Volkswirt Henning Vöpel
Nichts ersetzt gute Wirtschaftspolitik

Volkswirt Henning Vöpel
In Krisen zeigt sich nicht nur der Charakter, wie einst Helmut Schmidt sagte, sondern auch die Bedeutung guter Wirtschaftspolitik. An guter Absicht mangelt es der „Fortschrittskoalition“ in Berlin gewiss nicht. Die steht zur Genüge im Koalitionsvertrag. Die praktische Wirtschaftspolitik allerdings grenzt – von Tankrabatt über Mehrwertsteuersenkung bis Gasumlage – an Murks.
Gewiss, in Krisenzeite...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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In Krisen zeigt sich nicht nur der Charakter, wie einst Helmut Schmidt sagte, sondern auch die Bedeutung guter Wirtschaftspolitik. An guter Absicht mangelt es der „Fortschrittskoalition“ in Berlin gewiss nicht. Die steht zur Genüge im Koalitionsvertrag. Die praktische Wirtschaftspolitik allerdings grenzt – von Tankrabatt über Mehrwertsteuersenkung bis Gasumlage – an Murks.
Gewiss, in Krisenzeiten lässt sich Wirtschaftspolitik nie allein nach reiner Lehre machen. Man kann Instrumente nicht nur danach bemessen, wie effizient sie sind. Ihre Wirkungen müssen sozial ausgewogen sein und gezielt jenen helfen, die von Krisen besonders und unverschuldet betroffen sind. Fast alle Maßnahmen jedoch, die jüngst zur Abfederung der heftigen Energiepreisschocks ergriffen wurden oder noch geplant sind, sind weder kosteneffizient noch sozial ausgewogen. Im Gegenteil: Sie sind teuer, zu breit gestreut und kaum wirksam. Früher – in einer Zeit ohne Inflation – konnte für alles und jeden die Bazooka herausgeholt werden. Diese Zeiten sind vorbei. Da wo Buchwerte und Erwartungen noch mit viel Geld – aus den großzügigen Fiskalpaketen oder den Aufkaufprogrammen der Geldpolitik – gestützt werden konnten, werden heute unabdingbar reale Einschnitte spürbar.
Volkswirtschaftlich betrachtet, muss irgendjemand die höheren importierten Kosten tragen. Die Politik kann wahlweise jeden, aber nicht alle gleichzeitig entlasten. Der feine, aber bedeutende Unterschied in der Logik zwischen „jemand“ und „alle“ wird in der Politik nicht gut verstanden. In der Wirtschaftspolitik ist dieser Fehlschluss als Aggregationsproblem bekannt. Rhetorisch führt das zu der Schizophrenie, dass die Politik die Gesellschaft auf harte Zeiten vorbereitet, und gleichzeitig verspricht, niemand werde es merken.
Auch im Rennen schlechter Wirtschaftspolitik weit vorne: Das fatale Missverständnis über die Funktionsweise wettbewerblicher Märkte. „Pro business“ ist nicht identisch mit „pro market“; gute Wirtschaftspolitik zielt auf funktionierende Märkte, nicht aber auf gute Geschäfte ab. Insoweit ist eine Übergewinnsteuer als Alternative zur Gasumlage trotz aller Schwierigkeiten diskussionswürdig, dann nämlich, wenn die Energieversorger eben jene ökonomischen Renten abkassieren, die durch die Angebotsverknappung entstehen und durch staatliche Preissubventionen sogar noch künstlich erhöht werden. Weitaus besser aber wäre es gewesen, die Politik hätte den Energiemarkt schon vorher deutlich wettbewerblicher gestaltet. In Krisen fallen der Politik die Versäumnisse der Vergangenheit dann doppelt auf die Füße. Und es gab in den letzten Jahren viele solcher wirtschaftspolitischen Versäumnisse.
Wenn Robert Habeck, dem man unterstellen darf, sehr wohl an Ordnungsfragen interessiert zu sein, an die Vernunft und die Einsicht von Unternehmen und Haushalten appelliert, dann hat er zunächst einen guten Punkt: Gute Wirtschaftspolitik funktioniert kaum ohne Anstand und Moral in der Wirtschaft. Aber Appelle können niemals gute Regeln ersetzen, denn – und dafür gibt es reichlich Evidenz – Unternehmen und Menschen reagieren rational auf Anreize. Und das ist nicht etwa schlimm oder verwerflich, sondern ganz im Gegenteil natürlich und sogar hilfreich, weil Anpassungsreaktionen den Schock über die Zeit abmildern.
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