Raus aus der City: Finanzplatz London verliert an Bedeutung
Artikel hören
Nach dem Brexit
Raus aus der City: Finanzplatz London verliert an Bedeutung
Die Audioversion dieses Artikels wurde künstlich erzeugt.
Nach dem BrexitRausausderCity:FinanzplatzLondonverliertanBedeutung
London verliert als Finanzzentrum an Attraktivität. Trotz neuer Rekorde beim britischen Leitindex drohen notierte Börsenunternehmen an andere Handelsplätze abzuwandern. Dennoch will die City ihre einstige Führungsposition zurückerobern. Deregulierungen sollen neuen Börsengängen den Weg bahnen.
Dunkle Wolken über den Türmen der City: Der Londoner Finanzdistrikt kann nach dem Brexit nicht mehr mit seiner einstigen Bedeutsamkeit auftrumpfen.| Foto: Imago Images / SOPA Images
Der FTSE 100 verzeichnet dieser Tage ein Allzeithoch nach dem nächsten. Der steigende Kurs kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der britische Leitindex seit der Jahrtausendwende vor allem seitwärts bewegt. Der Rekordpunktestand des Leitindex ist demnach kein Grund zu feiern, sondern lediglich eine Erholung nach über zwei schwachen Jahrzehnten.
Warum nur an der Oberfläche kratzen? Tauchen Sie tiefer ein mit exklusiven Interviews und umfangreichen Analysen. Die Registrierung für den Premium-Bereich ist selbstverständlich kostenfrei.
Der FTSE 100 verzeichnet dieser Tage ein Allzeithoch nach dem nächsten. Der steigende Kurs kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der britische Leitindex seit der Jahrtausendwende vor allem seitwärts bewegt. Der Rekordpunktestand des Leitindex ist demnach kein Grund zu feiern, sondern lediglich eine Erholung nach über zwei schwachen Jahrzehnten.
Seit dem Millenniumwechsel bis Anfang 2024 ist der FTSE 100 um nur 10 Prozent gestiegen. Das derzeitige Anlegerinteresse an Londoner Aktien rührt vor allem daher, dass die Aktien als besonders günstig gelten und die Investoren spätestens im August mit Zinssenkungen der Bank of England (BoE) rechnen. Die Aktienunternehmen in London bangen derweil um ihren Börsenwert. Aufgrund der niedrigen Bewertungen fürchten sie Übernahmen durch ausländische Investoren.
Da sie ihre Marktbewertung an der Wall Street deutlich steigern könnten, überlegen einige in London gelistete Unternehmen, dorthin abzuwandern, oder werden von den Investoren gedrängt, die City – also den Ort, wo sich Börse und Finanzdistrikt in Englands Hauptstadt befinden – zu verlassen. Das würde den Finanzplatz weiter schwächen, wobei das Börsengeschehen bereits jetzt nicht mehr mit der internationalen Aktienrally mithalten kann. Die Gründe dafür, dass London als Finanzplatz an Bedeutung verliert, sind vielschichtig.
Stagnierende Wirtschaft
Schon länger ist zu beobachten, dass sich die britische Wirtschaft schwächer entwickelt als die vieler anderer westlicher Industrieländer. Sowohl die Pandemie als auch der Brexit sind dabei Einflussfaktoren. Seit dem Austritt aus der Europäischen Union brechen die Gewinne der britischen Firmen ein – und damit auch die Aktienkurse.
Zwar ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal unerwartet um 0,6 Prozent gestiegen – gerechnet wurde mit 0,4 Prozent. Zuvor war Großbritannien jedoch Ende des vergangenen Jahres in eine Rezession gerutscht, die nun mit dem kräftigsten Wachstum seit über zwei Jahren beendet sein soll.
Auch die Inflation sank zuletzt auf den niedrigsten Stand seit über zweieinhalb Jahren. Mit einer Inflationsrate von 3,2 Prozent im März ist sie jedoch noch vergleichsweise hoch. In Deutschland stiegen die Verbraucherpreise im gleichen Zeitraum im Schnitt um 2,2 Prozent.
Die Hoffnung der britischen Wirtschaft liegt auf den steigenden Reallöhnen, die den privaten Verbrauch und damit auch die Gesamtwirtschaft ankurbeln sollen. Jedoch ist dies ein zweischneidiges Schwert. Denn die steigenden Löhne könnten auch einen treibenden Effekt auf die relativ hohe Inflation haben, womit das Inflationsziel von 2 Prozent der BoE wieder in weitere Ferne rücken würde.
Außerdem offenbaren sich weitere Nachwirkungen des Brexits: Ende April begann das Vereinigte Königreich mit verschärften Kontrollen für importierte Lebensmittel und Pflanzen aus der EU. Nachdem der EU-Austritt die britische Wirtschaft ohnehin schon stark beeinträchtigt und auch andere Länder in Mitleidenschaft gezogen hat, belasten die Grenzkontrollen den Handel nun zusätzlich. Das deutsch-britische Handelsvolumen ist bereits zurückgegangen.
Rohstoffe statt Tech-Titel
Der Brexit und die sich in jüngste Vergangenheit häufenden Wechsel im Amt des Premierministers sind auch Gründe dafür, dass die City für Investoren und Vermögensverwalter zu unsicher geworden ist. Nicht nur deshalb hat der US-Kapitalmarkt eine größere Anziehungskraft – vor allem auch auf institutionelle Anleger wie Pensionsfonds, die der Stadt an der Themse somit verloren gehen.
Die Londoner Börse steht im Schatten des Tech-Booms an der New Yorker Wall Street. Durch den Mangel an Tech-Werten ist der FTSE 100 weit entfernt von Kursgewinnen wie vergleichsweise beim US-amerikanischen S&P 500 oder dem Nasdaq-Index. Mit der Dominanz an Rohstoffwerten im britischen Leitindex lässt sich keine solche Dynamik erreichen.
