Modern Monetary Theory
Mehr Schaden als Nutzen
Aktualisiert am 29.09.2020 - 11:40 Uhr
Jörn Quitzau ist Volkswirt und Leiter des Bereichs Wirtschaftstrends bei der Berenberg Bank. Foto: Berenberg
In den USA erregt die Modern Monetary Theory gerade viel Aufmerksamkeit, denn sie stellt bewährte ökonomische Grundsätze infrage. Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau sieht darin keinen Nutzen für die Praxis.
Unternehmungen des privaten Sektors müssten in einer solchen Situation umgehend rekapitalisiert werden oder Konkurs anmelden. Nicht so eine Notenbank, denn sie kann durch ihr Geldschöpfungsmonopol tatsächlich nicht bankrott gehen. Ähnliche Szenarien sind in der Geschichte schon mehreren Zentralbanken widerfahren. So auch der deutschen Bundesbank, die 1973 aufgrund einer massiven Neubewertung ihrer Währungsreserven ein negatives Eigenkapital auswies.[7]
Die Konsequenz einer derartigen Situation ist, dass der Staat während dieser Zeit auf die sonst jährlich zu erwartenden Gewinne seiner Zentralbank verzichten muss, die ihr im Rahmen der Geldschöpfung entstehen („Seignorage“). Diese müssen...
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Unternehmungen des privaten Sektors müssten in einer solchen Situation umgehend rekapitalisiert werden oder Konkurs anmelden. Nicht so eine Notenbank, denn sie kann durch ihr Geldschöpfungsmonopol tatsächlich nicht bankrott gehen. Ähnliche Szenarien sind in der Geschichte schon mehreren Zentralbanken widerfahren. So auch der deutschen Bundesbank, die 1973 aufgrund einer massiven Neubewertung ihrer Währungsreserven ein negatives Eigenkapital auswies.[7]
Die Konsequenz einer derartigen Situation ist, dass der Staat während dieser Zeit auf die sonst jährlich zu erwartenden Gewinne seiner Zentralbank verzichten muss, die ihr im Rahmen der Geldschöpfung entstehen („Seignorage“). Diese müssen dann stattdessen dazu verwendet werden, um den Ausgleichsposten sukzessive abzubauen und die Notenbank allmählich wieder zu einem positiven Eigenkapital zu verhelfen.
Zusätzlich würde die Glaubwürdigkeit einer Notenbank beschädigt, da es dem Bürger kaum erklärt werden könnte, warum die privaten Wirtschaftsakteure ordentlich haushalten müssen, während sich die Notenbank – vereinfacht gesagt – gesunddrucken kann. Daraus kann die politische Forderung entstehen, dass jemand für die Misswirtschaft gerade stehen soll[8], auch wenn es aufgrund der Natur einer Notenbank so nicht nötig wäre. Am Ende könnte dann wieder der Eigentümer der Zentralbank zur Kasse gebeten werden: Der Staat, dessen Schulden man ja eigentlich streichen wollte.
Modern Monetary Theory liefert gefährliche Implikationen für die Praxis
Die Modern Monetary Theory versucht, der ökonomischen Debatte einen anderen Blickwinkel zu geben. Sie kann als Analysemethode durchaus geeignet sein, um bestimmte Modelle (wie zum Beispiel den Geldschöpfungsmultiplikator) in Frage zu stellen und neu zu interpretieren. Ihre Implikationen für die politische Praxis sind jedoch gefährlich.
Das Vertrauen in die geldpolitische Kompetenz von Staaten, die wiederum (häufig) von gewählten Regierungen und damit von der Wählergunst abhängigen Politikern geführt werden, ist kritisch zu betrachten. Denn durch die normativen Handlungsvorgaben sieht sich die MMT eben nicht nur als Analysewerkzeug, sondern auch als Ratgeber für wirtschaftspolitische Grundsatzentscheidungen.
Politiker könnten zu ineffizienten Investitionen, zur Unvorsichtigkeit und zur Verschwendung verleitet werden. Auch das Eigeninteresse – der Wunsch nach Popularität und Wiederwahl – lassen an der strikten geldpolitischen Konsequenz von Politikern, die zur Geldmengensteuerung im Rahmen der MMT unabdingbar wäre, zweifeln. Darüber hinaus würde die neue Machtfülle von Regierungen erhebliche Ausmaße annehmen, sofern man die Notenbanken mit der Eingliederung in das Staatsgebilde ihrer Unabhängigkeit beraubt.
Angesichts der wenig erfolgreichen Geldpolitik zahlreicher Zentralbanken sowie weltweit ausufernder Staatsverschuldung versteht sich die MMT als möglicher Lösungsvorschlag. Befürworter sehen in dem Konzept das politische Allheilmittel zur finanziellen Lösung der drängenden Probleme unserer Zeit. Wer den führenden Volkswirtschaften dieser Welt allerdings die MMT als Medizin zur Genesung ihrer Leiden verschreiben möchte, sollte die angesprochenen Probleme nicht außer Acht lassen. Das Konzept dürfte langfristig mehr Schaden verursachen als es Nutzen stiftet.
- [7] dazu auch S. 81 des Geschäftsberichts der deutschen Bundesbank von 1973.
- [8] Der ehemalige Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger entgegnete in einer Ausgabe des Mitarbeitermagazins der deutschen Bundesbank im Bezug auf die Situation 1973, dass man im Zentralbankrat ebenfalls eine mögliche Intervention des Staates in Betracht gezogen hatte. Letztendlich habe man sich dagegen entschieden und davon abgesehen. Vgl. Fazit (2017), Als die Bundesbank pleite war, URL (abgerufen am 28.06.2019): https://blogs.faz.net/fazit/2017/06/13/als-die-bundesbank-einmal-pleite-war-8833/.
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