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Brasilien nach der Fußball-WM Wirtschaft im Stimmungstief

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Produktivitätsnachteile in vielen Bereichen der Wirtschaft


Voraussetzung dafür, dass Brasilien in Zukunft eine höhere Dynamik und Nachhaltigkeit beim industriellen Wachstum erzielen kann und auch der Dienstleistungssektor höhere Wachstumsbeiträge erbringt, sind Produktivitätsfortschritte. Hier hat Brasilien in den vergangenen Dekaden leider keine signifikanten Fortschritte gemacht.

Im Gegenteil, praktisch hat der Produktivitätstrend in den letzten zehn Jahren stagniert. Dies liegt vor allem an der im internationalen Vergleich eher mäßigen Investitionsquote: Zwischen den Jahren 2000 und 2012 machten die gesamtwirtschaftlichen Investitionen im Durchschnitt nur rund 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Dies war deutlich weniger als etwa in Chile, Mexiko oder Indien und weniger als die Hälfte der vergleichbaren Quote in China. Diese betrug im Jahr 2013 immerhin 48 Prozent.


Produktivitätssteigernder Fortschritt geht in der Regel mit neuen Technologien und Kapitalinvestitionen einher. Diese waren in Brasilien in den letzten 15 Jahren deutlich unterrepräsentiert. Zu den dahinter stehenden Gründe zählen unter anderem:

(1) In Brasilien ist aufgrund des dortigen Rohstoffreichtums und neuer Öl- und Erdgasfunde vor der Küste eine zu starke Betonung des Ressourcensektors festzustellen, der zu Lasten von produktivitätssteigernden Investitionen in anderen Industriesektoren geht („Dutch desease“).

Im Extremfall kann ein solch übergroßer Ressourcensektor sogar regelrecht zu einer De-Industrialisierung führen. Dies ist in Brasilien zwar nicht der Fall, aber immerhin ist für das Land in den letzten 30 Jahren eine gewisse Bedeutungseinbuße des klassischen Industriesektors festzustellen: Betrug sein Anteil (mit Bau) am brasilianischen BIP dem IWF zufolge 1985 noch 45,3 Prozent, waren es 2012 nur noch 26,3 Prozent.

Zum Vergleich: In Deutschland hat das Produzierende Gewerbe (mit Baugewerbe) eine weitaus größere Bedeutung (30,5 Prozent), ebenso in den anderen wichtigen Schwellenländern wie China (45,3 Prozent) oder in Chile (35,5 Prozent).

2) Eine Erklärung für den technologischen Nachteil Brasiliens liefert auch die Tradition der Importsubstitutionsstrategie, die seit den 1950er Jahren als Leitschnur für den nationalen Entwicklungsweg dominiert hat: Über einen exzessiven Importschutz wird die inländische Industrie zwar vor Auslandskonkurrenz abgeschirmt und kann sich, so die Intention, freier und ungestörter entfalten.

Im Ergebnis hat diese Strategie aber vor allem zur Folge, dass das inländische Preisniveau erhöht wird und wichtige Konsum- und Investitionsgüter am Ende nicht in der gewünschten Menge oder Qualität verfügbar sind. Zudem verliert die inländische Industrie wegen der mangelnden Vernetzung mit ausländischen Partnern auch an Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten.

Tendenziell werden zu viele unproduktive Produktionsweisen im Inland konserviert, es gibt Fehlanreize bei Investitionsentscheidungen, und es wird auch das Exportwachstum beschnitten. Das technologische Niveau für den Wettbewerb auf dem Weltmarkt ist einfach auf vielen Feldern zu niedrig, oder die industriellen Güter werden relativ zu teuer produziert, um exportfähig zu sein.

(3) Direktinvestitionen aus dem Ausland finden nicht statt, um Brasilien als attraktiven Produktionsstandort für Exporte in Drittländer zu nutzen, sondern um Marktanteile auf dem zwar großen, aber begrenzten und abgeschotteten Inlandsmarkt zu gewinnen.

Damit wird auch der Technologietransfer aus dem Ausland nur unvollkommen als Produktivitätsquelle genutzt. Das Land schnürt sich indirekt vom technologischen Fortschritt aus dem Ausland ab, der durch alternative Produktionsmethoden aus dem Ausland ins Inland hineingetragen werden könnte.

(4) Das mangelnde Ausmaß von an sich lohnenswerten Erweiterungsinvestitionen führt dazu, dass die Industrie derzeit tendenziell im oberen Auslastungsbereich produziert. Dort wo Ersatzinvestitionen für ausgediente oder technologisch nicht mehr wettbewerbsfähige Kapitalgüter ausgeblieben sind, hat sich sogar der effektive Kapitalstock reduziert, was zu Überauslastungen in der betreffenden Industrie und zu angebotsseitig verursachtem Inflationsdruck führt.

(5) Eine überbordende Bürokratie und ein intransparentes Steuersystem sorgen dafür, dass Investitionen ausbleiben. Im so genannten „Ease of Doing Business Index“ der Weltbank, der unter 189 Ländern die allgemeinen Geschäfts- und Investitionsbedingungen der Attraktivität nach auflistet, landet Brasilien nur auf Platz 116.

Bewertet man hier nur das Steuersystem (Erhebungsaufwand und -prozeduren, Steuerlast), so findet sich das Land noch weiter abgeschlagen auf Platz 159 wieder.

(6) Um private Investitionsprojekte zu fördern, den gesamtwirtschaftlichen Kapitalstock zu erweitern und so das gesamtwirtschaftliche Beschäftigungs- und Wachstumstempo anzutreiben, muss auch das notwendige Maß an Infrastruktur gegeben sein.

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