

- Startseite
-
Björn Glück: „Ich mache mir Sorgen um Deutschland“ (Interview)

Björn Glück ist einer der profiliertesten Nebenwerte-Manager Deutschlands. Im großen Interview spricht er über den strauchelnden Industriestandort Deutschland und warum Nebenwerte sogar vom ETF-Boom profitieren könnten.
DAS INVESTMENT: Herr Glück, Sie sind als Portfoliomanager spezialisiert auf deutsche Aktien und beschäftigen sich seit 18 Jahren bei Lupus alpha mit Nebenwerten. Wie oft haben Sie in dieser Zeit schon den Abgesang auf Deutschland gehört?
Björn Glück: Einen Abgesang im großen Stil erlebe ich zum zweiten Mal in meiner Karriere. Das erste Mal war während meiner Studienzeit. Schon damals stand die Automobilbranche stark in der Kritik. Alle jammerten, die deutschen Autos seien zu teuer und die Arbeitszeiten zu kurz. Das Land wurde von vielen abgeschrieben. Dann kam die Agenda 2010, die Deutschland souverän durch die Finanzkrise brachte. Natürlich auch angefeuert durch China. Im Anschluss folgte eine goldene Dekade.
Die endete jedoch vor einigen Jahren.
Glück: Nach zehn Jahren, in denen die Auto-Verkaufszahlen nonstop stiegen, erreichte man ein Plateau. China stellte seine Politik um und Deutschland sich nicht entsprechend darauf ein. Aber wir galten noch nicht als der kranke Mann Europas, so wie heute.
Und, ist da aus Ihrer Sicht etwas dran?
Glück: Meiner Meinung nach wird das jetzt ein bisschen verkürzt dargestellt. Im Zentrum der Deutschland-Bären steht das Argument, dass Deutschlands Erfolg in der letzten Dekade auf „Cars, Chemicals, China“ und auf billigem Gas aus Russland bestand. Das waren zwar auch Bausteine, die uns durch die letzte Krise gebracht haben. Heute stehen alle drei Bereiche unter Druck, das kann man nicht leugnen. Man kann Deutschland aber nicht nur auf diese drei Sektoren reduzieren.
Sie teilen die These also nicht, dass Deutschland erneut der kranke Mann Europas ist.
Glück: Teils, teils. Ich mache mir Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland, das muss ich schon zugeben. Deutschland ist nach wie vor ein Industriestandort, über 20 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes stammen aus dem Industriesektor. Deswegen leiden wir natürlich besonders, wenn die Weltkonjunktur schwach ist. Ein klassischer Zyklus, der irgendwann auch wieder vorbei ist.
Also müssen wir die Krise nur aussitzen?
Glück: Das habe ich nicht gesagt. Nach der goldenen Dekade haben wir in vielen Bereichen nichts angefasst und sind strukturell schlechter geworden. Wir konnten uns diese Trägheit zunächst leisten, haben dennoch gut gelebt. Nun müssen wir einige Dinge dringend anpacken. Denn im jetzigen Stadium verlieren wir in vielen Bereichen unsere Wettbewerbsfähigkeit. Und das liegt nicht nur an den hohen Energiepreisen, sondern vor allem an vielen anderen Faktoren.
Die da wären?
Glück: Ganz weit vorne dabei ist die ausufernde Bürokratie und die übertriebene Regulierung. Nehmen Sie nur einmal das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Das Thema kommt von der EU, aber Deutschland nimmt sich dem natürlich als erstes an und legt es am strengsten aus. Der Mittelstand ächzt angesichts immer neuer Regeln. Der zweite Punkt ist der Fachkräftemangel, der sich über alle Branchen hinweg zieht. Und dazu kommen die hohen Energiepreise. Die ersten beiden Probleme sind hausgemacht, und wenn man die Energiewende beherzt anpacken würde, wäre auch das dritte Problem gelöst.
Die außer Kontrolle geratene Bürokratie ließe sich mit dem richtigen Willen am schnellsten lösen. Beim Fachkräftemangel wird es schon komplizierter.
Glück: Bei uns gehen die Babyboomer bald im großen Stil in Rente. Da kommt ein Riesenproblem auf uns zu. Mit entsprechend qualifizierter Immigration könnte man das abmildern.
Das versuchen aber auch andere westliche Nationen. Wir buhlen doch alle um die gleichen Facharbeiter, oder nicht?
Glück: Da haben Sie recht. Deshalb müssen wir uns eben ein bisschen besser anstellen und auch attraktiver für diese Fachkräfte werden. Deutschland steht bei diesen Menschen meist nicht oben auf der Liste.
Woran liegt das?
Glück: Das fängt doch schon bei den Ämtern an, wo es kaum englischsprachiges Personal und die entsprechenden Formulare gibt. Da könnte man sich ein Beispiel an Kanada nehmen, die machen viele Dinge sehr vorbildlich.
Sie blicken nicht allein mit einer gewissen Skepsis auf den Mittelstand. Nach dem Ausverkauf im vergangenen Jahr sind Nebenwerte an den Börsen auch dieses Jahr nicht so richtig durch die Decke gegangen. Woran liegt das?
