Modern Monetary Theory
Mehr Schaden als Nutzen
Aktualisiert am 29.09.2020 - 11:40 Uhr
Jörn Quitzau ist Volkswirt und Leiter des Bereichs Wirtschaftstrends bei der Berenberg Bank. Foto: Berenberg
In den USA erregt die Modern Monetary Theory gerade viel Aufmerksamkeit, denn sie stellt bewährte ökonomische Grundsätze infrage. Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau sieht darin keinen Nutzen für die Praxis.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Politiker oft aus Eigeninteresse – zum Beispiel: Wunsch nach Wiederwahl – selbst in Zeiten eines wirtschaftlichen Aufschwungs nur zögerlich an der Steuerschraube drehen, um Staatsdefizite und -schulden abzubauen. Denn die Erhöhung von Steuern geht meist mit einem Rückgang der Popularität einher und gefährdet daher die Karriere- und Machtperspektiven der Berufspolitiker. In diesem Fall würden nicht die Staatsschulden ausufern, sondern die steigende Geldmenge würde die Inflationsraten nach oben treiben und den Wechselkurs der eigenen Währung schwächen.
Politische und ökonomische Rezeption der Modern Monetary Theory
Die Theorie...
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Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Politiker oft aus Eigeninteresse – zum Beispiel: Wunsch nach Wiederwahl – selbst in Zeiten eines wirtschaftlichen Aufschwungs nur zögerlich an der Steuerschraube drehen, um Staatsdefizite und -schulden abzubauen. Denn die Erhöhung von Steuern geht meist mit einem Rückgang der Popularität einher und gefährdet daher die Karriere- und Machtperspektiven der Berufspolitiker. In diesem Fall würden nicht die Staatsschulden ausufern, sondern die steigende Geldmenge würde die Inflationsraten nach oben treiben und den Wechselkurs der eigenen Währung schwächen.
Politische und ökonomische Rezeption der Modern Monetary Theory
Die Theorie findet bisher insbesondere im linken Flügel der US-amerikanischen Demokraten Befürworter. Zu den prominentesten Vertretern innerhalb dieses Lagers gehört die am Anfang ihrer politischen Karriere stehende Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und Stephanie Kelton, Ökonomie-Professorin und ehemalige Wahlkampfberaterin von Bernie Sanders.
Ocasio-Cortez erhofft sich von der Umsetzung des geldpolitischen Konzepts die Verwirklichung des „Green New Deals“ sowie die Krankenversicherung für Jedermann. Die Finanzierung sei bei diesen Projekten das vorrangige Problem, welches durch die Ideen der MMT aus der Welt geschafft werden könnte. Wie führende Anhänger der MMT fordert auch Ocasio-Cortez eine staatliche Job-Garantie. Bernie Sanders, der ebenfalls für die Arbeitsplatzgarantie eintritt, könnte die Theorie aufgrund seiner Nähe zu deren Befürwortern gar zum Wahlkampfthema avancieren lassen und damit eine breite gesellschaftliche Debatte um die geldpolitische Neuausrichtung der Federal Reserve auslösen. Sollte die Geldpolitik der amerikanischen Notenbank auf den Prüfstand kommen, könnten sich andere Zentralbanken derartigen Diskussionen kaum entziehen.
Aus dem Lager der Demokraten kommen allerdings auch gegenteilige Stimmen, die das Konzept ablehnen oder zumindest in Teilen kritisieren. Der frühere demokratische Finanzminister Larry Summers beispielsweise bezeichnete die MMT jüngst gar als „Voodoo Ökonomie“. Darüber hinaus lassen auch Fed-Chef Jerome Powell, Nobelpreisträger Paul Krugman und der ehemalige Chefvolkswirt des internationalen Währungsfonds, Ken Rogoff, kritische Töne anklingen.
Wie weit sind wir von der „MMT-Welt“ entfernt?
Scheinbar gibt es in einigen Ländern schon jetzt MMT-Experimente, ohne dass es bisher zu den befürchteten Folgen, vor denen die Kritiker warnen, gekommen wäre. Japan versucht seit den 1990er Jahren deflationäre Tendenzen zu bekämpfen. Dennoch dominieren moderates Wachstum und niedrige Inflationserwartungen die japanische Wirtschaft. Europa findet sich seit einigen Jahren in einer ähnlichen Situation wieder.
Die Bank of Japan ist mittlerweile zum wichtigsten Anleihegläubiger Japans geworden und hält rund 40 Prozent des gesamten Anleihevolumens in den eigenen Büchern. Und mit der Ankündigung unlimitierter Anleihekäufe ist das Ende offenbar noch nicht erreicht – der de facto unbegrenzten direkten Staatsfinanzierung stünde damit in Japan nichts im Weg. Trotz der sehr expansiven Geldpolitik ist von einer ausufernden Verbraucherpreisinflation nichts zu sehen.
Über Umwege landen auch deutsche Bundesanleihen bereits in erheblichen Umfang in den Büchern des europäischen Notenbanksystems. Derzeit beträgt das Volumen etwa 500 Milliarden Euro. Gemessen an Deutschlands Gesamtverschuldung von etwa 2 Billionen Euro sind das immerhin schon rund 25 Prozent. Die EZB signalisierte jüngst ihre Bereitschaft, die Geldpolitik wieder expansiver auszurichten, ein neues Anleiheankaufprogramm ist wahrscheinlich. Der Bestand an Staatsanleihen in der Hand des Eurosystems würde dann noch weiter ansteigen.
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