Ein dumpfer Knall, Wasser spritzt meterhoch: In der Nacht vom 10. auf den 11. September 2024 stürzt in Dresden ein knapp 100 Meter langes Teilstück der Carolabrücke in die Elbe. Nur wenige Minuten zuvor fährt noch eine Straßenbahn über den Brückenabschnitt. Es grenzt fast an ein Wunder, dass niemand zu Schaden kommt. „Wir wissen, dass seit vielen Jahren viel zu wenig in die Instandhaltung investiert wird. Es ist das krasseste Signal, dass wir endlich ein Umdenken brauchen“, so Steffen Marx, Professor am Institut für Massivbau an der TU Dresden, in der ARD.

Marode Brücken, kaputte Straßen, alte Schienen: Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) müsste Deutschland für eine zukunftsfähige Wirtschaft in den kommenden zehn Jahren 600 Milliarden Euro investieren – allein 127 Milliarden Euro davon für Verkehrsinfrastruktur. Während andere Länder in Europa ihre Infrastrukturausgaben in den vergangenen Jahrzehnten bereits angehoben haben, gehört Deutschland zu den Schlusslichtern. Nach jahrelangen Diskussionen hat die Politik nun reagiert und ein langfristiges Investitionspaket geschnürt, das über die kommenden zwölf Jahre etwa 500 Milliarden Euro für Infrastrukturprojekte vorsieht.

Infrastruktur wird zum Wachstumstrend über 10 bis 20 Jahre

„Wir sehen hier einen Wachstumstrend über die nächsten 10 bis 20 Jahre“, so Oliver Schneider von der Fondsgesellschaft Wellington Management. Das Finanzpaket der Bundesregierung rücke das Thema bei  Investoren wieder in den Fokus. Peter Brodehser von der DWS ergänzt: „Es ist zu erwarten, dass durch die stärkere Präsenz des Themas Infrastruktur in der Öffentlichkeit das Investoreninteresse an dieser Assetklasse steigt.“ Dies könne zu einer erhöhten Allokation in den Portfolios führen – insbesondere bei Family Offices und vermögenden Privatkunden.

Allerdings seien noch viele Fragen offen, meint Schneider von Wellington: „Als langfristige Investoren müssen wir genauer hinschauen: Wohin fließt das Geld überhaupt?“ Zahlreiche Interessenverbände hätten bereits Bedarf angemeldet – von der Sanierung des Schienennetzes über Brücken, Fahrradwege, Klimaschutz, 
Kitas, Schulen bis hin zu Digitalisierung, Stromnetzen und Zivilschutz. Auf Unternehmensebene dürften besonders jene Bereiche profitieren, die zentrale Funktionen abdecken: „Der Ausbau und die Modernisierung der Stromnetze werden immer wichtiger, da jeder Haushalt in den kommenden Jahren mehr Strom verbrauchen wird“, betont Schneider.

 

Mit dem Infrastrukturpaket werde auch die Idee verfolgt, den Wirtschaftsstandort Deutschland für ausländische Unternehmen wieder attraktiver zu machen. „Die brauchen Stromsicherheit, also die Gewissheit, dass ihr Bedarf zu jeder Tageszeit gedeckt ist“, erklärt Schneider. Ein weiteres wichtiges Thema sei die Netzabdeckung mit schnellem Internet, bei der Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in Europa deutlich hinterherhinke.

Deutschland steht mit dem Investitionsstau aber nicht allein da. „Der Bedarf an Infrastrukturinvestitionen ist global enorm“, so Schneider weiter. Daten der G20-Initiative Global Infrastructure Hub zufolge sind bis 2040 weltweit Investitionen von 94 Billionen US-Dollar (83 Billionen Euro) in Infrastruktur notwendig. Gemessen an bisherigen Ausgabentrends dürften die Staaten mit 79 Billionen US-Dollar aber deutlich weniger investieren – eine Lücke von 15 Billionen US-Dollar, die potenzielle Chancen für private Investoren bietet.

Milliardenpaket hin oder her: Die öffentliche Hand allein werde den immensen Investitionsbedarf kaum stemmen können, meint Michel Caspary, Investmentmanager für Immobilien und Infrastruktur beim Multi Family Office HQ Trust. Sogenannte öffentlich-private Partnerschaften dürften künftig an Bedeutung gewinnen.

