Wenn ein Immobilieneigentümer mit einem potenziellen Käufer über den Verkauf seines Hauses oder seiner Wohnung verhandelt, können diese sich häufig nicht über den Preis einigen – der Verkäufer möchte einen höheren Preis erzielen als der Käufer bereit ist zu bezahlen.
Das passiert selbst dann, wenn es so etwas wie einen fairen Wert gibt, wie etwa bei Standardimmobilien wie Einfamilienhäusern oder Dreizimmerwohnungen in großen Städten. In Märkten also, in denen es genügend Informationen aus anderen Immobilientransaktionen darüber gibt, was in etwa der richtige Marktwert einer Immobilie ist.
Und damit fällt dieses Phänomen in den Bereich der verhaltensbezogenen Verzerrungen.
Entscheidungen unter Einfluss des Besitztumseffekts
Der Grund hierfür liegt im sogenannten, auf Deutsch sehr sperrig klingenden Besitztumseffekt (Englisch: Endowment Effect). Wenn ich etwas besitze, halte ich es für wertvoller als wenn ich es nicht besitze. Dieser Effekt ist breit anwendbar und konnte in zahlreichen verhaltensökonomischen Experimenten nachgewiesen werden. Er gilt neben wichtigen Dingen auch für vergleichsweise banale Gegenstände wie Kugelschreiber, Weinflaschen, Konzerttickets oder Kaffeetassen.
Die gleiche Person verlangt für den Verkauf einer Sache einen höheren Preis, als sie für den Kauf exakt der gleichen Sache bereit wäre zu bezahlen – ein weiterer, klarer Verstoß gegen die in der Ökonomie sonst verbreitete Annahme rationalen Verhaltens. Wenn wir einen bestimmten Preis für den Verkauf einer Sache erwarten, müssten wir auch dazu bereit sein, sie für den gleichen Preis zu kaufen.
Dieser Effekt kann eben auch bei wichtigen Entscheidungen beobachtet werden, zum Beispiel der fehlenden Bereitschaft einen Job zu wechseln, eine Partnerschaft zu beenden, oder zu entscheiden, wie man sich um sein Geld kümmern soll.
Besitztumseffekt als Gefahr für deine Geldanlage
Für uns als Anleger stellt die Irrationalität des Besitztumseffekts ein (potenziell) großes Problem dar. Er hindert uns daran, Portfolioumschichtungen so vorzunehmen, dass wir ein optimales Portfolio erreichen. Wir halten zu lange an unseren alten Positionen fest, weil wir sie für wertvoller halten als sie aktuell von anderen Marktteilnehmern bewertet werden.
Der psychologische Effekt des Besitztumseffekts ist eng verbunden mit der Verlustaversion, also der fehlenden Bereitschaft, Verluste zu akzeptieren beziehungsweise zu realisieren, sondern sie wieder „wettmachen“ zu wollen. Auch dieser Effekt bringt uns dazu, schlecht gelaufene Aktien nicht zu verkaufen, sondern so lange zu halten, bis entstandene Verluste wieder aufgeholt sind.
Die Kurskorrektur bei den „Magnificent 7“ (Nvidia, Microsoft, Apple, Alphabet, Amazon, Meta und Tesla) im Sommer 2024 könnte in einigen Anlegerportfolios einen Besitztumseffekt auslösen, in Form einer fehlenden Bereitschaft diese Positionen anzupassen, auch wenn die Märkte in der Zwischenzeit eine veränderte Einschätzung der finanziellen Zukunft dieser Unternehmen haben.
Auch beim Besitztumseffekt spielt uns unser evolutionär an ein Leben in der Steinzeit angepasstes Gehirn einen Streich. Das Leben in der steinzeitlichen Savanne war geprägt von einer enormen Knappheit an Ressourcen. Nahrung, Kleidung, Werkzeuge, Waffen – alles war knapp und jeder Verlust konnte das Überleben der Horde bedrohen. Insofern war es für das Überleben zwingend notwendig, sorgsam mit dem Besitz umzugehen und ihn zu schützen. Daher kommt auch die emotionale Bindung, die Menschen mit ihren Besitztümern verbindet.
Wie dem Besitztumseffekt entgehen?
In der heutigen Welt des Überflusses und der Verfügbarkeit moderner Technologie ist der Besitztumseffekt eher hinderlich. Wenn wir uns von Altem trennen, können wir Neues leicht über funktionsfähige Märkte erwerben. Insofern bringt es keinen Nutzen mehr, sich an das Bestehende festzuklammern.
Die Grundvoraussetzung um mit dem Besitztumseffekt erfolgreich umgehen zu können, besteht darin, sich dessen Existenz überhaupt bewusst zu sein und sich immer wieder klarzumachen, dass für Anlageentscheidungen ausschließlich zu erwartende künftige Wertentwicklungen relevant sind und nicht unsere persönliche Beziehung zu einem Anlagegegenstand.
Weiterhin kann ein regelbasiertes Anlagesystem helfen, den Besitztumseffekt zu vermeiden. Wenn man selbst erarbeiteten, standardisierten Regeln bei seiner Anlageentscheidung folgt, kann man verhindern zu lange an einer überholten Portfoliozusammensetzung festzuhalten. Mithilfe geeigneter Ausbildungsformate kann man lernen, die eigenen Regeln einzuhalten und Emotionen von Anlageargumenten zu trennen.
Nicht zuletzt hilft der Austausch mit anderen Menschen zu Anlageentscheidungen. Deren Perspektive ist nicht getrübt durch unsere persönliche Beziehung zu bestimmten Anlageobjekten, sondern sie können uns unbelastet ihre Einschätzung zum aktuellen und künftigen Wert von Vermögenswerten geben. Das hilft, einen systematischen Überprüfungsprozess zu implementieren.
Über die Autoren
Christoph D. Wahlen und Gösta Jamin sind Gründer der Finanzakademie – by Pro Coaching. In den vergangenen Jahrzehnten haben die beiden an der Börse selbst schmerzliche Erfahrungen mit Fehlern gemacht, die eigentlich vermeidbar gewesen wären.
In der Serie „Geld-Psychologie" schreiben sie über Fallen, die unser Gehirn uns stellt, um dir dabei zu helfen, sie aufzudecken und zu vermeiden. Mehr Infos und Weiterbildungsangebote findest du auf Finanzakademie – by PRO Coaching.