Glück: Die Angst ist im Markt immer noch da. Das zeigt sich auch bei den Unternehmenskennzahlen: Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis im M-Dax liegt bei 10, im Dax bei 12. Dabei zahlt man auf den M-Dax normalerweise sogar eine Prämie, da die kleineren Unternehmen viel schneller wachsen. Der Discount liegt somit bei etwa 30 Prozent.
Eigentlich eine absurde Situation.
Glück: Viele Investoren scheuen nach wie vor Risiken, und das wirkt sich überproportional stark auf Nebenwerte und deren Liquidität aus. Hinzu kommt: Durch die erhöhten Zinsen suchen viele Investoren Alternativen zu Aktien.
Die Gelder fließen vor allem aus Europa und Deutschland ab.
Glück: Das ist der allgemeine Trend, auch wenn wir bei Lupus alpha davon nicht so stark betroffen sind wie andere Marktteilnehmer. Nebenwerte sind 2022 im Zuge der Zinswende überproportional stark unter die Räder gekommen. Die Kursverläufe passen nicht zu den operativen Verläufen der Unternehmen.
Die Kurse sind also in der Breite schlechter als die Firmen?
Glück: Ja, definitiv. Natürlich gibt es auch ein paar Werte, die in der Euphoriephase der vergangenen Jahre zu hoch bewertet waren. Die haben teilweise 90 Prozent seit ihrem Hoch verloren, und die werden auch unten bleiben. Aber es gibt viele Unternehmen, die sehr spezialisiert sind, bewährte Geschäftsmodelle haben und äußerst robust dastehen.
Und deren Kurse dennoch zweistellige Verluste ausweisen.
Glück: Die wurden im allgemeinen Abwärtsstrudel mitgerissen. Durch die Zinswende geriet der Kurs unter Druck, dann zogen einige risikoaverse Anleger ihr Geld ab, dann wurde die Performance noch schlechter.
Es ist schwer, diese Spirale zu unterbrechen. Wann wird es wieder besser?
Glück: Dieses Jahr ist eigentlich schon gelaufen. Ich hoffe, dass sich die Kurse im Verlauf des kommenden Jahres wieder erholen.
Warum klammern sich die Investoren angesichts dieser Schnäppchen-Bewertungen dennoch an Blue Chips?
Glück: Um liquide zu bleiben. Ich beobachte das bei mir ja selbst: Als diese Krise angefangen hat, habe ich auch eher bei Mid-Caps als im Small- oder Micro-Caps-Bereich zugegriffen. Derzeit muss man besonnen vorgehen. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die Nebenwerte bald wieder die Blue Chips outperformen werden.
Die Notenbanken fahren weiter auf Sicht, um den offiziellen Sprech zu übernehmen. Wie agieren Sie in diesem Umfeld? Anhand welcher Kriterien entscheiden Sie, eine Position aufzustocken?
Glück: Mein persönlicher Eindruck über das Management spielt eine große Rolle. Wichtige Parameter sind außerdem das Free-Cashflow-Wachstum und der Gewinn je Aktie. Es gibt da draußen Unternehmen, die in beiden Kategorien jedes Jahr ein zweistelliges prozentuales Wachstum haben, und deren Bewertung dennoch seit drei, vier Jahren auf der Stelle trabt. Hier können sich Einstiege lohnen.
Viele Mittelstands-Unternehmen werden nach wie vor von der Gründerfamilie gemanagt. Bewerten Sie das positiv oder negativ?
Glück: Ich bin ein Fan von Familienunternehmen. Die haben einen generationenübergreifenden Blick auf ihr Unternehmen und agieren langfristig. Aus ESG-Sicht ist das natürlich komplizierter, schließlich haben Minderheitsaktionäre wenig zu sagen. In puncto Corporate Governance sind Familienunternehmen deshalb für einige ein Albtraum. Deshalb bekommt man diese Unternehmen in der Regel auch mit einem Abschlag. Das muss man beim Investieren einfach berücksichtigen.
Ob der Zins steigt oder fällt, an Ihnen als klassischen Stockpicker gehen doch alle Investmentmoden vorbei. Ist das Fluch oder Segen?
Glück: Für mich ist es ein Segen, auch wenn es dieses Jahr schmerzhaft ist. Wir haben Makro-Märkte, derzeit bewegen vor allem die Zinsen die Kurse. Natürlich frustriert das ein bisschen, schließlich zahlt sich unser Stockpicking-Ansatz nicht so aus, wie es sonst der Fall ist. Aber das muss man aushalten. Man darf nicht die Nerven verlieren. Denn über kurz oder lang werden sich gute Unternehmen durchsetzen.
Sie sind seit 18 Jahren im Nebenwerte-Segment aktiv. Was haben Sie aus der letzten Kranker-Mann-Europas-Situation gelernt? Oder anders gefragt: Was machen Sie heute anders als damals?
Glück: Ich versuche, immer weiter zu lernen. Das hat etwa dazu geführt, dass ich Trends heute viel länger spiele als früher.