 

Infrastruktur biete als Investment viele Vorteile – darunter Inflationsschutz, schreiben Caspary und sein Kollege Friedrich Pressler in einer Analyse: „Über alle Sektoren sind mehr als zwei Drittel der Unternehmen in der Lage, die Kosten der Inflation weiterzugeben.“ Das zeige sich auch an den Unternehmensgewinnen: Das durchschnittliche Ebitda-Wachstum für die Jahre 2023 bis 2026 dürfte über alle  Infrastruktur-Sektoren bei beachtlichen  10,2 Prozent liegen, prognostizieren die HQ-Trust-Analysten. Überproportional könnten vor allem die Gewinne in den Bereichen Energie, Wasser und bei Mautstraßen zulegen.

Infrastruktur als stabiler Anker im Portfolio

„Infrastruktur bietet einen stabilen Anker im Portfolio“, bestätigt auch Oliver Schneider von Wellington. Viele Anleger hätten im vergangenen Jahrzehnt sehr technologielastig in Aktien investiert, was hohe Renditen, aber auch große Schwankungen mit sich gebracht habe. Das hat sich beim Börsenbeben Anfang April gezeigt: Während der MSCI World um 20 Prozent nachgab, verloren Aktienfonds der Vergleichsgruppe Infrastruktur lediglich 7 Prozent.

Diese Stabilität resultiert aus langfristigen Verträgen, etwa bei Versorgern, die stabile Erträge garantieren. Infrastruktur-Unternehmen decken zudem häufig Bereiche des täglichen Bedarfs ab, deren Nachfrage weniger von Konjunkturzyklen abhängt. Hinzu kommen hohe Markteintrittsbarrieren: „Bei einem Technologieunternehmen kann immer ein neuer Wettbewerber auftauchen, aber es ist deutlich schwieriger, plötzlich ein Stromnetz aus dem Nichts  aufzubauen“, erläutert Schneider.

 

Wer über Aktien in Infrastruktur investiert, profitiere zudem von Ausschüttungen, sagt Marc Caretti, Fondsmanager bei Raiffeisen Capital Management: „Infrastrukturaktien bieten traditionell höhere Dividenden als globale Aktien.“ Sein Raiffeisen-New-Infrastructure-ESG-Aktien (ISIN: AT0000A09ZL0) liegt über fünf Jahre 10 Prozent über der Konkurrenz, was Anlegern in diesem Zeitraum ein Plus von 71 Prozent bescherte. Für das gute Abschneiden waren vor allem zwei Bereiche verantwortlich: Zum einen digitale  Infrastruktur wie Konnektivität und Cybersicherheit (14 Prozent des Portfolios), zum anderen der Fokus auf unterbewertete Unternehmen, von denen einige übernommen oder verkauft wurden.

Der Fondslenker sucht weltweit – ausgehend vom Einzelunternehmen – nach vielversprechenden Aktien. Etwa 20 Prozent des Depots steckt in Schwellenländern, die mit dem indischen Telekommunikationsunternehmen Bharti Airtel und dem japanischen Energieversorger Tokyo Gas auch zwei der stärksten Performance-Treiber der vergangenen fünf Jahre stellen. Aufstrebende Märkte hätten einen großen Aufholbedarf bei Infrastrukturinvestitionen. Darüber hinaus seien manche Länder gar zum Vorreiter bei Telekommunikation und Digitalisierung geworden, begründet Caretti.

Performance-Sieger unter den Infrastrukturfonds setzen auf Europa 

Europäische Aktien machen etwa 45 Prozent des Portfolios aus, 30 Prozent stecken in den USA. Caretti setzt dabei bewusst auf kleine und mittlere Unternehmen. Diese seien aktuell niedrig bewertet und durch ihre Ausrichtung auf heimische Märkte abgeschirmt vom Zollkonflikt, erklärt Caretti. Insgesamt sei der Fonds durch Investitionen in Schwellenländer und digitale Infrastruktur in Abschwungphasen nicht so widerstandsfähig, profitiere bei steigenden Märkten aber auch stärker. Die unruhigen Märkte sieht er dennoch gelassen: „Wir sind überzeugt, dass Infrastruktur zu den strukturellen Gewinnern zählt – nicht zuletzt durch staatliche Investitionsprogramme, insbesondere in Europa.“

 

