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Börsenblatt Die 72 Tage der Kommune von Athen

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Das eigentlich beunruhigende ist dabei der moralisierende Ton der Debatte. Beide Seiten werfen einander Raub und Erpressung vor. Das zeigt, wie wenig der Euro die innere Einheit gebracht hat, die er eigentlich erzeugen sollte. Als politisches und wirtschaftliches Projekt ist er damit wahrscheinlich gescheitert.

Nun sind die Länder der Eurozone aber eng aneinander gebunden und können nicht einfach aufstehen, sich die Krone zurechtrücken und gehen. Die Auseinandersetzung trägt daher weniger den Charakter eines internationalen Konflikts, sondern eher den eines Klassenkampfes. Auf der einen Seite das Bürgertum, fleißig, sparsam, wohlhabend. Und auf der anderen Seite eine perspektivlose Masse, die in ihren Ländern mit Arbeitslosenquoten zwischen 20 und 30 Prozent konfrontiert ist (die Jugendarbeitslosigkeit liegt über 50 Prozent), die befürchten muss, dass es einer ganzen Generation unmöglich sein wird, auf die Beine zu kommen.

Die Stimmung ist schon lange gekippt: In den Kommentaren zu den Artikeln auf tagesschau.de oder spiegel.de ist schon lange nicht mehr von verarmten Schuldnern oder politischen Gegnern die Rede, sondern von Dieben in der Nacht. Und umgekehrt schallt es nicht viel netter aus dem Wald heraus.
 
So bekommt die Eurokrise immer mehr das Ansehen einer sozialen Auseinandersetzung des 19. Jahrhunderts und in der Machtübernahme von Syriza kann man, nimmt man es mit den historischen Parallelen nicht allzu genau, Mechanismen wiedererkennen, wie sie etwa in der Pariser Kommune von 1871 am Werk waren. Diese war entstanden, als Napoleon III. nach dem verlorenen Krieg nach England ins Exil verschwand und sein Land ohne legitime Regierung zurückließ. Die Kommune von Paris nahm ihr Schicksal selbst in die Hand und begann sich selbst unter dem roten Banner des Sozialismus zu organisieren. Die während der preußischen Belagerung ausgesetzten Miet- und Zinszahlungen wurden ganz abgeschafft, die Schuldgefängnisse geöffnet, der Klerus verjagt oder verhaftet und die große Napoleonstatue auf der Place Vendôme unter dem Jubel der Menge gestürzt. Ein kurzlebiger Freiheitsrausch machte sich breit. Die Besitzbürger dachten aber nicht daran, ihre Rechte so einfach aufzugeben. In Versailles sammelten sie ihre Truppen unter der Führung des Marschalls MacMahon und eroberten die Stadt in einer blutigen Woche (semaine sanglante) zurück. Dieser Bürgerkrieg um Pacht und Zins war an Grausamkeit kaum zu überbieten, Gefangene wurden nur ungern gemacht, Geiseln bevorzugt erschossen. Am Ende stand ein Todesmarsch von 40.000 Kommunarden von Paris nach Versailles.

Nein, so wird die Eurozone nicht enden. Aber der Zorn, der sich entfaltet, wenn es um Geld und Freiheit geht (und Geld ist nach Dostojewski nichts anderes als geprägte Freiheit), ist heute zu groß, um die Institutionen zu bauen, die einer Währungsunion zu Grunde liegen müssten. Daran wird auch die Quantitative Lockerung nichts mehr ändern, welche die EZB im Januar endlich, viel zu spät, aufs Gleis gesetzt hat. Nach 72 Tagen war die Kommune zu Ende. Lenin feierte nach 72 Tagen, als sein Regime in Russland diesen Zeitraum überdauert hatte und damit größere Stabilität bewiesen hatte. Wenn Revolutionen gelingen, gelingen sie schnell. In circa 72 Tagen, kurz nach Ostern, wird Europa wissen, ob die SyrizaRegierung Bestand hat und wie es weiter geht mit der Rauferei um das Geld. Dann werden die Kredite von EZB und Währungsfonds an Griechenland fällig und wir werden sehen, wer sie begleicht: Die Besitzbürger (das heißt die EU der Nordeuropäer) oder die griechische Arbeiterschaft, welche in diesem Falle wüsste, dass ihre Kommune den Namen nun nicht mehr verdient. Der Ausgang des Dramas hängt davon ab, wie die Griechen und die Nordeuropäer ihr eigenes Erpressungspotenzial und das der Gegner einschätzen.

Für den Investor bedeutet dies, dass er, Quantitative Lockerung hin oder her, vorsichtig sein sollte bei Anleihen aus nichtprotestantischen Ländern und von Banken. Diese werden der Gradmesser für den Fortschritt der politischen Gespräche. Vor uns liegen unruhige Monate.

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