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LBBW-Chefvolkswirt Moritz Kraemer Wie die EZB half, den Bundeshaushalt zu sanieren

EZB-Gebäude in Frankfurt
EZB-Gebäude in Frankfurt: Die Niedrigzinspolitik der europäischen Notenbanker kam dem deutschen Staat zugute. | Foto: Imago Images / Norbert Neetz

Der derzeitige rasche Anstieg der langfristigen Zinsen ist ohne Beispiel in der jüngeren Finanzgeschichte. Nachdem die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs nochmal unter null gefallen war, übersprang sie Anfang Mai locker die Ein-Prozent-Marke. Das mag sich zwar für manche nach nicht viel anhören, ist aber ein finanztektonisches Beben. Und der Anstieg ist noch nicht zu Ende, auch wenn sich dessen rasantes Tempo über die kommenden Monate reduzieren dürfte.

Deutschland hat in den 2010er Jahren etwas ganz und gar Ungewöhnliches geschafft: Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie war der Staatshaushalt (alle Gebietskörperschaften) acht Jahre ununterbrochen durch Überschüsse gekennzeichnet. Zum Vergleich: Der letzte Überschuss Frankreichs datiert aus dem Jahre 1974. In der ökonomischen Profession wie auch in der Politik wird darüber diskutiert, ob der durch Deutschland gezahlte Preis zu hoch war, etwa in Form verfallender öffentlicher Infrastruktur oder mangelnder Verteidigungsfähigkeit.

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Quelle: LBBW

Die Rolle der EZB bei der Budget-Konsolidierung

Hier soll es um den Beitrag der langen Niedrigzinsperiode zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte gehen, die federführend der damalige Finanzminister Schäuble vorantrieb. Die Grafik zeigt, wie die Zinslast des Staates in der vergangenen Dekade kollabierte.

Dies lag nicht daran, dass die Investoren Deutschland Richtung 2020 eine höhere Bonität zuschrieben als vor der Finanz- und Eurokrise. Der Bund profitiert seit eh und je von einem erstklassigen Rating. Der Rückgang der Zinszahlungen lag auch nicht am Abbau der Verbindlichkeiten, selbst wenn der moderate Rückgang der Schuldenquote von 80 Prozent des BIP vor zehn Jahren auf etwa 70 Prozent heute eine unterstützende Rolle spielt. Tatsächlich ist der massive Rückgang der Zinslast eine Begleiterscheinung der Whatever-it-takes-Politik von Mario Draghi, einer Niedrigzinspolitik, die im Kern bis heute fortdauert.

Welcher Anteil der Budget-Verbesserungen ist
auf niedrigere Zinsausgaben zurückzuführen?
2019 im Vergleich zu 2012

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Quelle: LBBW

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Wenn man die veränderten Zinsbelastungen aus der Budget-Berechnung herausrechnet, dann würde der durchschnittliche Überschuss der Periode 2012 bis 2019 (zwischen Euro- und Coronakrise) von 0,9 Prozentdes BIP wie ein Soufflé zusammenfallen, und zwar auf genau null. Dies wäre zwar noch immer ein respektabler Erfolg. Aber erst die Vollgaspolitik der EZB hat den deutschen Konsolidierungs-Turbo aktiviert. Auf die Zinsersparnis entfielen 87 Prozent der Budget-Verbesserung zwischen 2012 und 2019 (siehe Abbildung).

Deutschlands Staatsfinanzen sind solide

Der rasche Anstieg der langfristigen Zinsen ist kein Grund, sich um die Verfassung der öffentlichen Finanzen in Deutschland akut Sorgen zu machen. Ja, der Rückenwind wird zu einem Gegenwind. Aber es ist doch eher ein Lüftchen. Eine Rückkehr zu den Zinssätzen der 2000er Jahre (zwischen 3 und 5 Prozent) ist hochgradig unwahrscheinlich. Der Schuldenstand ist auf absehbare Zeit ohne weiteres tragbar, auch wenn uns eine neue unerwartete Krise treffen sollte, wie etwa ein Stopp von Gaslieferungen aus Russland.

All dies bedeutet auch, dass der Staat über hinreichend Flexibilität verfügt, die großen Zukunftsaufgaben wie Klimawende und Aufrüstung der Bundeswehr solide zu finanzieren. Ob dies mit der Schuldenbremse und der Selbstverpflichtung der Koalitionäre gegen Steuererhöhungen vereinbar bleiben wird, ist freilich eine andere Frage. Hier ist Skepsis angebracht.


Über den Autor: Moritz Kraemer ist Chefvolkswirt und Leiter Research der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

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