Aktien hält Caretti für besonders geeignet, um von diesem Schub zu profitieren, „weil sie direkten Zugang zum unternehmerischen Erfolg dieser Firmen bieten – inklusive Kursentwicklung, Dividenden und langfristiger Wertsteigerung“. In einem traditionellen 60/40-Portfolio könne eine Infrastruktur-Beimischung die Renditen erhöhen und das Risiko senken, meint der Raiffeisen-Fondsmanager: „Der ideale Prozentsatz für diese Art von Portfolio liegt bei etwa 35 Prozent an Infrastrukturvermögen.“

Auch der zweitplatzierte BNY Mellon Global Infrastructure Income (IE00BZ18VT34) hat seine Strategie angepasst: „Wir haben Teile unseres Portfolios von den USA nach Europa umgeschichtet, um von den soliden relativen Bewertungsabschlägen, den Renditedifferenzen und der sich verbessernden Stimmung sowie den Wachstumsimpulsen in Europa zu profitieren“, erklärt Fondsmanager Jim Lydotes.

Einen Schwerpunkt legt er auf europäische Versorger, „die ein größeres Wachstumspotenzial aufweisen als ihre Wettbewerber“. Diese Unternehmen würden derzeit mit einem Abschlag auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis von 31 Prozent gegenüber den US-Versorgern gehandelt, erklärt der Fondslenker. Im Portfolio sind der finnische Energieversorger Fortum, der italienische Energiekonzern Enel und der französische Versorger Engie hoch gewichtet.

Von Energieunternehmen erwartet Lydotes weiteres Wachstum, denn der Schub von Rechenzentren dürfte zu „einer erheblichen Stromnachfrage“ führen. Auch dieser Trend spricht für Europa: „Die nordischen Länder sind aufgrund ihrer erneuerbaren Energieressourcen, ihres kalten Klimas und ihres starken regulatorischen Rahmens gut positioniert, um vom Boom der Rechenzentren und den Entwicklungen im Bereich künstliche Intelligenz zu profitieren“, so Lydotes.

Assetklasse Infrastruktur mit Zuflüssen

Das Rating-Haus Scope listet in der Vergleichsgruppe „Aktien Infrastruktur“ etwa 60 aktive Fonds und ETFs mit einem verwalteten Vermögen von knapp 25 Milliarden Euro. „Die Assetklasse Infrastruktur verzeichnet in Europa ein stetiges Wachstum“, bestätigt Analystin Sonja Knorr. Neben Aktienfonds können auch Privatanleger seit einigen Jahren abseits der Börse in Infrastruktur investieren – bekanntestes Vehikel ist der European LongTerm Investment Fund, kurz: Eltif.

Neue Fondsregeln mit niedrigen Einstiegshürden haben den Markt in Europa befeuert. So wurden laut Scope allein im vergangenen Jahr 55 neue Eltifs aufgelegt. Insgesamt steckten Ende des vergangenen Jahres 2,8 Milliarden Euro deutscher Anleger in entsprechenden Produkten – ein Zuwachs von mehr als 40 Prozent  gegenüber dem Vorjahr. Beliebtestes Anlagethema deutscher Investoren ist Infrastruktur mit einem Anteil von 71 Prozent.

Fast die Hälfte des Fondsvolumens hierzulande entfällt auf den Klimavest (LU2183939003), der in erneuerbare Energieanlagen und nachhaltige Infrastruktur investiert. Mit einem Volumen von knapp 1,6 Milliarden Euro ist das Produkt der Commerzbank-Sachwertetochter Commerzreal mittlerweile der größte Eltif in Europa. Im Portfolio: 44 Wind- und Solarparks in sechs europäischen Ländern. „Ein wesentlicher Vorteil der erneuerbaren Energien ist die staatliche Einspeisevergütung, die unabhängig von Börsenschwankungen ist“, erläutert Fondsmanager Timo Werner. Zudem schließe er Stromabnahmeverträge zu Festpreisen mit Großunternehmen  ab. „Durch die verschiedenen Vermarktungsarten haben wir einen indirekten Inflationsschutz eingebaut.“ 

 

Der jüngste Kurssturz hat seinen Eltif so auch weitgehend kaltgelassen – auf Jahressicht verlor der Fonds minimal um 0,2 Prozentpunkte. Über ein Jahr liegt die Wertentwicklung bei 3,5 Prozent, auf Dreijahressicht sind es 11,3 Prozent. Mittlerweile haben mehr als 20.000 Anleger den Fonds gezeichnet – darunter hauptsächlich private und semiprofessionelle Anleger. Die durchschnittliche Anlagesumme liegt bei  etwa 50.000 Euro, so Werner. Mit einem Mindestinvestment von 10.000 Euro ist  die Einstiegshürde hoch – eine Umstellung  auf die neuen Eltif-Regeln ist jedoch laut dem Fondsmanager geplant. Dann dürften auch Kleinanleger Zugang erhalten.

