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Edouard Carmignac: Darum sind Zinssenkungen problematisch

Der verhaltene Optimismus, den ich im gesamten Jahr 2023 und auch Anfang dieses Jahres in meinen Briefen an die Anleger zum Ausdruck brachte, wurde von den Aktienmärkten deutlich übertroffen. Nach einem Plus von fast 10 Prozent im vierten Quartal setzten die weltweiten Börsen ihren Anstieg Anfang dieses Jahres im gleichen Tempo fort. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint daher die Frage angebracht, wie groß das Potenzial der Märkte insgesamt ist.
Die robuste Weltkonjunktur in Verbindung mit stabilen Realzinsen sollte zwar eine weiterhin robuste Entwicklung risikoreicher Anlagen begünstigen, gleichzeitig ist es aber angebracht zu prüfen, ob die aktuellen Bewertungsniveaus die hartnäckigen Unsicherheiten berücksichtigen.
Aussicht auf Zinssenkungen ist problematisch
Die Tragfähigkeit der weltweit hohen Verschuldung ist nach wie vor eine der Hauptsorgen. Während der Höhepunkt des Konjunkturzyklus erreicht ist, beträgt das Haushaltsdefizit in den USA und Frankreich 6,4 und 5,5 Prozent des BIP und die Staatsverschuldung liegt in beiden Ländern bei über 100 Prozent ihrer jährlichen Vermögensbildung.
Daher ist es in einer Zeit, in der die Schmerzgrenze der Bevölkerung in der westlichen Welt sehr niedrig ist, von wesentlicher Bedeutung, dass die Realzinsen, also die Zinsen, die nach Abzug der Inflation noch übrigbleiben, so niedrig wie möglich sind. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass sowohl Jerome Powell als auch Christine Lagarde eine baldige Lockung der Geldpolitik signalisieren, obwohl der Inflationsrückgang beiderseits des Atlantiks den Zielen weit hinterherhinkt. Zudem macht der anhaltende Inflationsdruck, der der weiterhin angespannten Lage auf den Arbeitsmärkten und einem Preisanstieg bei bestimmten Rohstoffen zuzuschreiben ist, die Aussicht auf eine Zinssenkung problematisch.
Entweder entscheiden sich die Zentralbanken für eine Verschiebung der Senkung, womit das Wachstum geschwächt würde, oder sie antizipieren einen bislang ungewissen Inflationsrückgang und senken die Zinsen verfrüht, womit sie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen würden. Aus unserer Sicht sprechen sowohl die Anfälligkeit des Wachstums in Europa als auch die US-Präsidentschaftswahl für die zweite Option.
Geopolitische Risiken halten an
Die Resilienz der Weltwirtschaft dürfte schon bald auf die Probe gestellt werden. Die Weltkonjunktur dürfte zwar auch weiterhin von akkommodierenden Haushaltspolitiken, einer wahrscheinlichen Zinssenkung und den zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen für die chinesische Wirtschaft profitieren. Doch die Kaufkraft der Verbraucher in den USA und Europa wird infolge des Anstiegs der Rohstoffpreise und des allmählichen Schwindens der coronabedingten Rücklagen weiter sinken.
Die geopolitischen Risiken flauen bei Weitem nicht ab, sondern setzen sich fest: Mit dem Frühling werden zunehmende Kampfhandlungen in der Ukraine befürchtet, der israelische Ministerpräsident Netanjahu setzt seine hartnäckige Offensive in Gaza fort, während der Iran die Destabilisierung im Nahen Osten vielerorts vorantreibt. Wir sind weiterhin der Ansicht, dass eine baldige Entspannung illusorisch ist, halten aber den Gedanken, dass dank der gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den einzelnen beteiligten Parteien ein größerer Konflikt vermieden wird, nicht für abwegig.
KI-Aktien hoch, langfristige Anleihen runter
Wie also sind die Aussichten für die Märkte?
Solange die Zinsen nicht gesenkt werden, könnte die großzügige Bewertung der Aktienmärkte in Gefahr geraten, wenn sich das Wachstum verlangsamen sollte. Falls die erwartete Zinssenkung durch die Zentralbanken nicht mit einem weiteren Inflationsrückgang einhergehen sollte, wären zudem steigende langfristige Zinsen – sowie sinkende Renditen langfristiger Anleihen – zu befürchten. Vor diesem Hintergrund haben wir Aktien mit guter Perspektive, darunter ein wesentlicher Anteil Schlüsselakteure der KI-Branche, aufgestockt und langfristige festverzinsliche Anleihen deutlich verringert. Unser Gold-Exposure profitiert von weiterhin lockeren Haushaltspolitiken, die weniger von restriktiven Geldpolitiken behindert werden, und den zunehmenden geopolitischen Risiken.