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Stuttgarter-Vorstandschef Guido Bader „BU-Statistik spiegelt steigende psychische Belastung wider“

Guido Bader
Guido Bader: Der Vorstandschef der Stuttgarter Versicherungsgruppe spricht im Interview über die steigenden psychischen Krankheiten während der Corona-Pandemie. Der promovierte Mathematiker führte bis zum Frühjahr die Deutsche Aktuarvereinigung, deren Vorstand er weiterhin angehört. | Foto: Stuttgarter Versicherungsgruppe

DAS INVESTMENT: Aktuellen Daten der Deutschen Aktuarvereinigung zufolge wird jeder oder jede Vierte im Laufe des Arbeitslebens mindestens einmal berufsunfähig. Ist das den Menschen hierzulande ausreichend bewusst?

Guido Bader: Nein. Der Mehrheit der Bürger ist es ganz offensichtlich nicht bewusst, dass so viele Menschen vor ihrem Renteneintritt zumindest zeitweise nicht in der Lage sind, ihren bisherigen Beruf auszuüben. Denn nach Daten des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft gab es im Jahr 2019 hierzulande nur rund 17 Millionen Versicherungsverträge, die gegen eine Invalidität absichern – bei über 45 Millionen Erwerbstätigen. Viele Menschen versichern also zwar bereitwillig ihr Smartphone gegen mögliche Schäden, aber nicht ihre Arbeitskraft und damit ihre Existenzgrundlage. Der Grund hierfür ist ein allgemeines Problem – ähnlich wie in der Altersvorsorge. Junge Leute müssten dafür in der Gegenwart auf Konsum verzichten, um für die Zukunft ein Vermögen anzusparen. Auch ihre Arbeitskraft müssen Menschen bereits dann versichern, wenn sie noch voll gesund sind. Dann können sie sich aber gar nicht vorstellen, dass auch sie einmal krankheitsbedingt für mehr als ein halbes Jahr im Job ausfallen könnten. Es braucht also viel Überzeugungsarbeit.

Die müssten dann die Versicherungsvermittler leisten. Was können sie tun, um die Berufsunfähigkeitsversicherung populärer zu machen?

Bader: Zunächst einmal ist es wichtig, dass Vermittler für den damit verbundenen Aufwand entsprechend entlohnt werden. Denn sie machen sich nicht sonderlich beliebt bei ihren Kunden, wenn sie solch negative Themen wie die mögliche Invalidität des Gegenübers ansprechen. Tun aber müssen sie es – und sie müssen dabei auch auf einen traurigen Trend in unserer Gesellschaft hinweisen: Immer mehr Menschen in Deutschland werden wegen psychischer Erkrankungen berufsunfähig. Die Abwärtsspirale, die beispielsweise in eine folgenschwere Depression führen kann, ist mitunter gar nicht so schnell zu erkennen. Doch wenn der Antragsteller bereits bei einigen Therapiesitzungen war und sich die Diagnose Depression bestätigt hat, ist es für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu spät. Die schleichende Gefahr, psychisch zu erkranken, kann übrigens zwar jeden treffen, insbesondere trifft es jedoch Frauen bis zum 40. Lebensjahr. Tendenz steigend: Im Vergleich zu einer vorangegangenen Untersuchung der Deutschen Aktuarvereinigung vor 20 Jahren haben sie heute ein um über 30 Prozent erhöhtes Risiko, berufsunfähig zu werden. Das spiegelt die steigende psychische Belastung während der vergangenen zwei Jahrzehnte wider.

Welche Spuren dürfte da die Corona- Pandemie hinterlassen?

Bader: Von den Zahlen her können wir heute noch nicht sehr viel zu den langfristigen Folgen in der Berufsunfähigkeitsversicherung sagen. Denn es gibt noch zu viele Unbekannte. So gibt es etwa noch keine Langzeitdaten über das Krankheitsbild des sogenannten Long-Covid-Syndroms. Unter den typischen Beschwerden wie chronischer Fatigue leiden zwar erschreckend viele Betroffene. Aber es ist noch völlig unklar, ob die Symptome bei den meisten wieder abklingen oder zu einer dauerhaften Invalidität führen.

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Trotzdem warnen die Analysten von Premium Circle bereits davor, dass Corona-Patienten womöglich keine BU-Rente erhalten und schlechte Chancen auf einen Neuabschluss haben. Wie sieht es da in der Praxis aus?

Bader: Bei der Stuttgarter Lebensversicherung haben wir bis dato erst zwei Anträge auf eine Berufsunfähigkeitsrente erhalten, bei denen die Versicherten Long-Covid als Ursache angaben. Reißerische Berichte über vermeintlich massenhaft verweigerte BU-Leistungen oder Ablehnungen im Neugeschäft in der Corona-Pandemie basieren meiner Meinung nach daher kaum auf Fakten. Das sind eher unseriöse Spekulationen.

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