirth: Nach meinem Wissenstand gibt es eine Beweislastumkehr in Bezug auf die Finanzdienstleistungsbranche europaweit nicht. Bei der Vielzahl von Rechtsordnungen und da es diesbezüglich keine klare EU-Richtlinie gibt, kann ich es jedoch auch nicht völlig ausschließen. Klar ist, dass die Beweislastumkehr nicht nur der deutschen Rechtsordnung im Grundsatz widerspricht, sondern wohl jeder Rechtsordnung. DAS INVESTMENT.com: Der Verband Geschlossene Fonds VGF und Votum, mit denen der AfW kooperiert, lehnen eine Beweislastumkehr ebenfalls ab. Sie könnten sich allerdings vorstellen, die Beweislastumkehr für Fälle einzuführen, in denen kein Protokoll vom Berater erstellt wird oder dem Anleger keine vergleichbare Dokumentation ausgehändigt wird. Lautet die Lösung also, künftig eine verpflichtende Beratungsdokumentation für die Vermittlung sämtlicher Finanzprodukte gesetzlich vorzuschreiben? Wirth: Ja, wobei hier auf die bereits erfolgte Regulierung im Versicherungsvermittlerrecht aufgesetzt werden sollte (Paragrafen 61 und 62 Versicherungsvertragsgesetz VVG). Was natürlich nicht geht, ist ein Wortprotokoll des Vermittlungsgespräches. Das wäre absurd. Insofern würde ich im Rahmen der Dokumentationspflicht auch nicht von einer dann bestehenden Beweislastumkehr sprechen. Es kann doch nicht jeder einzelne Grund, welcher zu einer letztlich erfolgten Empfehlung führte, schriftlich dokumentiert werden. DAS INVESTMENT.com: Warum nicht? Wirth: Wir reden über eine kaum überschaubare Anzahl von Gründen, die zu der Empfehlung führen und die häufig aus der langjährigen Kenntnis des Kunden, der Berufserfahrung und der Qualifizierung der Vermittler fast automatisch in die Empfehlung einfließen. Das betrifft eben nicht nur solche klaren Eckdaten wie das konkrete Anlegerprofil und die Anlageobjektdaten sondern auch Dinge wie eine reibungslose Abwicklung von Projekten des Emittenten in der Vergangenheit, Erfahrung des IDWS4-Gutachters, Ratings (bei aller gebührenden Vorsicht), Art und Weise der Veröffentlichung des Anlageangebotes und vieles mehr. DAS INVESTMENT.com: Wie einig sind sich die Verbände der Finanzdienstleister untereinander? Wirth: VGF, Votum und AfW haben jeweils eine völlig andere Mitgliederstruktur und damit auch Interessen. Die drei Verbände agieren eigenständig. Kooperationen erfolgen bei den tatsächlich vielfach vorhandenen Schnittpunkten auf sehr kollegialer Basis. Der AfW würde sich jedoch nicht scheuen, wenn erforderlich, auch gegenüber anderen Verbänden klar für seine Mitgliederinteressen Flagge zu zeigen. Wir ziehen jedoch vor, dies – wie bisher – gegenüber der Politik und einzelnen Produktgebern zu tun.

Link zu AfW

Link zur Website der Europäischen Kommission
, die sich mit Beweisaufnahme und Beweismittel der Mitgliedsstatten befasst:


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