Kinderwunschbehandlung Regel zu Kostenzuschuss „diskriminierend und realitätsfremd“
„Sachliche Gründe“?
Eine Krankenbehandlung als Krankenkassenleistung, die nur verheirateten Versicherten zur Verfügung steht – wenn Sie denken, ich mache Witze: weit gefehlt! Denn auch im gerade frisch begonnenen Jahr 2023 dürfen gesetzliche Krankenkassen weiterhin nur Paaren mit Eheurkunde eine Kinderwunschbehandlung bezuschussen.
Das ist nicht nur unzeitgemäß, sondern geradezu diskriminierend. Und daher für mich Anlass, im neuen Jahr nochmal mit besonderem Fokus auf dieses Thema zu schauen, das uns eigentlich schon viele Jahre beschäftigt: 2014 sind wir als BKK VBU bis vor das Bundessozialgericht gezogen, um auch unverheirateten Paaren einen Kostenzuschuss zur künstlichen Befruchtung bewilligen zu können. Mit seinerzeit ernüchterndem Ergebnis: Es wurde uns gerichtlich untersagt, unverheiratete Paare mit Kinderwunsch zu unterstützen. Der Gesetzgeber habe aus „sachlichen Gründen die Leistungen zur Kinderwunschbehandlung ausdrücklich auf Ehepaare beschränkt“, hieß es damals und „nur der Gesetzgeber könne dieses Verbot aufheben“.
Das Urteil wird sich im nächsten Jahr zum zehnten Mal jähren. Für mich ein guter Anlass, zu fragen, was seitdem passiert ist. Was hat sich verändert? Mit Blick auf den Gesetzgeber ist Antwort einfach: Nichts. Aber mit Blick auf unsere Gesellschaft würde die Antwort auf die ursprüngliche Fragestellung des Jahres 2014 im Jahr 2023 wohl differenzierter ausfallen. Nach meiner Wahrnehmung hat sich in unserer Gesellschaft sehr viel bewegt: Die Sichtweisen und Haltungen insbesondere der jungen Generationen auf das, was die Solidargemeinschaft für den Einzelnen leisten sollte, auf Diversität, Individualität, Diskriminierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt sind andere geworden.
Das Urteil von damals wirft bis heute Fragen auf: Bietet eine Ehe mehr Sicherheit für das Kind? Sind verheiratete Paare die besseren Eltern? Solche Fragen kann man sicherlich stellen, nur: Eine Krankenkasse ist keine moralische Instanz, die darüber entscheiden sollte und wir wollen auch nicht qua Gesetz zu einer solchen gemacht werden. Es ist auch unseren Mitarbeitenden nicht mehr vermittelbar, dass sie gegenüber Antragstellenden solcherart Begründungen abgeben sollen und somit direkt mit dem moralischen Zeigefinger auf unsere Kundinnen und Kunden zeigen, wenn sie einen Antrag wegen fehlender Eheurkunde ablehnen.
Familienplanung in der Pandemie
Wenn wir einen Blick auf unsere eigenen Versorgungszahlen werfen, zeigte sich ein Anstieg an Kinderwunschbehandlungen mit Beginn der Pandemie. Hatten im Jahr 2019 noch 209 Versicherte unsere Zusatzleistung eines erhöhten Zuschusses zu den Behandlungskosten in Anspruch genommen, waren es in den Pandemiejahren 2021 und 2022 jeweils 287 beziehungsweise 242 Versicherte Das lässt vermuten, dass viele Paare mehr Zeit hatten, sich mit dem Thema Familienplanung auseinanderzusetzen.
Hallo, Herr Kaiser!
Möglicherweise hatten sie auch aufgrund der diversen pandemiebedingten Einschränkungen gesparte finanzielle Ressourcen zur Verfügung. Ab 2022 lässt sich wieder ein Rückgang an Behandlungen feststellen. In unsicheren Zeiten geprägt durch den Ukraine-Krieg, einer wachsenden Inflation und sich zuspitzenden Klimakrise verlässt Paare wohl der Mut, eine Familie gründen zu wollen.
Die Zahlen zeigen aber auch in Relation zu den rund 4.700 Geburten, die wir in der Versichertengemeinschaft der BKK VBU in den letzten drei Jahren jeweils verzeichnet haben, deutlich, dass Kinderwunschbehandlungen nur einen Bruchteil unserer Neugeborenen-Statistik ausmachen: Es ist eine kleine Minderheit, die nur mithilfe künstlicher Befruchtung zu Eltern werden kann und deswegen unsere Unterstützung braucht. Zudem wird klar, dass es sich bei Weitem um keine beitragsrelevanten Ausgaben handelt – auch wenn die Krankenkassen bei der Unterstützung nicht mehr nach der Eheurkunde fragen müssten.
Zu alldem kommt der Druck, der eh auf den (auch verheirateten) ungewollt kinderlosen Paaren liegt, der durch eine gesetzliche Limitierung auf drei Versuche noch gesteigert wird. Wohl jedes ungewollt kinderlose Paar kennt die wohlgemeinten Ratschläge „Entspannt Euch“. Kann man entspannt in eine Behandlung gehen, wenn man weiß „Wir haben nur drei Versuche“? Einige haben bei den drei Versuchen eben Glück – andere nicht.
Eine notwendige medizinische Behandlung wegen eines unerfüllten Kinderwunsches ist für die betroffenen Paare nicht nur eine psychische Belastung, sondern stellt oft – ob verheiratet oder nicht – eine erhebliche finanzielle Hürde dar. Bereits die Beschränkung der Zuschüsse auf 50 Prozent der Kosten, selbst wenn einige Kassen, so wie die BKK VBU auch, den Zuschuss aufstocken, schafft zusätzlich einen tiefen Graben zwischen den Paaren, die sich ein Kind leisten können und jenen, die das Geld nicht aufbringen können. Im Sinne des Solidarprinzips, auf dem die GKV fußt, ist dies nicht.