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Lebensversicherungen: „Wir haben einen Nerv getroffen“
DAS INVESTMENT: Zum Jahresende melden die Lebensversicherer hierzulande wieder ihre Überschussbeteiligungen für die kommenden zwölf Monate. Einige Ihrer Mitbewerber erhöhen ihre Sätze aktuell …
Jürgen Bierbaum: Ja. Ich war verwundert, als ich von den ersten Erhöhungen gelesen habe. Angesichts des Zinsrückgangs am Rentenmarkt verstehe ich die Beweggründe dafür nämlich nicht so ganz. Auch der Einlagenzins der Europäischen Zentralbank ist seit Juni dieses Jahres bekanntlich von 4,5 auf 3,0 Prozent gesunken und dürfte noch weiter sinken. Das spricht eigentlich nicht für wachsende Zinserträge.
Aber die jährliche Bekanntgabe der Überschussbeteiligung wirkt ja manchmal wie ein Beauty-Contest. Warum also hält die Alte Leipziger ihre Überschussbeteiligung 2025 stabil?
Bierbaum: Wir müssen im Gegensatz zu manchen Mitbewerbern auch unseren vielen Bestandskunden mit klassischen Lebensversicherungen gerecht werden. Weil wir hier eine Politik der Stabilität verfolgen, haben wir unsere Sätze in der Vergangenheit nicht so schnell gesenkt wie manche Mitbewerber. Unsere aktuelle Gesamtverzinsung von 2,6 Prozent für die modernen Rentenversicherungen AL-Rente-Flex und AL-Rente-Klassik-Pur halten wir angesichts einer Rendite von rund 2,2 Prozent für zehnjährige Bundesanleihen zudem für weiterhin attraktiv.
Auch der deutsche Marktführer Allianz Leben lässt seine Sätze im kommenden Jahr unverändert. Euphorischer ist hingegen beispielsweise die Deutsche Vermögensberatung, die ein Comeback der Riester-Rente verkündet – zumindest als fondsgebundene Lebensversicherung im Neugeschäft.
Bierbaum: Ich bin von einem Comeback der Riester-Rente auf Basis der bisherigen Rechtsgrundlage nicht überzeugt. Denn dafür sind die Zinsen am Markt immer noch zu niedrig. Mit ihnen lassen sich die teuren 100-Prozent-Beitragsgarantien für neue Verträge nicht sinnvoll darstellen, die der Gesetzgeber nach wie vor von uns Anbietern verlangt. Wir haben unser Riester-Produkt zwar nicht aus dem Vertrieb verbannt, bieten es aber nur noch als Nettotarif für die Honorarberatung an. Für den klassischen Vertrieb auf Provisionsbasis müsste die Riester-Rente erst einmal nach dem Vorbild der Basisrente reformiert werden. Denn nur bei einem abgesenkten Garantieniveau von beispielsweise 80 Prozent der eingezahlten Beiträge und Zulagen wäre wieder eine höhere Anlage von Kundengeldern in chancenreiche Assets möglich.
Wie stehen aber die Chancen, dass es bald zur Reform bei der privaten Altersvorsorge kommt?
Bierbaum: Nicht so gut, denn es besteht ja weiterhin kein Konsens darüber, wie das sogenannte Langlebigkeitsrisiko abgesichert werden sollte. Die dadurch drohenden finanziellen Sorgen im hohen Alter darf man nicht vergessen. Die Fokusgruppe private Altersvorsorge hatte in ihrem Mitte 2023 vorgelegten Abschlussbericht ja keine Pflicht zur Verrentung vorgesehen. Aber mit einem Auszahlplan bis zum Alter von 85 Jahren könnte das Geld genau dann aufgebraucht sein, wenn man es für die immer weiter steigenden Kosten für Pflegeheime in Deutschland eigentlich benötigt. Dieses biometrische Risiko dürfte sich infolge des demografischen Wandels noch verstärken.
Stichwort Biometrie: Was tut sich bei Ihrem anderen Standbein in der Sparte Lebensversicherung?
