Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding
Wo Anlegern aktuell Chancen winken und wo Risiken lauern
Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Foto: Berenberg Bank
Holger Schmieding, Chefökonom der Hamburger Privatbank Berenberg, unternimmt hier einen Rundumblick und filtert die wichtigsten Themen heraus: Diese Entwicklungen sollten Anleger im angelaufenen Jahr im Blick behalten.
Eine lange Liste von Risiken
Risiko 1: Was macht Trump?
Seit mehr als zwei Jahren hält Donald Trump die Welt in Atem. Nachdem er im November 2016 die Wahl zum US-Präsidenten mit oftmals bedenklichen Sprüchen gewonnen hatte, ließ er in seinem ersten Amtsjahr 2017 den Worten zumindest in der Außenwirtschaft nur wenige Taten folgen. Die Erleichterung darüber hat 2017 zur unerwartet guten Konjunktur in Europa beigetragen. Den USA haben der Abbau von Regulierungen und die Steuerreform von Ende 2017 im Jahr 2018 sogar eine Sonder-konjunktur beschert.
Dagegen hat Trump 2018 begonnen, viele seiner gegen das Ausland gerichteten Wahlkampfdrohungen...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Eine lange Liste von Risiken
Risiko 1: Was macht Trump?
Seit mehr als zwei Jahren hält Donald Trump die Welt in Atem. Nachdem er im November 2016 die Wahl zum US-Präsidenten mit oftmals bedenklichen Sprüchen gewonnen hatte, ließ er in seinem ersten Amtsjahr 2017 den Worten zumindest in der Außenwirtschaft nur wenige Taten folgen. Die Erleichterung darüber hat 2017 zur unerwartet guten Konjunktur in Europa beigetragen. Den USA haben der Abbau von Regulierungen und die Steuerreform von Ende 2017 im Jahr 2018 sogar eine Sonder-konjunktur beschert.
Dagegen hat Trump 2018 begonnen, viele seiner gegen das Ausland gerichteten Wahlkampfdrohungen in die Tat umzusetzen. Wie bereits oben diskutiert hat dies der Konjunktur in Europa und Asien einen schweren Schlag versetzt. Somit hängt der Ausblick für 2019 entscheidend davon ab, ob Trump im Vorfeld des Wahljahres 2020 lieber Abkommen schließen als die Spannungen immer weiter anheizen möchte. Neben der Außenhandelspolitik kann auch die klassische US-Außenpolitik einige unangenehme Überraschungen bereithalten. Aber da dies letztlich auch der US-Wirtschaft schaden würde, erwarten wir, dass Trump nach dem Auslaufen der kreditfinanzierten US-Sonderkonjunktur letztlich einen weniger konfrontativen und damit auch für die USA weniger kostspieligen Kurs einschlagen wird.
Risiko 2: Endet der Brexit im Chaos?
Inmitten erheblicher politischer Turbulenzen in London bleibt der Ausgang des britischen Scheidungsbegehrens ungewiss. Allerdings gibt es Hinweise, dass eine überparteiliche Mehrheit im britischen Parlament einen harten Brexit verhindern will. Ein Brexit ohne Anschlussabkommen über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU könnte Großbritannien in eine Rezession und die EU für einige Quartale in eine Stagnation stürzen. Das Risiko eines solchen Unfalls beträgt unseres Erachtens etwa 20 Prozent. Jede andere Lösung würde die Lage entspannen. Die Chance, dass die Briten den Brexit doch noch absagen und nach einem neuen Referendum in der EU bleiben, dürfte dagegen 25 Prozent betragen.
Risiko 3: Mäßigt sich Italiens radikale Regierung?
In Italien hat die radikale Regierung Ende 2018 den Haushaltsstreit mit der Europäischen Union entschärft. Angesichts der Gefahr einer durch höhere Risikoaufschläge ausgelösten Kreditklemme will Italien jetzt das Staatsdefizit 2019 auf 2,04 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzen. Im Gegenzug verzichtet Brüssel vorerst auf ein Strafverfahren gegen Rom. Damit vermindert sich das Risiko, dass Italien bereits 2019 in eine Schuldenkrise abgleiten und die gesamte Eurozone in Mitleidenschaft ziehen könnte.
