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Börsenexperte Robert Halver Schnäppchenpreise in Europa

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Haben europäische Aktien angesichts dieses instabilen, reformarmen Umfelds überhaupt Chancen?  

Zeitgewinn - Das europäische Luxusprodukt

Tatsächlich scheint Brüssel mit Streichhölzern in der Feuerwerksabteilung zu zündeln. Aber für den Abgesang auf Europa ist es viel zu früh.

Das britische Kind ist noch nicht in den Euro-Brunnen gefallen. So mancher Abgeordnete wird noch einmal über die Folgen einer Ablehnung des Brexit-Deals im Londoner Parlament nachdenken. Was wäre damit gewonnen? Tritt dann Ministerpräsidentin May zurück, muss der Nachfolger die wirtschaftlichen Schäden der schmutzigen Scheidung ausbaden. Politischer Masochismus ist aber selbst in Großbritannien nicht ausgeprägt. Außerdem will kein konservativer Tory bei einer Neuwahl eine Mehrheit von Labour riskieren. Wäre da nicht - mit ein paar kleinen kosmetischen Änderungen als Zuckerstückchen für London - ein Ja zum Brexit-Deal mit Zeitgewinn für finale Scheidungsverhandlungen bis Ende 2020 das insgesamt kleinere Übel? Ich meine ja.

Grundsätzlich ist die Angst in Brüssel groß, dass sich die markante Europa-Skepsis in den meisten EU-Ländern bei der Europawahl im Mai 2019 in einer Europa-feindlichen Parlamentsmehrheit niederschlagen könnte. Daher lässt man zur Polit-Stabilisierung Europas die allseits ungeliebte Finanzstabilität links liegen. Es wird zu einem neuen Schulden-Kompromiss zwischen Brüssel und Rom kommen. Diesen kann zwar nur Pinocchio als stabilitätskonform beschreiben. Aber für einstweilige Ruhe im EU-Karton trägt man gerne eine lange Lügennase. Seit der Griechenland-Rettung ist diese ohnehin schwer in Mode gekommen.

Sowohl in der Brexit- als auch der Italien-Frage ist Zeitgewinn das Beste, was jetzt erreichbar ist. Die Euro-politisch ohnehin nicht verwöhnten Finanzmärkte werden es zu schätzen wissen. 

Die EZB hat die Nummer gegen jeden Finanz-Kummer

Auch die EZB hat die Tür für die Wundheilung der italienischen Schuldenkrise schon ein Stück weit aufgemacht. Zur Wahrung ihrer stabilitätspolitischen Illusion macht sie das nicht plump wie der Elefant, sondern raffiniert wie ein Fuchs. Sie wird die Anleiheaufkäufe zum Jahresende zwar auslaufen lassen. Doch setzt sie ihre Liquiditätspolitik mit neuem Etikett fort: Über neue sogenannte Langfristtender kommen europäische Banken in den Genuss neuer beruhigender Liquidität für viele Jahre. Diese weiter lockere Geldpolitik kann die EZB übrigens mit Verweis auf schwächere Konjunktur- und damit Inflationsprognosen mühelos „alibisieren“. 

Und wenn Italien von der EU den finanzpolitischen Segen erhält, warum sollten dann Banken die neugewonnenen Finanzmittel nicht in vergleichsweise hoch rentierliche italienische Staatspapiere investieren. In der Anleihewelt herrscht immer noch Anlagenotstand. Zum Schluss ist der römische Staatshaushalt finanziert, die italienische Schuldenkrise macht zumindest Pause und europäische Aktien haben wieder gute Laune. 

Europäische Unternehmen müssen nicht an Europa, sondern an Rendite glauben  

Europäische Unternehmen haben keinen ausgeprägten europäischen Nationalstolz. Sie wollen gute Umsätze und Gewinne. Sind diese in Europa nur mit Einschränkungen zu erreichen, entfliehen sie eben den Niederungen der europäischen Politik und gehen mit den USA oder Asien fremd. Grundsätzlich ist es den Aktienkursen egal, wo die Konzerne fundamental erfolgreich sind, Hauptsache sie sind es.

Europäische Aktien sind nicht deshalb zweite Wahl, weil sie vorübergehend unter Kursschwäche leiden. Man kann so etwas auch Schnäppchenpreise nennen.     

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