Bierbaum: Grundsätzlich gilt bereits seit mehreren Jahren: Eine psychische Krankheit ist mit einem Anteil von knapp 30 Prozent die häufigste Ursache, warum unsere Versicherten eine BU-Rente erhalten. Aktuell steigen die Fallzahlen in der Berufsunfähigkeitsversicherung aber noch einmal enorm weiter an. Ein wichtiger Grund ist wohl steigender Leistungsdruck und Stress, der sowohl im beruflichen als auch privaten Umfeld herrscht.
Hallo, Herr Kaiser!
Wie reagieren Sie darauf als BU-Versicherer?
Bierbaum: Wir unterstützen die mentale Gesundheit unserer Kunden auch schon bevor ein Leistungsfall eintritt: Wir helfen ihnen, Risikofaktoren wie Stress oder Angst frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Denn wir möchten unseren Versicherten nicht erst zur Seite stehen, wenn es zu spät ist und sie nicht mehr dauerhaft in ihren bisherigen Jobs arbeiten können. Damit es gar nicht erst zum Burnout oder anderen Krankheiten kommt, kooperieren wir unter anderem mit unserer Konzernschwester Hallesche. Für unsere BU-Versicherten sind diese zusätzlichen Angebote kostenlos.
Was bieten Sie Ihren Kunden konkret an?
Bierbaum: Die Gesundheitsservices werden sowohl präventiv als auch therapiebegleitend eingesetzt. Beispielsweise können die Teilnehmer ihr persönliches Risiko für psychische Erkrankungen durch Online-Selbsttests von Novego ermitteln lassen. Außerdem gibt es professionelle Unterstützungsprogramme bei Stress, Depressionen oder Burnout. Die oft langwierige und aufwendige Suche nach Psychiatern, Psychotherapeuten oder Psychologen lässt sich zudem mithilfe des Terminvergabe-Services von MD Medicus deutlich verkürzen.
Aber dafür müssen die Betroffenen zuvor eine BU-Police bei Ihnen abgeschlossen haben.
Bierbaum: Stimmt. Deswegen machen wir es jetzt für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen einfacher, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Bislang wurden sie bei uns zeitlich zurückgestellt und wir warteten mit dem Vertragsabschluss. Doch seit Anfang September können sie die Karenzzeit durch eine Ausschlussklausel für psychische Vorerkrankungen umgehen. Dies kann in bestimmten Fällen vereinbart werden: unter anderem bei Arbeitsunfähigkeit nach einem Trauerfall, aufgrund von Prüfungsangst sowie bei Konflikten am Arbeitsplatz oder dann, wenn ein Psychotherapeut eine Therapie nach ersten Sitzungen für nicht notwendig hält. Je nach individuellem Fall kann zwölf bis 36 Monate nach dem Abschluss geprüft werden, ob die Ausschlussklausel wieder entfallen kann.
Welchen Vorteil haben die Versicherten von dieser Klausel, wenn doch psychische Krankheiten bereits seit mehreren Jahren die häufigste Ursache für eine Berufsunfähigkeit sind?
Bierbaum: Der Vorteil ist, dass der BU-Schutz für alle anderen vertraglichen Leistungsauslöser gilt – zum Beispiel die ebenfalls nicht gerade seltenen Krebs- oder Gelenkerkrankungen. Wir haben auch aus unserem Vertrieb das Feedback erhalten, dass wir mit der neuen Sonderregel einen Nerv getroffen haben. Denn Statistiken zeigen: Das Problem wächst vor allem bei Jüngeren. Das hat auch viel mit den Erfahrungen während der Corona-Pandemie zu tun, die vielen schwer aufs Gemüt geschlagen haben. Viele der Betroffenen stehen noch vor oder am Anfang ihrer Karriere und besitzen noch keine Berufsunfähigkeitsversicherung.
Über den Interviewten:
Jürgen Bierbaum ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Lebensversicherers Alte Leipziger. Er kam 2016 zur ALH-Gruppe mit Sitz in Stuttgart und Oberursel. Zuvor war der promovierte Wirtschaftswissenschaftler 13 Jahre lang für die Allianz Leben tätig, zuletzt als Zentralbereichsleiter und Verantwortlicher Aktuar. Daneben ist Bierbaum als Vorstandsmitglied der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) branchenweit zu berufsständischen Fragen der Versicherungsmathematiker engagiert.