Brexit: „Die Briten können sich einen EU-Austritt wirtschaftlich nicht leisten“
Britische Schreckgespenster
Britische Kommentatoren zeichnen derzeit gerne Schreckensszenarien an die Wand, dass bei einer 3 Tier‐EU, also einer Gemeinschaft der 3 Geschwindigkeiten, der gemeinsame Binnenmarkt in Gefahr sei.
Das ist aber unwahrscheinlich. Deutschland und Frankreich sahen lediglich ein, dass ein stetes Zuwarten auf eine britische Zusage zu lähmend wäre, um die notwendigen Integrationsschritte umzusetzen. Gut so. Es zeichnet sich zunehmend eine EU der 2 Geschwindigkeiten ab, nämlich zwischen integrationswilligen und unwilligen Mitgliedern. Noch konkreter, zwischen Großbritannien und den restlichen 26 EU-Mitgliedern.
Dank seiner ökonomischen Stärke und politischen Signale der Entspannung, zog Deutschland Polen zuletzt auf seine Seite. Ein treuer Partner der Briten ist damit abhandengekommen. Auch hängt Irland zu stark am Wohlwollen der internationalen Gemeinschaft (EFSF und IWF), als dass es den Briten zur Seite stehen könnte. Schweden und Holland sind durchaus in Handels und Marktfragen mit dem Vereinigten Königreich einer Meinung, doch positionierten sich beide klar pro‐Integration.
Die letztwöchig beschlossene Regierungskoalition in Holland könnte auch den Namen „Austerity Coalition“ (Koalition der Sparer) tragen, und liegt damit auf deutscher Linie. Tschechien als britischer Partner ist unberechenbar und eher auf Krawall, denn auf substanzielle Debattenbeiträge aus.
Was passiert nun?
Ich zitiere Hermann Sileitsch vom Dezember 2011 in der Wiener Zeitung: „Dass die Briten einen großen Schwenk vornehmen und zu Parade‐Europäern mutieren, ist unwahrscheinlich. Zu sehr sind sie abhängig von ihrem hypertrophen Finanzzentrum London. Für Drohszenarien sind sie aber in einer schlechten Position. Bleiben die Kontinentaleuropäer hart, müssten sie den Briten konsequenterweise die Tür weisen.“
Den Briten wird wohl nicht die Tür gewiesen. Vielleicht öffnen sie diese selbst. Die Anti‐EU-Stimmung in Großbritannien wird an der Debatte über ein mögliches Austritts‐Referendum sichtbar. Mehr als Zweidrittel der Briten wollen darüber abstimmen.
Je nach Umfrage, ergibt sich im Falle einer Abstimmung eine Mehrheit für oder gegen einen Austritt. Hier sind die Würfel noch nicht gefallen. Wir gehen davon aus, dass im Fall eines Referendums, die pro‐europäischen Kräfte auf der Insel stark zu lobbyieren beginnen würden.
Deshalb gehen wir auch davon aus, dass das Vereinigte Königreich die sich abzeichnende Junior‐Rolle als EU-Mitglied akzeptieren wird. Weshalb? Ratio vor Stolz.
Auf Sicht gesehen, können es sich die Briten volkswirtschaftlich nicht leisten, aus der EU auszutreten. Die ökonomische Robustheit Zentraleuropas, bei gleichzeitigem Veränderungsdruck im Institutionengefüge ergibt in Summe eine gestiegene Visibilität der schwachen britischen Position. Diese führt zwar zu nationalistischen Reflexen auf der Insel.
Letztendlich kann Deutschland Großbritannien als marktliberalen Partner gegen Frankreich weiterhin gut gebrauchen. Ein Beispiel bildet derzeit die Debatte um den EU-Haushalt 2014‐2020. Deutschland steht in der Mitte und verwendet die Extremposition der Briten um gegen die von Frankreich und den Südländern geschmiedete Achse verhandeln zu können.
Großbritannien als dienlicher Juniorpartner Deutschlands. Wohl nicht der Beginn eines zweiten Elisabethanisches Zeitalters, aber mehr ist für die Briten derzeit nicht möglich.
Über den Autor: Markus Schuller ist Gründer von Panthera Solutions, eine Beratungsfirma für strategische Asset Allocation im Fürstentum Monaco. Zuvor war er über zehn Jahre lang als Asset Manager und Produktentwickler bei Banken und Asset Managern tätig. Er kommentiert für diverse Qualitätsmedien den Markt und referiert regelmäßig auf Konferenzen zum Thema Asset Allocation.
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