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Ethenea-Portfoliomanger Brexit – die Uhr tickt

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Selbst ein Brexit-Deal mit aus britischer Sicht bestmöglichem Ausgang würde signifikante Investitionen in die Umstellung der Produktions- und Lieferketten sowie Anpassungen an die neuen Grenzkontrollen und Nachweispflichten bedeuten. Das wiederum würde die britische Wirtschaft weiter belasten und in Kombination mit der vorherrschenden Unsicherheit – eine Umfrage hat jüngst ergeben, dass rund die Hälfte der kleinen und mittelständischen Unternehmen keine Ahnung hat, wie sich das Ende der Übergangszeit auf ihr Geschäft auswirken werde – weiteren Abwärtsdruck auf das Pfund ausüben. Britische Staatsanleihen hingegen sollten weiterhin als sicherer Hafen gelten.

Großbritannien hinkt beim Bruttoinlandsprodukt weiter hinterher
Prozentuale Veränderung des BIP Q3 2020 im Vergleich zu Q3 2019

Quelle: Bloomberg Finance LP

Zum anderen hat die Bank of England in diesem Jahr bereits zweimal den Leitzins von 0,75 Prozent auf 0,1 Prozent gesenkt und zuletzt den Ankauf von Staatsobligationen um weitere 150 Mrd. Pfund auf nunmehr 875 Mrd. Pfund erhöht. Die dadurch geschaffene Nachfrage soll einerseits den Anleihenmarkt stabilisieren; andererseits sollen so aber auch die Zinsen weiter niedrig gehalten und somit die Staatsfinanzierung erleichtert werden. Schließlich können sich Anleger nahezu sicher sein, dass die erworbenen Staatsanleihen im Notfall auch wieder an die Bank of England gebracht werden können.

Die schwierige Lage der Wirtschaft wurde kürzlich von Schatzkanzler Rishi Sunak nochmal bestätigt. Ein erwarteter Einbruch der Wirtschaftsleistung um 11,3 Prozent wie in 2020 hat es in den letzten drei Jahrhunderten nicht gegeben. Eine vollständige Erholung der Wirtschaft wird von ihm frühestens kurz vor Ende des Jahres 2022 erwartet. Erschwerend kommt noch hinzu, dass selbst einen Monat vor Ende der Brexit-Übergangsphase immer noch keine vernünftige Vereinbarung über die zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien gefunden wurde.

Der Druck auf das britische Pfund wird weiterhin bestehen bleiben. Die Zentralbank wird alles tun, um die negativen Auswirkungen des EU-Austritts und der Corona-Pandemie abzumildern. Zusätzliche Anleihenkäufe sind bereits verkündet worden, weitere Maßnahmen werden diskutiert. Allerdings hat die Bank of England der Einführung negativer Zentralbankzinsen bislang eine Absage erteilt. Die Finanzierbarkeit der enormen zusätzlichen Staatsschulden wird die Aufmerksamkeit der Zentralbank erfordern, zumal der Schatzkanzler noch im laufenden Fiskaljahr, das am 31. März 2021 endet, plant, zusätzliche Schulden in Höhe von fast 400 Milliarden Britische Pfund zu machen. Das entspricht in etwa 19 Prozent des Bruttosozialprodukts.

Die unterdurchschnittliche Wirtschaftsentwicklung, ein gewaltiges Haushaltsdefizit, das weiterhin ungeklärte Verhältnis zur EU, eine noch expansivere Geldpolitik – Vieles spricht für eine weitere Abwertung des britischen Pfunds gegenüber dem Euro. Die britische Zentralbank sperrt sich zwar bis jetzt noch gegen die Einführung negativer Zinsen; wir glauben allerdings, dass die Bank of England auch hier den Tabubruch wagt und der EZB folgen wird. Dies würde zusätzlichen Druck auf das britische Pfund ausüben und zu einer weiteren Abwertung führen.  

Und dann gibt es da ja noch das in der öffentlichen Debatte am wenigsten diskutierte Szenario, das vor dem Hintergrund der sich nun seit mehr als vier Jahren hinziehenden Brexit-Verhandlungen und der sich mit großen Schritten nähernden Deadline gar nicht mehr so unwahrscheinlich erscheint, nämlich, dass die Frist vom 31. Dezember 2020 abermals gerissen und die Verhandlungen über den Jahreswechsel hinaus verschoben werden. Dies wäre dann der berühmte Schrecken ohne Ende und wäre aufgrund der andauernden Unsicherheiten wohl das perspektivisch schlechteste aller Szenarien. Zusammen mit Corona würde dies noch mehr Herausforderungen für die ohnehin schon schwächelnde britische Wirtschaft bedeuten. Es bleibt nur zu hoffen, dass dieses Szenario der britischen Wirtschaft und den Menschen erspart bleibt.


Über den Autor:
Volker Schmidt ist Senior Portfoliomanager beim Luxemburger Fondshaus Ethenea.

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