Wie meinen Sie das?
Glück: Der Einfluss von passiven Investments und Algorithmen ist in den vergangenen Jahren immens gestiegen. Nehmen Sie das aktuelle Beispiel Künstliche Intelligenz: Für dieses Thema wurden zahlreiche ETFs aufgelegt, in die nun kontinuierlich Geld fließt. Die Kurse gehen dadurch immer höher und Trends dauern viel länger an. Bewertungstechnisch ergibt das vereinzelt keinen Sinn mehr, aber man darf dennoch nicht zu früh aussteigen. Man muss sein eigenes Verhalten auf diese neuen Marktsituationen anpassen.
Small und Mid Caps gelten als Hochburg des aktiven Managements. Haben Sie Angst vor all den ETFs?
Glück: Das Interesse an ETFs auf den M-DAX hat zugenommen, der S-DAX ist dagegen noch ein relativ kleines Thema. Aber ich denke, als aktiver Manager kann man seine Stärken nach wie vor ausspielen. Es gibt im Nebenwerte-Segment mehr als genug Ineffizienzen. Das sieht man am derzeitigen Umfeld: Da werden aufgrund der drohenden Rezession nahezu alle Konsum-Titel abverkauft, völlig losgelöst von den operativen Verläufen der einzelnen Unternehmen. Diese Entwicklung zeigt, dass durch die Algorithmen die Ineffizienzen in gewisser Weise sogar noch zunehmen. Man muss als aktiver Manager nur geduldig sein.
Was haben Sie noch gelernt in all den Jahren?
Glück: Ich bin disziplinierter geworden. Ich halte Gewinnwarnungen besser aus und werde auch nicht mehr so emotional wie früher. Da bin ich richtig sauer geworden auf den Manager. Ich war enttäuscht. Heute bin ichgelassener.
Ihr Fonds hat eine beeindruckende Performance über 20 Jahre. Vermutlich hatten aber auch Sie die eine oder andere Jugendsünde in all den Jahren, oder?
Glück: Mein erstes Waterloo hatte ich vor vielen Jahren mit Süss Microtec. Ich sprach 2011 mit dem damaligen Geschäftsführer, der gute Stimmung machte. Und dann krachte eine riesige Gewinnwarnung rein. Der Kurs stürzte an einem Tag um satte 35 Prozent ab. Ich war richtig sauer und habe die Aktie enttäuscht verkauft. Mittlerweile agiere ich mit deutlich mehr Erfahrung.
Worauf kommt es an?
Glück: Es braucht eine gesunde Balance aus Selbstbewusstsein und Demut. Und man muss Fehler eingestehen können. Bleibe ich stur, kann das schnell teuer werden.
Gehen wir nochmal zurück zum Anfang. Wie haben Sie Ihre Liebe für Nebenwerte überhaupt entdeckt?
Glück: Ich habe 2005 bei Lupus Alpha angefangen, damals managte noch Mitgründer Karl Fickel den Nebenwerte-Fonds. Er hat mich mit seiner Passion angesteckt. Der Bereich hat das richtige Verhältnis aus nackten Zahlen, die man sorgfältig analysieren muss und People Business. Denn man muss die Manager auch lesen können. Erzählt er die Wahrheit, versucht er etwas zu verbergen? Traut man ihm oder ihr die Transformation zu oder ist das ein bisschen zu selbstverliebt? Denn hier und da begegnet man natürlich Blendern.
Sie sind im vergangenen Jahr bei Lupus alpha zum Partner befördert worden. Was hat sich in Ihrem Arbeitsalltag geändert?
Glück: Gott sei Dank wenig. Einmal im Quartal übernehme ich vielleicht eine repräsentative Aufgabe, aber ansonsten mache ich im Grunde dasselbe wie zuvor.
Gibt es denn jetzt noch Ziele, die Sie bei Lupus alpha erreichen wollen?
Glück: Mir macht der Job als Portfoliomanager riesigen Spaß. Am liebsten möchte ich einfach so weiter machen.
Wie schalten Sie vom Job ab?
Glück: Ich mache viel Sport, bestimmt vier- bis fünfmal die Woche. Ich gehe Laufen und spiele Fußball.
Welche Position?
Glück: Mittelfeld. Ich bin laufstark, habe viele Ballkontakte und verteile die Bälle.
Viel Ausdauer und ständig im Austausch – klingt ein wenig wie ihr Job als Portfoliomanager. Wie viel Kilometer laufen Sie beim Joggen?
Glück: Unter zehn Kilometern laufe ich eigentlich nicht. Am Wochenende ist die Strecke auch noch einmal deutlich länger. Da können es schon einmal 17 Kilometer durch den Wald werden.
Und dann genießen Sie die Stille des Waldes?
Glück: In der Tat. Beim Joggen auf der Straße höre ich dagegen oft Musik, Podcasts oder Hörbücher. Ich empfehle „Panikherz“ von Benjamin von Stuckrad-Barre. Das war wirklich witzig. Er konnte den Lindenberg so wunderbar nachnuscheln.