Aus drei Gründen ist damit das italienische Problem aber längst nicht gelöst. Erstens beruht der Haushaltsentwurf auf viel zu optimistischen Annahmen für die Konjunktur. Statt der von Rom erwarteten 1,0 Prozent für 2019 rechnen wir nur mit einem Magerwachstum von höchstens 0,5 Prozent. Zweitens bleibt völlig unklar, wie Italien in den Jahren danach sein Defizit abbauen will. Drittens hat Rom begonnen, wachstumsfördernde Reformen der Vorgängerregierungen zurückzudrehen und damit das ohnehin mickrige Wachstumspotenzial des Landes weiter zu mindern. In der nächsten echten Rezession könnte Italien dann bei einem größeren Haushaltsloch und grassierender Risikoscheu der Anleger eine echte Schuldenkrise drohen.
Risiko 4: Frankreich – kann Macron Kurs halten?
Ein jugendlicher Reformer macht sich voller Elan daran, sein Land zu reformieren – und scheitert nach wenigen Jahren grandios. Ergeht es Frankreichs Emmanuel Macron nun so wie vor ihm Matteo Renzi in Italien? Ein Scheitern Macrons würde auch die Aussichten für ganz Europa erheblich verdüstern.
Aber noch ist es viel zu früh, über Macrons Reformpolitik den Stab zu brechen. Denn aus zwei Gründen sind Macrons Möglichkeiten, auch Turbulenzen zu überstehen, weit größer, als es die von Renzi waren, der von 2014 bis 2016 die Geschicke Italiens gelenkt hatte: Erstens verfügt Macron über eine solide eigene Mehrheit im Parlament. Zweitens kann er es sich leisten, einige Steuergeschenke zu verteilen, um den verbreiteten Unmut einzugrenzen. Gemessen am Schuldenstand (99 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung) sind Frankreichs Staatsfinanzen in einem weit weniger schlechten Zustand als die Italiens (132 Prozent). Der geringe Risikoaufschlag für französische Anleihen gegenüber Bundesanleihen zeigt, dass die Märkte Frankreich problemlos zu finanzieren bereit sind.
Unter dem Druck der Gelbwesten hat Macron zugestanden, auf Staatskosten den Mindestlohn zu erhöhen, die Sozialabgaben für ärmere Rentner zu vermindern und Überstundenzuschläge von Steuern zu befreien. Da er zudem auf eine höhere Ökosteuer verzichtet, dürfte Frankreichs Haushaltsdefizit 2019 auf 3,2 Prozent klettern. Aber Macron setzt weiter auf echte Strukturreformen. Das macht Sinn. Denn die Ursache für Frankreichs Misere liegt nicht im Staatshaushalt. Ähnlich wie in Deutschland in den Jahren 2002–2005 ist der Fehlbetrag dort vor allem Ausdruck einer anhaltenden Wachstumsschwäche. Die lässt sich nur mit wachstumsfreundlichen Reformen beheben. Mit seiner Arbeitsmarkt- und Bildungsreform sowie anderen Schritten hat Macron die Weichen richtig gestellt. Diese Reformen, auf die es ankommt, nimmt er bisher nicht zurück.
Die deutsche Erfahrung ist eindeutig. Es dauert einige Jahre, bis Reformen greifen. Aber wenn dann etwas verzögert die Beschäftigung steigt, bringen die zusätzlichen Steuer- und Sozialeinnahmen den Staatshaushalt wieder ins Lot. Deutschland verdankt seine heutigen Überschüsse ja nicht einer rabiaten Sparpolitik, sondern dem kraftvollen Beschäftigungszuwachs, den uns die Agenda 2010 ab 2006 beschert hat. Ähnlich kann es Frankreich ergehen, wenn Macron bei den Strukturreformen Kurs hält.
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