Eltifs machen Direktinvestments auch für Privatanleger möglich

Zwar wurde mit der Eltif-Novelle die gesetzlich vorgeschriebene Mindestanlagesumme von 10.000 Euro abgeschafft. Allerdings legen viele Anbieter dennoch ein Mindestinvestment fest. Deutschland hat mit dem sogenannten Infrastruktur-Sondervermögen im Jahr 2021 ein eigenes Fondsvehikel geschaffen, über das sich Kleinanleger direkt an Unternehmen beteiligen können, die Infrastrukturprojekte betreiben. Die Struktur dieser offenen Infrastrukturfonds ähnelt der der etablierten offenen Immobilienfonds, mit einer niedrigen Einstiegshürde von 50 Euro.

Erstes Produkt am Markt war der DWS Infrastruktur Europa (DE000DWSE015), mit dem sich das Fondsmanagement an Projektgesellschaften beteiligt. Nach zwei Jahren am Markt liegt das Fondsvolumen bei 391 Millionen Euro, die Wertentwicklung über ein Jahr bei 4 Prozent. Aktuell besteht das Portfolio aus 70 Prozent Fotovoltaik und 30 Prozent Windkraft – andere Infrastrukturprojekte etwa aus den Bereichen Transport und soziale Infrastruktur können beigemischt werden.

 

Der Schwerpunkt liege jedoch auf erneuerbaren Energien, die mindestens 50 Prozent des Portfolios ausmachen sollen, sagt Fondsmanager Peter Brodehser: „Wenn wir in Europa aus Kohle, Gas und Nuklearenergie aussteigen wollen, müssen wir in den kommenden Jahren mehr als 80 Prozent unserer Stromerzeugung ersetzen. Das ist eine gigantische Aufgabe! Es gibt unzählige Projekte, die finanziert werden müssen. Geld ist ein Engpassfaktor. Das macht diesen Bereich für Investoren attraktiv.“

Mit dem Klimasubstanz (DE000A3ERMC9) und dem Quadoro Erneuerbare Energien Europa (DE000A3EK2V6) sind mittlerweile zwei weitere Produkte gestartet. Auch deren Anbieter, der auf Direktinvestments spezialisierte Asset Manager KGAL sowie die Nachhaltigkeitsund Sachwerte-Boutiquen EB-Sim und Quadoro, setzen auf das Feld erneuerbare Energien.

Schub für die Privatmärkte

Ob es sich um einen Eltif oder ein deutsches Sondervermögen handele, mache für Investoren keinen großen Unterschied, meint DWS-Experte Peter Brodehser: „Das ist für Anleger sekundär.“ Wichtig sei, was drin ist. Bei Eltifs können das neben Infrastruktur auch Private Equity und Private Debt, also privates Beteiligungskapital und Privatkredite sein. Auch Dachfondsstrategien sind seit der Eltif-Novelle möglich.

„Privatmarktinvestments haben grundsätzlich das Potenzial, Portfolios zu stabilisieren“, erläutert Scope-Analystin Knorr. Anleger könnten oft von guten Ausschüttungen profitieren, die Schwankungen seien gering. Allerdings sollten die Investments als langfristiger Portfoliobaustein verstanden werden. Teilweise könnten Investoren zwar relativ flexibel aussteigen, „was jedoch nicht über den Langfristcharakter hinwegtäuschen darf“. Denn grundsätzlich seien die Vermögenswerte des Fonds – im Gegensatz zu Aktien – illiquide.

DWS-Experte Peter Brodehser ist optimistisch und rechnet mit einem deutlichen Schub für das Segment: „Investitionen in Private Markets und allen voran die Investitionen in Infrastruktur werden durch die aktuelle geopolitische Unsicherheit und die hierdurch volatileren Kapitalmärkte noch einmal deutlich Rückenwind bekommen.“ Trotz der öffentlichen und milliardenschweren Infrastrukturpakete könne auf Privatinvestoren nicht verzichtet werden. Um den globalen Finanzierungsbedarf zu decken, werden sowohl staatliche als auch private Gelder benötigt – gemeinsame Anstrengungen gegen die Brückenschmerzen sind notwendig.

Zum Weiterlesen:

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