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Warum der BU-Versicherer am Ende doch noch zahlte

Nach dem Abschluss seiner Schullaufbahn mit einem Hauptschulabschluss absolvierte der Versicherungsnehmer eine dreijährige Ausbildung zum Straßenwärter. Anschließend leistete er seinen Wehrdienst ab und war zunächst weiterhin in seinem Ausbildungsbetrieb in der gleichen Funktion tätig. In zuletzt gesunden Tagen arbeitete er dann bei einem Unternehmen für Abfallwirtschaft.
Der Straßenwärter führte ein breites Spektrum an Tätigkeiten aus, die sowohl körperliche als auch organisatorische Anforderungen stellten. Zu seinen Hauptaufgaben gehörten die Überwachung und Betreuung von Umladestationen, einschließlich Kassiertätigkeiten sowie der Kontrolle von Eingangs- und Wegemessungen. Darüber hinaus bediente er Maschinen und Fahrzeuge wie Motorsägen, Kräne und Gabelstapler. Der Transport von Gütern mit PKWs, LKWs, Traktoren und Baumaschinen gehörte ebenfalls zu seinem Arbeitsalltag, wobei er regelmäßig längere Strecken von über 100 Kilometern zurücklegte.
Während seiner Tätigkeit war er häufig körperlichen Belastungen ausgesetzt, hob und trug schwere Lasten oder arbeitete unter schwierigen Wetterbedingungen wie Nässe, Kälte oder Hitze.
Seine vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit von 39 Stunden leistete er stets an fünf Werktagen ab, wobei regelmäßig Schichtarbeit im Zwei- oder Dreischichtsystem sowie Überstunden anfielen. Die Tätigkeit erforderte ein hohes Maß an Flexibilität, Sozialkompetenz, Konzentration und Verantwortungsbewusstsein.
Berufsunfähigkeit wegen Borderline-Störung
Der Straßenwärter litt seit mehreren Jahren unter schweren psychischen Erkrankungen, darunter Depressionen und einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Bereits 2016 suchte er wegen Suizidgedanken medizinische Hilfe und nahm anschließend an ambulanten Therapien teil, die ihm vorübergehend Linderung brachten.
Im Jahr 2018 verschlechterte sich der Zustand des Straßenwärters so sehr, dass eine stationäre psychiatrische Behandlung notwendig wurde. Die Diagnose „Borderline“ wurde dabei bestätigt. Er berichtete über Schwierigkeiten, seine Emotionen zu kontrollieren, sowie über Probleme im Umgang mit Aggressionen.
Im Folgejahr durchlief er mehrere Behandlungsmaßnahmen, darunter eine Tagesklinik und eine spezialisierte Verhaltenstherapie. Diese wurden jedoch durch hohe Belastungen und soziale Konflikte erheblich erschwert. Zudem hatte er wiederholt Mühe, sich an die Regeln der Therapie zu halten, und fühlte sich oft überfordert.
Kurz darauf nahm der Versicherungsnehmer an einer psychosomatischen Reha teil. Auch diese verbesserte jedoch seine Arbeitsfähigkeit nicht nachhaltig. Während dieser Zeit berichtete er weiterhin von anhaltender psychischer Anspannung, die sich auch körperlich in Symptomen wie Kopfschmerzen und Erbrechen zeigte. Er mied soziale Kontakte, hatte Schwierigkeiten mit alltäglichen Aufgaben und litt unter massiven Schlafstörungen.
Langjährige Belastungen behinderten den Genesungsprozess des Versicherungsnehmers zusätzlich erheblich, auch trotz regelmäßiger therapeutischer Unterstützung. Daher entschloss sich der Straßenwärter, bei seinem Berufsunfähigkeitsversicherer, der Generali Deutschland Lebensversicherung, die Feststellung seiner Berufsunfähigkeit wegen Borderline zu beantragen.
So entschied der BU-Versicherer
Die Generali Deutschland Lebensversicherung AG lehnte den Leistungsantrag des Straßenwärters jedoch ab. Das begründete sie damit, dass der Straßenwärter seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit nach wie vor zu mehr als 50 Prozent verrichten könnte und somit keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit wegen Borderline vorliege. Ferner habe ein vorgerichtlich vom BU-Versicherer in Auftrag gegebenes Gutachten ergeben, dass der Versicherungsnehmer seine Beschwerden bewusst übertreibe. Der Straßenwärter wandte sich in daraufhin an unsere Kanzlei.
Verfahren gegen die Generali Deutschland Lebensversicherung AG
Jöhnke & Reichow forderte die Generali Deutschland Lebensversicherung abermals auf, die Berufsunfähigkeit wegen Borderline anzuerkennen. Als der Versicherer die Anerkennung der Berufsunfähigkeit als Straßenwärter erneut verweigerte, kam es zur Klage.
Das zuständige Landgericht Kassel bot den Parteien, nachdem es die Klage erhalten hatte, die Gelegenheit, die Sach- und Rechtslage im Rahmen eines schriftlichen Vorverfahrens zu erörtern. Im Anschluss an das schriftliche Vorverfahren ergingen die Ladungen für den ersten Gerichtstermin.
Im Rahmen der Güteverhandlung und der daran unmittelbar anknüpfenden mündlichen Verhandlung konnten die Parteien zunächst keine Einigung erzielen. Es folgte eine Beweisaufnahme, in der weitere fachärztliche Gutachten gefordert wurden – bis man schließlich doch einen Kompromiss fand. Demnach verpflichtete sich die Generali Deutschland Lebensversicherung, einen sechsstelligen Betrag an den Straßenwärter zu zahlen.
Der Fall vor dem Landgericht Kassel macht deutlich, dass es stets sinnvoll ist, bei Widrigkeiten mit dem eigenen BU-Versicherer sich fachkundige Rechtshilfe zu holen.
Über den Autor:
Bernhard Gramlich ist seit 2019 angestellter Anwalt der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte und seit 2020 Fachanwalt für Versicherungsrecht. Als Rechtsanwalt hat er bereits in vielen Fällen Versicherungsnehmern geholfen, ihre Rechte gegenüber Versicherern durchzusetzen.