Für den gegenwärtigen hohen Abschlag in der City sorgen vor allem niedrig bewertete Value-Aktien aus den Bereichen Rohstoffe, Finanzen und Energie. Im Zeichen des Ukraine-Konflikts boomen zudem Rüstungswerte. Ihre Aktionäre halten die Unternehmen daneben vor allem mit vergleichsweise hohen Dividenden und Aktienrückkäufen bei der Stange.
Neue Nummer eins in der EU
Die Schwäche Londons haben andere Finanzplätze längst zu ihrem Vorteil genutzt – allen voran Paris. Die französische Hauptstadt ist zum wichtigsten Finanzzentrum in der EU aufgestiegen und hat damit sogar Frankfurt hinter sich gelassen. Dabei hatte die Stadt am Main ebenfalls vor, vom britischen EU-Austritt zu profitieren. Paris gelang es, London beim Handelsvolumen zu überholen. Die französische Regierung hat die Stärkung des Finanzstandorts zur Priorität gemacht. Finanzminister Bruno Le Maire will ein entsprechendes „Gesetz für die Attraktivität der Finanzwirtschaft in Frankreich“ erlassen, dessen endgültige Verabschiedung durch den Senat als sicher gilt.
Bereits jetzt hat Paris die Regulierung mehrfach angepasst, um Börsengänge künftig zu erleichtern. Eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts und Steuererleichterungen sollen Finanzmarktakteure von dem Standort überzeugen. Das Ziel ist auch, die Finanzierungsbedingungen für junge europäische Unternehmen zu verbessern, damit diese nicht in die USA abwandern.
London will zurück an die Spitze
Nachdem 2023 als verlorenes Jahr für den Londoner Kapitalmarkt zu verbuchen ist, möchte die City in diesem Jahr ihre einst führende Position unter den globalen Finanzplätzen zurückerobern.
Einst legte die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher mit ihrer Deregulierung des Wertpapierhandels 1986 den Grundstein für die Entstehung der heutigen City – sowie für die Finanzkrise 2008. Denn auf dem befreiten britischen Markt entwickelte sich eine Finanzkultur geprägt von riskanten Transaktionen und Spekulationen. Infolge der Deregulierung und der Deindustrialisierung klaffte das soziale Gefälle nicht nur in London, sondern in ganz England auseinander, und Großbritannien und seine Wirtschaft hängen stark vom Finanzmarkt ab.
Nichtsdestotrotz brachten die Thatcher-Reformen dem einstigen „kranken Mann Europas“ einen Konsumrausch und London seinen Rang als bedeutendster Finanzplatz Europas. Um nun wieder an die Höhenflüge anzuknüpfen, gilt es, einerseits die Abwanderungen von notierten Unternehmen zu stoppen und andererseits die Voraussetzungen für neue Börsengänge zu verbessern.
Die britische Finanzaufsichtsbehörde FCA (Financial Conduct Authority) will deshalb die Listing-Vorschriften lockern, um mehr Börsendebütanten nach London zu locken. Ähnlich wie schon in den 1980er-Jahren unter Thatcher sollen Deregulierungen den Finanzmarkt wieder antreiben. Mit den sogenannten Edinburgh-Reformen will die britische Regierung EU-Kapitalanforderungen für Versicherungen und Pensionsfonds lockern. So sollen Finanzfirmen mehr Risikokapital für Startups bereitstellen, um beispielsweise Technologiefirmen zu fördern, die kaum an der Londoner Börse vertreten sind.
Der britische Finanzminister Jeremy Hunt hofft zudem, dass die Deregulierung britische Anleger bewegt, wieder stärker in britische Aktien zu investieren.
Die Zukunft des Finanzmarkts
Die Versuche, den Finanzstandort zu stärken, treffen nun auf einen leichten Anstieg der Konjunktur, wie das BIP des Vereinigten Königreichs für das erste Quartal zeigt. Gepaart mit der langsam sinken den Inflation kommen Zinssenkungen im Sommer in Sicht, die die Lage am Markt entschärfen könnten. Auch für britische Aktien hellen sich die Aussichten damit wieder auf.
Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?
Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen
Ja, ich möchte den/die oben ausgewählten Newsletter mit Informationen
über die Kapitalmärkte und die Finanzbranche, insbesondere die Fonds-,
Versicherungs-und Immobilienindustrie abonnieren. Hinweise zu der
von der Einwilligung mitumfassten Erfolgsmessung, dem Einsatz der
Versanddienstleister June Online Marketing und Mailingwork, der
Protokollierung der Anmeldung, der neben der E-Mail-Adresse weiter
erhobenen Daten, der Weitergabe der Daten innerhalb der Verlagsgruppe
und zu Ihren Widerrufsrechten finden Sie in der
Datenschutzerklärung.
Diese Einwilligung können Sie jederzeit für die Zukunft widerrufen.
Bitte wählen Sie mindestens einen Newsletter aus, den Sie abonnieren möchten
Bitte bestätigen Sie die Einwilligung, um fortzufahren
Bitte E-Mail ausfüllen
Bitte wählen Sie Ihre Anrede aus, um fortzufahren
Bitte geben Sie Ihren Vornamen ein, um fortzufahren
Bitte geben Sie Ihren Nachnamen ein, um fortzufahren
Bitte wählen Sie eine Position aus, um fortzufahren
Bitte geben Sie Ihren Passwort ein (mind. 8 Zeichen), um fortzufahren
+
Anmelden
Fast geschafft
Bitte überprüfen Sie Ihr E-Mail Postfach - wir haben eine Bestätigungs-E-Mail verschickt. Das Abonnement wird nach der Bestätigung aktiv.