Modern Monetary Theory
Mehr Schaden als Nutzen
Aktualisiert am 29.09.2020 - 11:40 Uhr
Jörn Quitzau ist Volkswirt und Leiter des Bereichs Wirtschaftstrends bei der Berenberg Bank. Foto: Berenberg
In den USA erregt die Modern Monetary Theory gerade viel Aufmerksamkeit, denn sie stellt bewährte ökonomische Grundsätze infrage. Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau sieht darin keinen Nutzen für die Praxis.
Die sogenannte Modern Monetary Theory (MMT) erfreut sich seit einiger Zeit medialer und politischer Aufmerksamkeit. Insbesondere im linken politischen Lager der USA finden sich prominente Unterstützer der Theorie. Einige von ihnen sehen darin die Antwort auf Wachstumshemmnisse und die immensen Staatsschulden, insbesondere in den Industrienationen. Die Debatte ist dabei längst nicht mehr auf die USA beschränkt. Auch in Deutschland und Europa oder in Australien wurde sie in Fachkreisen bereits aufgegriffen. Was also verbirgt sich hinter der Modern Monetary Theory?
Das Grundgerüst der Theorie
Eine Kernaussage der Modern Monetary Theory ist, dass sich Länder mit eigener Währung keine...
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Die sogenannte Modern Monetary Theory (MMT) erfreut sich seit einiger Zeit medialer und politischer Aufmerksamkeit. Insbesondere im linken politischen Lager der USA finden sich prominente Unterstützer der Theorie. Einige von ihnen sehen darin die Antwort auf Wachstumshemmnisse und die immensen Staatsschulden, insbesondere in den Industrienationen. Die Debatte ist dabei längst nicht mehr auf die USA beschränkt. Auch in Deutschland und Europa oder in Australien wurde sie in Fachkreisen bereits aufgegriffen. Was also verbirgt sich hinter der Modern Monetary Theory?
Das Grundgerüst der Theorie
Eine Kernaussage der Modern Monetary Theory ist, dass sich Länder mit eigener Währung keine Gedanken um ihre Verschuldung machen müssen.[1] Sie werden immer in der Lage sein, ihren in eigener Währung denominierten finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, da das benötigte Geld von ihrer Notenbank zur Verfügung gestellt werden kann.[2] Die steigende Geldmenge könnte allenfalls zu Inflation und einen schwachen Außenwert der eigenen Währung führen.
Die Notenbank verliert im Rahmen des Modells ihre Unabhängigkeit und fungiert als verlängerter Arm der Finanzpolitik, indem sie ihr Geldschöpfungsmonopol praktisch dem Staat überlässt. Die Geldmenge wird dann nicht mehr über den Leitzins und Notenbankoperationen, sondern auch über die Ausgaben und Einnahmen des Staates gesteuert. Übersteigen die Ausgaben des Staates seine Einnahmen (Staatsdefizit) wird die Geldmenge erhöht (expansive Fiskalpolitik). Übersteigen die Einnahmen hingegen die Ausgaben, wird die Geldmenge reduziert (restriktive Fiskalpolitik).
Steuern dienen in einem solchen System nur noch als Instrument zur Steuerung der Geldmenge und als Maßnahme der Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Ihre Funktion zur Finanzierung des Staatshaushaltes hingegen erübrigt sich, da sich der Staat über seine eigene Notenbank finanziert und dabei neues Geld schöpft – also immer dann, wenn er zusätzliche Ausgaben tätigen möchte.
Auch die Ausgabe von Staatsanleihen dient nur noch der Justierung des Zinssatzes, der laut MMT in einem Fiatgeldsystem (=Geldsystem ohne Deckung durch reale Werte wie Gold) ansonsten null betragen würde. Die Finanzierungsfunktion einerseits und die disziplinierende Wirkung der Kapitalmarktabhängigkeit des Staates andererseits werden damit aus der Gleichung entfernt.
Die Modern Monetary Theory als Erbe Keynes?
Die Theorie versteht sich grundsätzlich als Fortführung keynesianischer Ansichten.[3] Eine zentrale Aussage der keynesianischen Theorie ist, dass einzelne Wirtschaftssubjekte zwar in der Lage sind, sich aus einer Krisensituation heraus zu sparen, dass dies aber nicht allen Wirtschafstakteuren gleichzeitig gelingen kann. Was einzelwirtschaftlich sinnvoll ist, kann gesamtwirtschaftlich ins Verderben führen. Wegen der rückläufigen Nachfrage kann die Wirtschaft in eine Rezession oder schlimmstenfalls sogar in eine Depression abgleiten.
Die keynesianische Lösung: Der Staat muss in solchen Zeiten gegensteuern und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage stärken, indem er Schulden aufnimmt und damit zum Beispiel die Investitionen erhöht („deficite spending“). In guten Zeiten solle der Staat dann über höhere Steuersätze das entstandene Defizit abbauen. Die keynesianische Handschrift der Modern Monetary Theory ist also erkennbar, wenngleich die MMT den Staat mit wesentlich weitreichenderen Kompetenzen bedacht hat, als ihm nur eine kräftige Schuldenaufnahme in Zeiten des Abschwungs zu empfehlen. Nicht nur die umfassende Aufnahme von Schulden, sondern gar die selbständige Bereitstellung von Finanzmitteln über die eigene Notenbank soll im Rahmen einer direkten Staatsfinanzierung umgesetzt werden. Das zusätzlich geschaffene Geld soll im Falle einer Überhitzung durch Steuern oder die Ausgabe von Anleihen wieder aus dem Kreislauf entzogen und damit vernichtet werden – so die Theorie.
- [1] Bloomberg, A Beginner’s Guide to Modern Monetary Theory, URL (abgerufen am 28.06.2019): https://www.bloomberg.com/news/features/2019-03-21/modern-monetary-theory-beginner-s-guide.
- [2] Dieser Gedanke ist allerdings kein neues Postulat der Modern Monetary Theory. Der ehemalige Vorsitzende der Federal Reserve, Alan Greenspan, hatte diese Feststellung unabhängig von der MMT 2011 im Rahmen des wöchentlichen TV-Programms „Meet the Press“ der National Broadcasting Company (NBC) geäußert. Er hatte die Aussage damals im Zusammenhang mit der Abstufung des Kreditratings der USA durch die Rating-Agentur Standard & Poor‘s getroffen.
- [3] Sofern man der Ansicht des 2019 neu erschienenen Lehrbuchs „Macroeconomics“ von führenden MMT-Vertretern wie William Mitchell, L. Randall Wray und Martin Watts folgt. Der Bloomberg-Guide zur Theorie enthält ein adaptiertes Schaubild zur Einordnung des Konzepts in den Gesamtzusammenhang der volkswirtschaftlichen Theoriegeschichte. Bloomberg, A Beginner’s Guide to Modern Monetary Theory, URL (abgerufen am 28.06.2019): https://www.bloomberg.com/news/features/2019-03-21/modern-monetary-theory-beginner-s-guide
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