Die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) gilt als das leistungsstärkste Produkt, um den möglichen Verlust der eigenen Arbeitskraft finanziell abzusichern. Neben der für den Fall der Fälle abgeschlossenen Rente ist bei der Tarifwahl für potenzielle Kunden und ihre Vermittler auch die langfristige Stabilität des Anbieters entscheidended, erklärt Michael Franke. Er ist Geschäftsführer des Analysehauses FB Research, das jetzt ein aktualisiertes „Stabilitätsrating der Berufsunfähigkeitsversicherer“ veröffentlicht hat.

Michael Franke
Michael Franke: © Franke und Bornberg

„Das umfangreiche Verfahren analysiert den bisherigen Geschäftsverlauf, berücksichtigt aber auch Parameter, die einen Ausblick auf die zukünftige Stabilität des BU-Geschäfts erlauben. Denn die langfristige Stabilität ist gerade in der Berufsunfähigkeitsversicherung ein entscheidendes Kriterium“, erklärt Franke. Bei der vierten Auflage der 2010 gestarteten Studienreihe konnten an 18 Versicherer  nur Teilbewertungen vergeben werden, weil wesentliche Daten fehlten. 42 erhielten eine Gesamtnote, sieben davon erreichten die Spitzengruppe. 

Das ist neu im Stabilitätsrating

Clusterung-BU-Stabilitätsrating
Clusterung-BU-Stabilitätsrating © Franke und Bornberg GmbH

Im Vergleich zum Vorjahr wurde der Testbereich Prämienkalkulation breiter aufstellt: Er enthält jetzt zehn Berufsbilder, denn die bisherigen drei Profile wurden um die sieben am häufigsten berechneten Berufe in den Tools von FB Research ergänzt. „Mit der neuen, umfangreicheren Prämienbewertung wird verhindert, dass bereits Beitragsabweichungen in nur einem Musterfall zu stark auf die Bewertung durchschlagen“, erklärt Analyst Reinhard Klages. „Die zusätzlichen Berufsbilder reflektieren zudem die Realität im Verkauf noch einmal genauer als das bisherige Verfahren.“ 

 

Die Sieger im Stabilitätsrating 2023

Das Rating ermittelt für jedes Teilkriterium eine Kennzahl im Bereich zwischen 0 und maximal 100 als Maßstab für die Fähigkeit eines Unternehmens, sein BU-Geschäft langfristig stabil betreiben zu können. Der Stabilitätsindex zeigt jeweils das Verhältnis von erreichter zu möglicher Punktesumme. Die Ergebnisse der Teilbereiche werden gewichtet und zu einem Gesamtindex zusammengeführt. Dieser sei ein wichtiger Indikator für langfristige Stabilität im Geschäftsfeld Berufsunfähigkeit. Die Bilderstecke oben zeigt die elf Versicherer mit den beiden Höchstnoten mmm+ beziehungsweise FFF+.  

 

Vier weitere Versicherer stellten sich auch dem noch umfangreicheren BU-Unternehmensrating von FB Research, bei dem es um interne Kennzahlen und Prozesse geht. Sie sind mit ihren Ergebnissen des BU-Unternehmensratings im Stabilitätsrating vertreten. Die Gesamtbewertung der Anbieter Ergo Vorsorge, Generali, HDI und Nürnberger sei aufgrund dieser zusätzlichen Informationen zwar nicht vollständig vergleichbar. Das Benchmark-Verfahren sorge aber dafür, dass die Prozent-Ergebnisse dieselbe Aussagekraft haben. 

Harter Konkurrenzkampf per BU-Prämie 

Die Analyse der aktuellen Prämiengestaltung zeigt, dass die Anbieter im deutschen BU-Markt ihre Prämien weiterhin sehr aggressiv kalkulieren. Die jeweilige Durchschnittsprämie der zehn Musterfälle wird durchschnittlich um rund 30 Prozent unterschritten, vereinzelt sogar bis um mehr als 40 Prozent. Bei der Zahl der Berufsgruppen scheine „das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht“ zu sein, berichten die Studienautoren aus Hannover. Doch: „Das gegenseitige Unterbieten bei den Beiträgen hat sich dennoch entschleunigt.“ 

 

Im BU-Stabilitätsrating im Jahr 2015 lag die durchschnittliche Bruttoprämie für die Beispielrechnung des Bankkaufmanns bei 107,99 Euro, für den Maschinenbauingenieur bei 103,34 Euro und für den Tischler bei 228,94 Euro. Für die gleichen Musterkunden betragen die Monatsbeiträge heute 122,70 Euro (Bankkaufmann), 95,80 Euro (Ingenieur) und 235,10 Euro (Tischler). Die Nettoprämie für den Bänker stieg von 75,19 auf 83,70 Euro. Beim Ingenieur hingegen fiel sie von 69,97 auf 64,85 Euro, der Beitrag des Tischlers von 162,86 auf 161,30 Euro. 

Spread zischen Brutto und Netto

Franke hält diese Entwicklung dennoch für problematisch: „Gerade bei den günstigen Berufsgruppen wird verstärkt selektiert. Fraglich ist, ob diese Rechnung langfristig aufgehen kann. Denn diese Berufe sind von dem Anstieg psychischer Gesundheitsprobleme besonders betroffen.“ Eine große Differenz zwischen Netto- und Bruttoprämie in der BU könne für Kunden unter Umständen stark steigende Beiträge zur Folge haben. Gemeinhin gilt: Je größer der Abstand zwischen Netto- und Bruttoprämie, umso größer ist das Risiko, dass die Prämien steigen. 

Brutto-Netto-Spread laut BU-Stabilitätsrating
Brutto-Netto-Spread laut BU-Stabilitätsrating © Franke und Bornberg GmbH

Weil Beitragsanpassungen der Gesellschaften von der Öffentlichkeit sehr sensibel verfolgt werden, dürfte sich der Preiswettbewerb langfristig zwar nicht immer weiter fortsetzen und die Gesellschaften verstärkt auf Nachhaltigkeit setzen. „Davon ist bisher jedoch nichts zu spüren“, schränkt Franke seinen Ausblick ein. Auffällig sei hingegen, dass der Brutto-Netto-Spread im Marktdurchschnitt sinkt: 2016 lag die Differenz im Schnitt bei 36,1 Prozent, 2019 bei 33,9 Prozent und im aktuellen Geschäftsjahr bei 31,8 Prozent. 

Finanzstärke als Stabilitätsfaktor

Um den wirtschaftlichen Erfolgs des BU-Geschäfts zu messen, schaut FB Research unter anderem auf die Schadenquote: Je erfolgreicher ein Versicherer das BU-Geschäft betreibt, desto geringer ist seine Schadenquote. Im Bereich Finanzstärke wurden ein Dutzend Unternehmenskennzahlen bewertet. Fünf Gesellschaften erreichten mindestens 85 Prozent, weitere 13 mindestens 75 Prozent. Die Bilanzwertung konnte die Allianz mit herausragenden 92,0 Prozent für sich entscheiden. Die Silbermedaille geht an die Hannoversche, Bronze an die LV 1871. 

Untersuchungskriterien im BU-Stabilitätsrating
Untersuchungskriterien im BU-Stabilitätsrating © Franke und Bornberg GmbH

Fazit und Ausblick für den BU-Markt 

„Die Berufsunfähigkeit ist ein noch immer vielfach unterschätztes Risiko“, mahnt Franke. „Auch in Zeiten der Digitalisierung und zunehmend automatisierter und KI-gestützter Arbeitsprozesse hält sich das Risiko auf hohem Niveau. Denn mit den sich ändernden Arbeitsbedingungen verschieben sich auch die auslösenden Faktoren für Berufsunfähigkeit immer weiter. Zudem gewinnt die Absicherung der Arbeitskraft angesichts steigender Erwerbstätigkeit – zum Jahresende 2022 gab es rund 45,6 Millionen Erwerbstätige mit Wohnsitz in Deutschland – nochmals an Gewicht.“ 

 

Da inzwischen viele Verbraucher hierzulande unter der Inflation und den hohen Energiepreisen leiden, sinke auch ihr verfügbares Einkommen. „Für die gesamte Branche wäre ein Rückgang der Nachfrage nicht verwunderlich“, erwartet der langjährige Assekuranz-Analyst Franke. „Und somit werden wohl zumindest mittelfristig weiterhin Preisunterschiede von wenigen Euro darüber entscheiden, ob ein Versicherer mit dem entsprechenden Tarif in Vergleichsportalen und -programmen die vorderen Plätze belegt und somit mutmaßlich eher abgeschlossen wird.“